Donnerstag, 29. April 2010

Face Tagging


Zwei Jahre ist es her, seit ich in dieser Kolumne die Computer-Zockereien von Investmentbanken analysiert habe. Was ich fand, hat mich zutiefst angewidert, und ich wandte mich der mutmasslich weniger problematischen Computer-Bildbearbeitung zu. Heute komme ich, mit einigen zusätzlichen Erfahrungen, wieder auf diese beiden Brennpunkte der Computerwelt zurück. Anlass ist die Anhörung einiger Vertreter von Goldmann-Sachs vor dem US-Senatsausschuss.

Das biedere Geschäft der Banken, Geld zu beschaffen, zu verleihen und mit Gewinn zurückzubekommen, ist zwar schon riskant genug, macht aber realwirtschaftlich Sinn und ist durchaus im Interesse der wirtschaftenden Bürgerinnen und der Rentner. Davon haben sich die mit Computermodellen vernetzt operierenden Derivat-Spezialisten (Quants und ihre Chefs) aber längst entfernt. Wie es eine Senatorin, im Ausschuss, McCascill, wütend auf den Punkt brachte, geht es denen um reines verantwortungsloses Gambling.[1] Man kreiert Wetten auf den Zerfall realer Anlagen und saugt das Geld, das dort investiert wurde, auf. Durch Kreditversicherungen suggerieren die Investment-Banker den Investoren scheinbare Sicherheit, die von subversiv operierenden Hedge-Fonds derselben Bank zeitgleich ausgehebelt wird. Wenn die Derivat-Barrieren fallen, ist es für den Anleger zu spät, er hat sein Geld verloren. Er wurde vor den gierigen Trader nicht genügend gewarnt, als er mit verlockenden Versprechen in die Zocker-Arena eintrat. Was ihn dort erwartet, wird systematisch beschönigt, und zwar mit einem respekteinflössenden Vokabular, für welches der Spiegel ein on-line Wörterbuch bereithält.[2] Die branchenübliche Verschleierung hat System.

Immer mehr Politiker haben inzwischen gelernt, worum es geht. Ihre Meinungsmacher drücken sich ganz verständlich aus, wenn sie sagen, die Investment-Bank wettet gegen die eigenen Kunden, und das sind nicht nur kleine, sondern auch Pensionskassen und Versicherungen, die Post und nicht zuletzt die gewöhnlichen Banken selbst. Die grosse Krise ist gekommen, nun stehen nicht nur Grossbanken, sondern immer mehr Nationen am Abgrund. Schuld sind hauptsächlich die unkontrollierten Spielregeln der internetbasierten Finanzwirtschaft. George Soros, der von finanziellen Massenvernichtungswaffen sprach, fordert erneut: „Der Einsatz von Derivaten und anderen synthetischen Instrumenten muss reguliert werden, selbst wenn alle Akteure erfahrene Investoren sind.“ Denn aus systemtheoretischen Gründen entfalten die sekundenschnell und automatisch und weltweit handelbaren Produkte eine unvorstellbare finanzielle Sprengkraft, wenn man ihnen freien Lauf lässt. Man muss sie dringend bremsen, wie eine überkritische Menge Uran muss man sie moderieren, wofür es inzwischen verschiedene Vorschläge gibt. Banken mit öffentlichen Mitteln zu stützen, die man als too-big-to-fail erachtet, kann jedenfalls nicht mehr die Lösung sein. Ebenso wenig ist es eine Lösung, dass der Staat billiges Geld ausgibt, welches in den Löchern der Investmentbanken und ihren Hedge-Fonds verschwindet. Wodurch die Geldmenge, von der Realwirtschaft abgehoben, viel schneller als die Bruttoinlandprodukte zunimmt, in unproduktiven, destruktiven Kanälen versickert und die Wechselkurse immer schwerer kontrollierbar sind. - Alles halb so schlimm? Schauen Sie sich dieses instruktive Video an:
ECO vom 08.03.2010
Nicht von ungefähr kommen die Sorgen meiner Leserinnen und Leser vor dem „Teufelszeug“ Personalcomputer, ihrem ganz persönlichen Interface auf dem Schreibtisch zum übermächtigen Internet. Die Banken wollen ja unbedingt per Internet kontaktiert werden, das Passwort-Theater strapaziert die Nerven, zumal nun auch das Handy als Authentifizierungsmittel herhalten soll. Einige müssen sich extra dafür ein Handy zulegen, ein teurer Preis, die Streichliste war gratis. Darüber hinaus werden wir immer gläserner, auch ohne automatischen Datenaustausch. Und das geht so:

Letzthin habe ich ein grosses Klassenfoto aus der Primarschule abfotografiert und in das Picasa-Albumprogramm aufgenommen. Heute schaue ich zufällig hinein und sehe – o Schreck – von jedem einzelnen Klassenmitglied ein Kopfbild, 34 Passfotos an der Zahl, dazu jenes der Lehrerin aus jugendlichen Tagen. Die Köpfe sind perfekt ausgeschnitten. Unter jedem Kopf werde ich aufgefordert, den zugehörigen Namen einzugeben. Es war aber niemand am Werk, ausser Picasa selbst. Face-Tagging nennt sich diese neue Errungenschaft. Sobald man sich bei Picasa online anmeldet, werden die Köpfe mit Namens-Etiketten versehen, dazu sind E-Mail-Adressen verknüpft, die oft schon im Internet kursieren, jedenfalls werden solche von Big Brother zur Auswahl vorgelegt. Das Ganze ist so leichtgängig und suggestiv, dass man Spass empfindet, alle fehlenden Daten bei Google bekannt zu geben. Die Clustering Technologie arbeitet dann im Nu: Alle Heidi X-Köpfe werden zu einer Gruppe zusammengeballt. Bei etwa 5% der Köpfe ist Picasa unsicher, ob der Kopf jener von Heidi ist, und er unterbreitet das Bild zur Bestätigung per Mausklick. Sind einige Bilder von Heidi richtig beieinander, findet Picasa weitere Heidis treffsicherer, weil es mehr Gesichtsmerkmale kennt, auch solche, die eher im Profil oder bei schlechtem Licht oder halb abgedeckt aufgenommen wurden. Diese Klassifizierung geht blitzschnell, auch bei tausenden Gesichtern. Picasa bietete heute an, von allen Heidi-Köpfen eine Collage, eine Diaschau, ja sogar einen Film mit hübschen Szenenwecheln und passender Hintergrundmusik automatisch herzustellen, den man umgehend auf Youtube.com hochladen kann, wo er dann wahlweise öffentlich sichtbar ist. Automatische semantische Objekterkennung ist angesagt. Heidi X ist gut beraten, immer ein vorteilhaftes Gesicht zu machen und sich ein Make-up aufzulegen, wenn es unter Handy-Leuten ist, und das ist man auf belebter Strasse immer.

Windows Live Fotogalerie kennt Face-Detection, der Mac hat es, und Adobe Photoshop Elements ebenfalls. Menschen sind die verbreitetsten und beliebtesten Objekte von Fotografen. Die automatische Gesichtserkennung verbreitet sich im Internet rasant. Bei Facebook ist meistens ein Gesicht mit dem Kontoinhaber verbunden, der teilweise sehr viel von sich persönlich bekannt gibt, insbesondere seinen Freundeskreis, ebenfalls wieder Gesichter und Kontext. Faktisch besteht zur Zeit und bis auf weiteres eine richtige Inflation der fotografischen Inhaltsbestimmung, die sich auch auf anderes als Personen ausdehnen wird. Das war vor kurzem noch undenkbar. Personalchefs und Behörden werden mit Datenaggregation und Profiling ein immer leichteres Spiel haben.

Da nun das Internet auch auf Handys verfügbar ist, kann man eine wildfremde Person fotografieren und erfährt auf dem Handy umgehend den Namen, die Kontaktdaten und vieles mehr aus dem Lebenskreis der gläsernen Person.[3] Zweifellos wird dies bald massenhaft benützt – und beschert den Telecom-Firmen neue Milliardenumsätze! Doch werden hier wie dort Ahnungslose geprellt (seien es nun Geldanlagen oder Privacy) und Niederträchtige belohnt.
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[1] Siehe Tagesschau und 10vor10 im SF-DRS am 27. April 2010
[2] Spiegel: Das grosse Finanzkrisen-ABC, auf http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,586800,00.html
[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Handy-identifiziert-Fotografierte-ueber-Facebook-Co-939784.html

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