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Wenn ein und derselbe bunte Vogel auf deinem Balkon zwitschert, mehrmals am Tag, magst du dich fragen, was er dir wohl mitteilen möchte. Vielleicht legst du ihm Brosamen auf das Geländer, oder Apfelschnitze. Bald sind mehrere Vögel da, und das Gezwitscher kann ganz schön Lärm machen. Es war ein Künstler namens Noah Glass, der “Twitter” (= engl. Gezwitscher) als Name vorschlug. Noah in San Francisco ist einer der vier Gründer der Micro-Blogger-Website Twitter, die es dir seit zehn Jahren ermöglicht, der Welt mit deinem Smartphone und sogar per SMS in maximal 140 Zeichen mitzuteilen, wo du gerade eine grüne Zahnbürste gekauft hast. Diese Möglichkeit, in die Welt zu zwitschern, was immer dir beliebt, interessiert offenbar viele Menschen.Twitter konnte einen rasanten Zuwachs verzeichnen, zwitschern via Twitter ist in. Es kamen so viele, dass der Draht riss und die Äste brachen, auf denen sie sassen. Die vier Gründer mussten laufend neue Server in Betrieb nehmen, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass es immer noch nicht reichte. Sie konnten sich einfach nicht vorausschauend ausrüsten, jahrelang. Nicht weil das Geld für Datacenter fehlte, es floss in Strömen, von Investoren, die nur am Nutzerwachsum interessiert waren. Nein, Twitter brach oft zusammen, weil die chaotischen Hacker - anders als bei Google - nicht planten. Über ihren Programmierplätzen prangte das Logo “Let’s make tomorrow better mistakes.” Während sie ihre Webseite immer wieder hoch päppelten, stritten sie sich über den eigentlichen Sinn und Zweck ihres Zwitscherdienstes: Der Welt mitzuteilen, was du gerade tust, oder der Welt mitzuteilen, was gerade passiert? Inzwischen haben die 400 Millionen aktiven Nutzer diese Frage für sich entschieden. Während @realDonaldTrump täglich mehrmals mitteilt, was er gerade tut, liest man bei den @FDP_Liberalen, was aus Parteisicht gerade passiert. Trump twittert übrigens auch offiziell als @POTUS aus dem weissen Haus. Obamas Twitter-Account wurde auf @POTUS44 umbenannt, der 44. Präsident eben. Doch Trump benützt seine Privatadresse wie im Wahlkampf weiterhin, fast stündlich. Zwitschernd verschiebt er die politische Landkarte und erzeugt, Tweet um Tweet und im Krieg mit der Presse, immensen Impakt in der Welt.
Februar 2006: Schrill klingelte die Glocke um 18 Uhr. Alle Programmierer strömten zusammen, Bierdeckel knallten, klackerten zu Boden, das Hackathon bei Odeo ging zu Ende. Odeo, eine Podcasting-Webseite, erlaubte es, Audio und Video-Botschaften zu senden, aufzuzeichnen und zu teilen. Es war nicht klar, wie sich die Firma weiterentwickeln sollte. Zur Klärung wurde ein Hack-Day angesagt. Da konnte jeder Mitarbeiter frei programmieren, um dann seine Ideen zu präsentieren. Welches die beste sei, entschied der Chef, Evan Williams, der viel investierte und riskierte. Die Wahl fiel auf Twitter. Sie vereinbarten, dass Jack Dorsey und Biz Stone innert nur 2 Wochen einen Prototypen entwickeln sollten. Evan kam zu Geld, als Google sein Startup “Blogger” kaufte, aus welchem später “blogspot.com” wurde. (Sie lesen gerade auf Blogspot!) Der introvertierte, konfliktscheue Farmersohn wurde mit seinem Vermögen zum Hauptinvestor bei Twitter. Er brach das Studium ab und brachte sich selbst das Programmieren bei. Die Zusammenarbeit des Quartetts war kreativ, aber schwierig. Zankapfel war das ungeheure Potential des Internets. Bald wurde der überspannte Noah für die anderen unerträglich, weil er sein Temperament nicht zügeln konnte. Obgleich er Twitter aus der Taufe hob, schmissen sie ihn hinaus. Das Startup Twitter war ein chaotisches Hacker-Kollektiv. Die Einnahmen waren Null - jahrelang! Ehrgeizig verfolgte jeder verbissen seine eigene Ideen, um die Welt mit 140 Zeichen zu verändern. Dennoch, mit ihrer Microblog-Webseite trafen sie offensichtlich einen Nerv, denn bald hagelte es Anmeldungen. Aber für eine angemessene Infrastruktur und die Fragen der neu eingestellten Programmiere fühlte sich bei Twitter niemand verantwortlich. Trotz Negativschlagzeilen wuchs Twitter rasant und mauserte sich zum ultimativen Blitz-Nachrichtendienst, für Medienkonzerne und Aktivisten ebenso, wie für Musiker nach dem Motto “Alles, was gerade los ist.” Twitter fühlt der Welt, wo immer man hinschaut, augenblicklich den Puls. Deshalb interessieren sich auch Regierungen: Ihre Nachrichtendienste sehen durch Twitter am besten, was in Konfliktherden gerade passiert. Twitter, von Aussen eine Art Webseite, wurde im Juni 2010 noch immer von Kaugummi und Malerkrepp zusammengehalten.
Ausgerechnet als der russische Präsident Medwedew im Juni 2010 in San Francisco die Twitter-Zentrale betrat, brach der Dienst zusammen. Der Besuch wurde wochenlang vorbereitet. Man versuchte den Präsidenten abzulenken, hinzuhalten - bis es den Technikern gelang, Twitter wieder in Betrieb zu nehmen. Als Medwedew seinen ersten Tweet absetzte, ist Twitter haarscharf am Rufmord vorbeigeschrammt. Medwedews Tweet wurde augenblicklich rund um den Globus gelesen und von Obama und anderen Würdenträger beantwortet. Inzwischen twittern sie alle, Putin wöchentlich mehrfach, Merkel lässt von einem Regierungssprecher twittern - und wird dafür auf Twitter parodiert, Hollande hat bald 5000 Tweets abgesetzt, Elon Musk die Hälfte, Erdogan liess Twitter sperren, twittert aber seine Massenauftritte derzeit täglich live über Twitter-Periscope. Auch unser Bundesrat lässt über eine Fanseite twittern. Beziehungsweise: Er kann es nicht verhindern, dass Fans und Parodisten in seinem Namen twittern. Facebook hat 99% authentische Seiten. Twitter dagegen kontrolliert kaum, wer unter falschem Namen twittert. Fake News! Dies widerspiegelt die chaotische Hackermentalität seiner vier Gründer. Jeder war mit seinem Ego so sehr beschäftigt, dass sie sich abwechselnd aus der Firmenleitung schmissen, und die Techniker und die Medien oft nicht wussten, wer das Sagen hatte. Twitter entwickelte sich dank diesem Seilziehen aber besonders effektiv. Der Treibstoff war die grandiose Zuwachszahl. Anders als bei Google, wo für ausreichende Serverkapazität und minimale Ausfallzeiten umsichtig planend gesorgt wurde, brach der Kurznachrichtendienst notorisch zusammen. Und es gehen die Tweets, die fast alle öffentlich sind, schätzungsweise zur Hälfte an digitale Gespenster. Fake-Accounts indessen sorgen für Fake-News, was bei Twitter ein unübersehbares Problem ist. Dass sich Twitter dennoch als grösstes Nachrichtenportal entpuppte und die seriösen Medienagenturen zunehmend in Interpreten verwandelt, mag erstaunen. Heute behauptet sich Jack Dorsey (Bild) an der Spitze des bald 100 Milliarden Dollar Unternehmens. Der unbotmässige Möchtegern-Modedesigner und Geck hat die drei anderen Gründer aus der Firma verdrängt. Herausgeworfen - und zurückgeholt, darüber haben wir doch schon bei Steve Jobs berichtet? Wegen auffallender Ähnlichkeit seiner Karriere mit Steve Jobs jagt er seinem grossen Vorbild nach und imitierte es in jeder Hinsicht. Deswegen kann er heute auch unter dem Begriff “Steve Jobs 2.0” gegoogelt werden. Und in der Tat: seit seiner Rückkehr zu Twitter und dem Rausschmiss aller Gründer aus dem Twitter-Führungsteam, das heute auch aus zwei Frauen besteht, macht @Jack seinen Job als CEO bei Twitter gut. Und wie Jobs ist er überdies im Vorstand von The Walt Disney Company.