Vorweggenommen, ich verstehe von der Finanzindustrie nichts. Geprägt vom Standpunkt meiner Eltern, dass Spekulanten Gauner sind, wendete ich mich schon früh der Welt der Naturwissenschaft und Technik zu, die mich bis heute so sehr fasziniert, dass ich von den wundersamen Geldvermehrungsmöglichkeiten nichts wissen wollte. «Hypothek» und «Grundpfandverschreibung» waren für mich als Kind schwer verständliche Begriffe, «Zins» war Schulstoff, aber wie berechnet man «Zinseszins», und ist dereinst das Guthaben aus der Altersvorsorge überhaupt berechenbar? Nun aber werden wir von Banken wie nie zuvor über den Tisch gezogen, mit zehntausend Franken pro Kopf, weil 6 Millionen Schweizer ungefragt das riesige 60 Milliarden-Loch zu stopfen haben, welches die Spekulationsblasen gerissen haben. Und niemand weiss, ob das reicht und wie sehr es den Mittelstand verarmt.
Im prächtigen Bretton Woods entstand 1944 die Welt-Währungsordnung, die auf der Basis fester Wechselkurse eine geordnete wirtschaftliche Entwicklung der vom Krieg darniederliegenden Länder ermöglichte.[1] Unter der Führung der Supermacht USA wurde der Dollar zur privilegierten Leitwährung. Sie war durch Goldreserven im Verhältnis 35 Dollar pro Unze gesichert. An 4.20 D-Mark pro Dollar wurde für die Bundesrepublik festgehalten. Von der Stabilität profitierten alle. IWF und Weltbank ermöglichten Welthandel und Wiederaufbau. In den 60er Jahren verstrickten sich die Amerikaner in den Vietnamkrieg. Das Aussenhandelsdefizit der Supermacht erreichte schwindelnde Höhen, die von Nixon auch mit Zwangsmassnahmen kaum gebremst werden konnten. Der Dollar wurde abgewertet, die Wechselkurse schwankten und die Goldeinlösepflicht wurde gekündigt. Die Währungsordnung von Bretton Woods war 1973 am Ende. Danach organisierte die Europäische Gemeinschaft ihr eigenes Währungssystem, das 1999 in der Einführung des Euro mündete, die Grundlage des Binnenmarkts. Der Dollar verlor immer mehr an Wert, nach heftigen Ausschlägen stand er 1987 auf 1.77 D-Mark.
Heute verfügen die USA über etwa gleich wenig Devisenreserven wie Mexiko oder Algerien, zehn Mal weniger als China oder Japan, und die führende Nation, die sich den Vietnamkrieg und den Irakkrieg[2] geleistet hat, ist heute die grössten Schuldnernation der Welt. Logisch, dass unsere Banken, wenn sie in den USA fleissig mitspekulieren, auch in den Strudel hineingezogen werden. Zum Glück gibt es die Banken, die mit nur 10% Eigenreserven die ihnen anvertraute Geldmenge verzehnfachen können. Sie gleichen den Kindern, die mittellos an Weihnachten Gutscheine malen, für Mami 1x zum Coiffeur, für Papi einen Ballonrundflug, einzulösen, wenn ich wieder Sackgeld kriege, und die Mittel der Familie vermehren sich durch die Summierung der wechselseitigen Zahlungsversprechen beliebig. Derivate sind nichts anderes als das: Zahlungsversprechen in der Zukunft, die wiederum durch so genannte Wertpapiere eingelöst werden. Und es wird eine ungeheure Wissenschaft daraus gemacht.[3] Heute hebeln Hedge-Fonds weltweit und unkontrolliert ein Vermögen von tausenden Milliarden Dollar. Im Vergleich erzeugte die Welt 2004 ein Bruttoinlandprodukt (BIP, die Summe der pro Jahr hergestellten realen Güter) von 40 Tausend Milliarden Dollar. Deshalb beobachten wir heute, wie ganze Länder bankrott gehen können.
Die Geldmenge besteht nicht nur aus der von den Notenbanken ausgegebenen im Umlauf befindlichen Geldbasis, sondern auch aus den Spareinlagen und den von der Finanzindustrie erzeugten spekulativen Anlagegefässen, die zusammen als Geldmenge M3 gemessen werden. M3 ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und erreicht heute die Grössenordnung des BIP. M3 besteht zunehmend aus Blasen, sie sind virtuell, dennoch sorgen sie dafür, dass eine Elite aus mathematisch gezielt geschulten Finanzakrobaten (Quants[4]) und ihrer Chefs auf Kosten des Mittelstandes ohne produktive Arbeit unverschämt reich werden. Ihre «Arbeit» besteht aus der Schaffung und Optimierung von Computerprogrammen, die erstens immer komplexere Anlagemöglichkeiten mit globaler Hebelwirkung konstruieren, und die zweitens auf jedem Quant-Arbeitsplatz täglich tausende Kaufs- und Verkaufsoperationen fast unkontrolliert auslösen.[5] Die technische Basis dieses weltweiten Booms ist das Internet, über das heute nicht nur die ganz Grossen der Branche verfügen. Dank DSL ist es all den kleinen unproduktiven Glücksrittern nun auch möglich, weltweit zu kaufen und zu verkaufen.
Damit befinden wir uns im Zustand eines kritischen Systems, welches unkontrollierbar mit massiven Schwingungen und Verwerfungen reagiert, fast wie ein Hirn, das krampft (Epilepsie), oder wie die immer wärmere Atmosphäre mit ihren Wirbelstürmen. Leider gibt es in der Finanzwelt vorerst nur wenige systemtheoretische Wissenschafter, welche diese Dynamik top-down beobachten, deuten und präventiv warnen könnten.[6] Damit hat sich die Finanzwirtschaft sehr weit von Bretton Woods entfernt, sie befindet sich in einem furchterregenden labilen Zustand, angetrieben von gierigen Menschen, die nur eines vor Augen haben: sich gegenseitig reinzulegen. Dabei nehmen sie emotionslos in Kauf, dass viele Familien und soziale Schichten ihre Existenz verlieren und ins Elend, in die Krankheit und den Tod getrieben werden. Die Kriminalfälle von Hitchcock und Donna Leon sind Peanuts dagegen. Wieder einmal hinkt die Politik den Problemen hinterher, da sie nicht als kriminell bezeichnen kann, was sie nicht versteht. Kein Wunder, dass am WEF die Vertreter der Banken nicht diskutieren wollen, sondern das Forum zu rauschenden Partys missbrauchen.[7] Klaus Schwab hat sich öffentlich darüber beklagt und will es nun ändern.
Nach meiner kleinen Recherche[8] als Neuling in dieser Materie muss ich feststellen: Meine Eltern hatten Recht!
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[1] Max Otte: Der Crash kommt. Ullstein Taschenbuch, Jan. 2008, 317 S. ISBN 978-3-548-36975-4
[2] Die Kosten des Irakkriegs werden auf über 2000 Milliarden Dollar geschätzt, ganz abgesehen von einem immensen Blutzoll, ohne die Stabilität in der Region zu erhöhen oder das Erdöl zu verbilligen, siehe www.guardian.co.uk/world/2006/jan/07/usa.iraq
[3] Thorsten Hens, Uni-Z: Was lernt die Lehre aus der Finanzmarktkrise? NZZ Online 1. Nov. 2008, http://www.nzz.ch/.
[4] K. Tzschentke: Die Quants als Sündenböcke. Der Standard, 22.10.08, http://derstandard.at/
[5] Arvid Kaiser: Wie Computer die Märkte bewegen. Spiegel Online, 12.10.07, http://www.spiegel.de/
[6] Didier Sornette: Why Stock Markets Crash. Princeton University Press ISBN 0-691-11850-7 (Paperback)
[7] Basler Zeitung vom 29.10.08
[8] Wiederum hat mir das Internet, insbesondere Google News und Wikipedia dabei geholfen.
Im prächtigen Bretton Woods entstand 1944 die Welt-Währungsordnung, die auf der Basis fester Wechselkurse eine geordnete wirtschaftliche Entwicklung der vom Krieg darniederliegenden Länder ermöglichte.[1] Unter der Führung der Supermacht USA wurde der Dollar zur privilegierten Leitwährung. Sie war durch Goldreserven im Verhältnis 35 Dollar pro Unze gesichert. An 4.20 D-Mark pro Dollar wurde für die Bundesrepublik festgehalten. Von der Stabilität profitierten alle. IWF und Weltbank ermöglichten Welthandel und Wiederaufbau. In den 60er Jahren verstrickten sich die Amerikaner in den Vietnamkrieg. Das Aussenhandelsdefizit der Supermacht erreichte schwindelnde Höhen, die von Nixon auch mit Zwangsmassnahmen kaum gebremst werden konnten. Der Dollar wurde abgewertet, die Wechselkurse schwankten und die Goldeinlösepflicht wurde gekündigt. Die Währungsordnung von Bretton Woods war 1973 am Ende. Danach organisierte die Europäische Gemeinschaft ihr eigenes Währungssystem, das 1999 in der Einführung des Euro mündete, die Grundlage des Binnenmarkts. Der Dollar verlor immer mehr an Wert, nach heftigen Ausschlägen stand er 1987 auf 1.77 D-Mark.
Heute verfügen die USA über etwa gleich wenig Devisenreserven wie Mexiko oder Algerien, zehn Mal weniger als China oder Japan, und die führende Nation, die sich den Vietnamkrieg und den Irakkrieg[2] geleistet hat, ist heute die grössten Schuldnernation der Welt. Logisch, dass unsere Banken, wenn sie in den USA fleissig mitspekulieren, auch in den Strudel hineingezogen werden. Zum Glück gibt es die Banken, die mit nur 10% Eigenreserven die ihnen anvertraute Geldmenge verzehnfachen können. Sie gleichen den Kindern, die mittellos an Weihnachten Gutscheine malen, für Mami 1x zum Coiffeur, für Papi einen Ballonrundflug, einzulösen, wenn ich wieder Sackgeld kriege, und die Mittel der Familie vermehren sich durch die Summierung der wechselseitigen Zahlungsversprechen beliebig. Derivate sind nichts anderes als das: Zahlungsversprechen in der Zukunft, die wiederum durch so genannte Wertpapiere eingelöst werden. Und es wird eine ungeheure Wissenschaft daraus gemacht.[3] Heute hebeln Hedge-Fonds weltweit und unkontrolliert ein Vermögen von tausenden Milliarden Dollar. Im Vergleich erzeugte die Welt 2004 ein Bruttoinlandprodukt (BIP, die Summe der pro Jahr hergestellten realen Güter) von 40 Tausend Milliarden Dollar. Deshalb beobachten wir heute, wie ganze Länder bankrott gehen können.
Die Geldmenge besteht nicht nur aus der von den Notenbanken ausgegebenen im Umlauf befindlichen Geldbasis, sondern auch aus den Spareinlagen und den von der Finanzindustrie erzeugten spekulativen Anlagegefässen, die zusammen als Geldmenge M3 gemessen werden. M3 ist in den letzten Jahren enorm gewachsen und erreicht heute die Grössenordnung des BIP. M3 besteht zunehmend aus Blasen, sie sind virtuell, dennoch sorgen sie dafür, dass eine Elite aus mathematisch gezielt geschulten Finanzakrobaten (Quants[4]) und ihrer Chefs auf Kosten des Mittelstandes ohne produktive Arbeit unverschämt reich werden. Ihre «Arbeit» besteht aus der Schaffung und Optimierung von Computerprogrammen, die erstens immer komplexere Anlagemöglichkeiten mit globaler Hebelwirkung konstruieren, und die zweitens auf jedem Quant-Arbeitsplatz täglich tausende Kaufs- und Verkaufsoperationen fast unkontrolliert auslösen.[5] Die technische Basis dieses weltweiten Booms ist das Internet, über das heute nicht nur die ganz Grossen der Branche verfügen. Dank DSL ist es all den kleinen unproduktiven Glücksrittern nun auch möglich, weltweit zu kaufen und zu verkaufen.
Damit befinden wir uns im Zustand eines kritischen Systems, welches unkontrollierbar mit massiven Schwingungen und Verwerfungen reagiert, fast wie ein Hirn, das krampft (Epilepsie), oder wie die immer wärmere Atmosphäre mit ihren Wirbelstürmen. Leider gibt es in der Finanzwelt vorerst nur wenige systemtheoretische Wissenschafter, welche diese Dynamik top-down beobachten, deuten und präventiv warnen könnten.[6] Damit hat sich die Finanzwirtschaft sehr weit von Bretton Woods entfernt, sie befindet sich in einem furchterregenden labilen Zustand, angetrieben von gierigen Menschen, die nur eines vor Augen haben: sich gegenseitig reinzulegen. Dabei nehmen sie emotionslos in Kauf, dass viele Familien und soziale Schichten ihre Existenz verlieren und ins Elend, in die Krankheit und den Tod getrieben werden. Die Kriminalfälle von Hitchcock und Donna Leon sind Peanuts dagegen. Wieder einmal hinkt die Politik den Problemen hinterher, da sie nicht als kriminell bezeichnen kann, was sie nicht versteht. Kein Wunder, dass am WEF die Vertreter der Banken nicht diskutieren wollen, sondern das Forum zu rauschenden Partys missbrauchen.[7] Klaus Schwab hat sich öffentlich darüber beklagt und will es nun ändern.
Nach meiner kleinen Recherche[8] als Neuling in dieser Materie muss ich feststellen: Meine Eltern hatten Recht!
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[1] Max Otte: Der Crash kommt. Ullstein Taschenbuch, Jan. 2008, 317 S. ISBN 978-3-548-36975-4
[2] Die Kosten des Irakkriegs werden auf über 2000 Milliarden Dollar geschätzt, ganz abgesehen von einem immensen Blutzoll, ohne die Stabilität in der Region zu erhöhen oder das Erdöl zu verbilligen, siehe www.guardian.co.uk/world/2006/jan/07/usa.iraq
[3] Thorsten Hens, Uni-Z: Was lernt die Lehre aus der Finanzmarktkrise? NZZ Online 1. Nov. 2008, http://www.nzz.ch/.
[4] K. Tzschentke: Die Quants als Sündenböcke. Der Standard, 22.10.08, http://derstandard.at/
[5] Arvid Kaiser: Wie Computer die Märkte bewegen. Spiegel Online, 12.10.07, http://www.spiegel.de/
[6] Didier Sornette: Why Stock Markets Crash. Princeton University Press ISBN 0-691-11850-7 (Paperback)
[7] Basler Zeitung vom 29.10.08
[8] Wiederum hat mir das Internet, insbesondere Google News und Wikipedia dabei geholfen.