Montag, 2. Februar 2009

Google Books

Kennen Sie den Traum vom kleinen Raum mit Tisch, Stuhl, Leselampe und an den vier Wänden vom Boden bis zur Decke Bücher, Bücher..., die Sie alle gelesen haben. Ein magisches Gefühl der Allwissenheit beseelt Sie, wann immer Sie sich hinsetzen, zielbewusst Texte herausgreifen und nach Ihrem Geschmack verwerten. Diesen Traum – ich hatte ihn im Jugendalter – müssen auch die Google-Macher kennen, da sie auf die Idee kamen, allen geistlosen Urheberrechts-Dämmen zum Trotz[i] ganze Bibliotheken zu scannen und immer grössere Teile davon frei zugänglich ins Internet zu stellen. Dieses Projekt ist schon weit gediehen – und hat eine Prozesslawine ausgelöst. Doch Google ist stark und nimmt den Kampf auch mit juristischen Waffen auf. Der Grundgedanke dabei ist, nicht nur in den elektronischen Texten auf Webseiten, sondern auch auf gedrucktem Papier aller Bücher und Zeitschriften zu «googeln». Ganz eindeutig hat es Google darauf abgesehen, die Bücherwelt von ihrem sterilen rechtlichen und letztlich autorenunfreundlichen Containment zu befreien, ein Vorhaben, das meines Erachtens überfällig ist. Was nützen die schönsten und scharfsinnigsten Gedanken, wenn sie niemand lesen kann, weil der Kauf zu teuer wenn nicht unmöglich (vergriffen) und der Gang in die Bibliothek mit schier unüberwindlichen Hürden verstellt ist. Mehr noch: Wenn jemand sich über ein hochspezifisches Thema schlau machen möchte, kann er Monate damit verbringen, die relevanten Schriften dazu zusammenzutragen. Bei Google Books[ii] dauert das Minuten. Bei wissenschaftlichen Themen muss man auch Google Scholar[iii] hinzuziehen, womit überdies die ganze begutachtete Forschungsliteratur zur Verfügung steht.

Schlagwörter wie «Bretton Woods», welche Lösungsansätze versprechen, um aus der Misere zu kommen, werden von nun an auch auf unzähligen Buchseiten und in gedruckten Zeitschriften[iv] gesucht – und gefunden. Ich habe Zeitschriften gesehen, die bis ins vorletzte Jahrhundert zurückreichen. Man kann sie mit «Systemdynamik» kombinieren um jene Schnittmenge zu bilden, welche die besonders raren Arbeiten ans Licht bringt, die das Weltfinanzsystem dereinst auf wirklich stabilere Fundamente zu stellen vermögen.[v] Ein Beispiel unter Tausenden. Was darf man von dieser Wissensaggregation erwarten? Eine Emergenz des Verstandes und hoffentlich auch der Vernunft und schliesslich vertieftes Wissen. Zündende Ideen werden viel schneller aufgegriffen, weil sie von vielen Suchenden gleichzeitig ergoogelt und verinnerlicht bzw. umgesetzt werden.

Derzeit muss Google mit den Gerichten Kompromisse eingehen.[vi] Deshalb berichtet Google nüchtern über die heutigen Einschränkungen dieses utopischen Projekt. Man kann nicht alle Bücher dieser Welt kostenlos herunterladen, nur solche, die urheberrechtlich frei sind, zumal alte Bücher sind darunter. Paradoxerweise sind damit alte Bücher leichter greifbar als neuere, von denen entweder Auszüge im Volltext vorliegen oder eine Art Schnipsel mit dem gedruckten Kontext um den Suchbegriff. Da zeigt sich bereits, was das Buch für den Suchbegriff hergibt. Man kann sich auch ein Bild von der Typografie machen. Daneben gibt es Hyperlinks zu den Bezugsquellen des Buches.[vii] Alte Bücher können jetzt schon als voll verwertbares PDF-File, das heisst im Volltext, heruntergeladen wird. Nota benen scannt Google die Papiere nicht etwa nur bildhaft, sondern es werden die Texte automatisch gelesen, anders wäre eine Stichwortsuche undenkbar. Man spricht von Optical Character Recognition (OCR).

Vergriffene aber urheberrechtlich geschützte Bücher, die für die heutige Leserschaft verloren sind, wird Google Books online verkaufbar machen. Aus unserer Sicht ist es ein wahrer Segen für die Verlagsbranche, dass Autoren und Verlage Geld mit Büchern verdienen können, die bereits endgültig vom Markt verschwunden schienen, schreibt Google dazu. Aber auch bei rezenten Büchern dämmert bei Google ein neues Zeitalter heran. Als mit Abstand potenteste Suchmaschine ist Google in der Lage und auch dazu berufen, das unendliche Wissen und alle kulturellen Schätze, die im Bücheruniversum enthalten sind, aus den verstaubten Deckeln zu befreien, indem es sich alle jenen problemlos öffnet, die Antworten suchen, die möglicherweise schon durchdacht und schriftlich niedergelegt wurden. Das Credo lautet: Wir bei Google lieben Bücher und unser grösster Wunsch ist es, dass sich die Google Buchsuche zu einem Service entwickelt, der dazu beiträgt, den langfristigen Erfolg von Büchern und deren Autoren und Verlagen zu sichern. Über kurz oder lang wird den Verwertungsgesellschaften die Luft ausgehen, weil die Autoren sich abwenden werden, denn mit den Mitteln von Google können sie in dem Masse entschädigt werden, wie sie gelesen werden. Bei vielen Autoren wird sich die Leserschaft sprunghaft vergrössern, weil sie zwar nicht bekannt, aber für das gesamte Publikum des jeweiligen Sprachraums gut und relevant oder schlicht lesenswert sind. Bei den begutachteten Forschungstexten ist eine parallele Entwicklung im Gange, indem ein Forschungsbericht sofort publiziert werden kann und erst nachträglich von der offenen Leserschaft für alle nachlesbar kritisiert wird. Eine solche Entwicklung ist sehr zu begrüssen, denn es wird unorthodoxe Forschung entfesseln, da sie nicht mehr von etablierten Gutachtern verschleppt oder gar unterdrückt werden kann. Ansätze unter dem Begriff Open Peer Review sind etwa bei Nature oder auch am Cern im Gang. Man darf gespannt sein, wie Google Scholar diese Ansätze unterstützt.
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[i] http://books.google.com/intl/de/googlebooks/agreement
[ii] http://books.google.com oder http://books.google.de oder http://books.google.ch
[iii] http://scholar.google.com/ oder http://scholar.google.de oder http://scholar.google.ch
[iv] Ich habe heutige Zeitschriften gesehen, die bis ins vorletzte Jahrhundert zurückreichen, Beispiel «Popular Science» ab May, 1872. Sehr eindrücklich ist die Veränderung der typografischen Gestaltung im Laufe der Zeit.
[v] www.santafe.edu ist eine Forschungsstätte für zukunftsweisende Lösungsansätze.
[vi] http://books.google.com/booksrightsholders Hier können sich Autoren eintragen, deren Bücher von Google teilweise gescannt im Internet erscheinen. Sie werden dann von Google finanziell entschädigt. Dies hat die amerikanische www.authorsguild.org mit Google ausgehandelt (s. Blog vom 4. Dec. 2008: Authors Guild v. Google Settlement Will Work).
[vii] http://books.google.ch/intl/de/googlebooks/screenshots.html