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Diese Kolumne ist dem Kultbuch von Yuval Noah Harari gewidmet, einer
Geschichte der Menschheit auf 476 Seiten.[1] Es
liest sich spannend wie ein Kriminalroman. In grossen Bögen führt es zur
heutigen Verfassung der Menschheit und entwirft auf diesem Fundament wahrscheinliche
Szenarien, die unsere Enkel mit einer neuen Weltreligion konfrontieren werden,
die der Autor Dataismus nennt. Damit einhergehende
Umwälzungen verdienen Beachtung, weil sie unsere gesellschaftliche Verfassung
und den modernen Menschen als Krone der Schöpfung grundlegend in Frage stellen.
Dabei geht es aber nicht um die Aufwertung von Tieren, sondern um die
Machtübernahme durch Algorithmen. Hararis Buch ist aus der grossen Flughöhe des
Historikers geschrieben. Anderes wäre angesichts des gewaltigen Stoffs gar
nicht möglich. Dazwischen sorgen viele klug ausgewählte Beispiele für ein
unmittelbares Verständnis. Mehr noch: Das umfangreiche Buch (und sein Vorläufer "Eine kurze Geschichte der Menschheit") verdient einen
Literaturpreis, weil es in einer kunstvoll-treffenden Sprache geschrieben ist,
selbst in seiner deutschen Übersetzung. – Worum geht es?
I
Die Menschheit entwickelte sich über animistische
Kulturen der Jäger und Sammler zu monotheistischen Gesellschaften jüdischer,
christlicher, islamischer Prägung hin zum Humanismus
der letzten Jahrhunderte. Diese universelle Religion stellt bis heute den
Menschen als Mass und Sinnstifter in den Mittelpunkt. Der Mensch feiert sich
selbst als die Krone der Schöpfung. Es bestehen zwar durchaus grosse Unterschiede
zwischen Spielarten wie dem nationalsozialistischen, dem kommunistischen und
dem liberalen „Humanismus“. Geprägt vom aufbrechenden wissenschaftlichen Geist glaubt
die Mehrheit – auch der Liberalen – nicht mehr an übernatürliche Mächte. Doch
sind wir alle darin einig, dass der Mensch ein Bewusstsein hat, das ihn zum
Schmied seines Glücks macht. Das Credo von uns Heutigen ist: Ich glaube an
meinen sich selbst bewussten Geist. Zwar verfügen wir über Einsichten, wie das
ferne Universum entstanden sein könnte, aber wie dieses Nächste, diese mir so vertraut-reale
Innenansicht meiner selbst, entstanden sein könnte, darüber hat die
Wissenschaft keinen blassen Schimmer. Mehr noch: Was unsere Gesellschaft
zusammenhält und funktionstüchtig macht, ist die „intersubjektive Realität“.
Beispielsweise sind sich Muslime, Christen und Juden erstaunlich einig darin,
dass sich nur mit Geld wirtschaften lässt. Oder dass alle heute ein Smartphone haben
sollten, um sich in der Welt zu bewegen. Selbst die Landsgemeinden werden es
bald statt des Stimmzettels benützen. Wir glauben, dies auch den Kindern zumuten
zu müssen, obgleich das iPhone vor 10 Jahren noch völlig unbekannt war und
namhafte Experten dagegen halten.
II
Unsere Bundepräsidentin warnt im
Wirtschafts-Dachverband, wenn das 100x schnellere 5G-Internet nicht bald
funktioniere, werde die Schweiz digital abgehängt.[2]
Mit Hochdruck wird die Entwicklung vorangepeitscht. Die Tech-Konzerne
applaudieren. Elektrosensible haben das Nachsehen. Leuthard sprach ihren Appell
in ein Mikrofon, das am Rednerpult nur mit Klebband befestigt war, was geradezu
sinnbildlich anmutet für das unsolide Fortschrittsdenken, das hier gepredigt
wird. Wohin geht denn die Reise im Dataismus,
der jüngsten globalen Spielart unserer liberal-kapitalistischen
Glaubensgemeinschaft? Der Historiker Harari hat die Übersicht und konstatiert: "Wenn die Welt tatsächlich ein einziges
Datenverarbeitungssystem ist, was ist dann sein Output? Dataisten würden
behaupten, dass es die Schaffung eines neuen und noch effizienteren
Datenverarbeitungssystems ist, das man als Internet aller Dinge (IoT) bezeichnet.
Sobald diese Mission erfüllt ist, wird Homo sapiens verschwinden." -
Wie kommt der Historiker zu dieser verstörenden Einsicht? Tatsächlich ist #IoT
überall auf dem Vormarsch. Algorithmen durchdringen den Alltag, wohin man
schaut. Und es ist gängige biologische Lehre, dass Tiere, Emotionen und auch
die menschliche Intelligenz nur Algorithmen sind. Eichendorff schrieb: „Die Welt hebt an zu singen, triffst du nur
das Zauberwort.“ Heute ist das
Passwort der Zugang zum Informations-Schlaraffenland.
Und morgen? In der hypervernetzten Welt werden
superintelligente Algorithmen die Regie übernehmen. Sie kennen uns besser, als
wir selbst. Wir werden verschwinden, weil wir nicht mehr gebraucht werden.
Nicht, dass wir nicht mehr da wären, im Gegenteil. Wir werden in der
Datenkirche als Konsumenten gleichermassen gehätschelt und abgezockt, und die gutversicherten
und mit ihren Daten zahlenden Patienten werden zu quasi Unsterblichen gepflegt.[3] Aber wir werden immer weniger zu entscheiden haben; unsere Macht wird sich
unmerklich auflösen. Wir werden zu austauschbaren Chips im galaktischen
Computer degradiert. Derzeit findet eine Inventarisierung der Menschen statt.
Das kommende iPhone X vermisst unser Antlitz, bevor es uns den
lebensnotwendigen Zugang gewährt. Der Datenhunger der Konzerne kennt keine
Grenzen. Bald hält jedes Kind ein solches Denkzeug vor sein heiliges Gesicht.
III
Das 20. Jahrhundert ist gezeichnet durch mörderische
Religionskriege zwischen den kommunistischen,
faschistischen und liberalistischen Konfessionen. Zwar waren diese drei vereint
im „humanistischen“ Glauben, „dass Gott tot ist und dass allein menschliche
Erfahrung dem Universum einen Sinn gibt.“ Angesichts des blutigen Gemetzels
erscheint das ganze 20. Jahrhundert als ein grosser Fehler. Wie vor 1914
glauben Liberale heute wieder, die Geschichte stehe auf ihrer Seite. Krieg als
Vater aller Dinge hat neben Vernichtung indes auch grundstürzende Neuerungen
gebracht: Regelungstechnik und Computer (John von Neumann, Alan Turing, Karl
Zuse), 1950 prophetisch als Kybernetik (Norbert Wiener) konzipiert, Informatik
(Karl Steinbuch), PC und iPhone (Bill Gates, Steve Jobs) und Internet
verschmolzen zur universellen Digitalisierung via Cloud (Urs Hölzle) und KI
(Larry Page, Sergey Brin) und den sozialen Netzen (Mark Zuckerberg, Jack
Dorsey).[4]
Nun entsteht das Internet aller Dinge #IoT. Es, das allmächtige digitale System, braucht uns dann nicht mehr –
mich – das entscheidungsfähige Ich, das in der modernen biologischen Lesart
ohnehin nur eine Täuschung ist, weil Es alles besser weiss und besser kann.
Poststellen und Bahnhöfe werden durch Plattformen im Handy ersetzt. In der
eigenen Wohnung bewegst du dich sprachgesteuert, bedient und unterhalten vom
allwissenden Es. Harari bringt viele
Beispiele, wie sehr wir durch die Digitalisierungswelle ökonomisch abgehängt
werden, weil nichtbewusste Algorithmen die Jobs übernehmen. Der Bundesrat
fördert diese Entkopplung künstlicher Intelligenz vom menschlichen Bewusstsein.
Der Liberalismus ist nicht nur durch die Wissenschaft bedroht, die fand, dass
es keine freien Individuen gibt, sondern durch das digitale System, das auf
unseren freien Willen keine Rücksicht nimmt. Der Mensch denkt, und weiss es –
das System lenkt, weiss es aber nicht. Bis heute deutet nichts darauf hin, dass
Algorithmen je Bewusstsein erlangen werden. Wird dieser Unterschied uns vor dem
Verschwinden retten?
IV
25 Jahre sind es her, als sich John C. Eccles, Karl
Popper und Daniel Dennet leidenschaftlich darüber stritten, ob das immaterielle
Selbst die Algorithmen des Gehirns steuert.[5]
Der Neurobiologe Eccles postulierte dazu Psychonen – geistige Felder als Träger
unseres bewussten Selbst – die sich über die Dendronen der Hinrinde stülpen, um
diese quantenmechanisch anzuregen, ohne die Erhaltungsgesetze der Physik zu
verletzen. Die meisten von uns besässen doch einen natürlichen dualistischen
Glauben an eine Wechselwirkung zwischen Geist und Gehirn, hoffte Eccles. Eccles
forderte damit die Materialisten heraus. Und er fragte sie, ob sie sich dafür
hergäben, ihre Töchter mit Robotern zu verheiraten. Es nützte alles nichts. Der
Nobelpreisträger John C. Eccles war ein grosser Neurobiologe, aber er wird
heute kaum mehr zitiert. Ein Blick auf die Gassen zeigt: Wir sind schon heute
Cyborgs, denn alle, wirklich alle, starren in die kleinen Helferlein und können
sich keine freie Minute mehr ohne sie vorstellen. Smartphones sind die
Interfaces zum Datenhimmel, der im Silicon Valley immer umfassender und
raffinierter ausgestattet wird. Dies ist unsere gegenwärtige dualistische(!)
Verbindung zur Geist-Welt im Cyberspace. Eccles Psychonen haben endgültig
ausgedient und den Datenwolken Platz gemacht. Indessen arbeiten Apple und
Google an der nächsten Disruption, sie möchten das kleine Gerät aus unserer
Wahrnehmung ganz verschwinden lassen zu Gunsten einer völlig transparenten
Verbindung zum Cyberspace. Dieser wiederum wird immer mehr mit allem
Lebensnotwendigen bestückt, für Kommunikation, Belehrung, Bezahlung,
Unterhaltung, Anleitung, Erbauung, Entscheidung, und noch viel mehr, mit
undurchschaubarer Rechenleistung für den eigenen inneren Optimierungsbedarf.
Zum Beispiel wird vom System heute dringend verlangt, Fake-News augenblicklich
zu erkennen und zu entfernen. So wie das Hirn, spricht auch der Cyberspace
hauptsächlich zu sich selbst. Somit enthüllt sich immer deutlicher das Bild
einer dataistischen Gesellschaft, die
sich vollends durch Algorithmen leiten lässt. Der Preis sind die Daten eines
jeden von uns, die wir dem System zu liefern haben. Harari: „Zu Beginn des 3.
Jahrtausends ist der Liberalismus nicht nur durch die Vorstellung, wonach es
keine freien Individuen gibt, bedroht, sondern durch ganz konkrete
Technologien. Wir stehen vor einer wahren Flut äusserst nützlicher Apparate,
Instrumente und Strukturen, die auf den freien Willen individueller Menschen
keine Rücksicht nehmen. Können Demokratien, der freie Markt und die
Menschenrechte diese Flut überleben?“ Am Ende stehen wir vor der Wahl, uns in
den Daten zu verlieren wie Sandburgen am Strand in der Flut – oder unser
Selbst-Bewusstsein auf ein solides Podest zu stellen, den Biologen zu erklären,
warum das entscheidend ist, und den Tech-Konzernen ethische Grenzen zu setzen.[5] Unsere dringendste grosse Frage wird sein: Ist Leben wirklich nur
Datenverarbeitung? Da sind die Geisteswissenschaften gefordert. Der allwissende
Cyberspace mit all seiner biologisch-physikalischen Kompetenz ist dafür völlig
blind.
[1] Yuval
Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen. C.H.Beck-Verlag, 2017, 476
S., ISBN 9783406704017.
[2] https://www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/leuthard-ohne-5g-verliert-wirtschaft-bei-digitalisierung-anschluss-131646349
[3] NZZ / Adrian Lobe: Herr, unsere täglich Technik gibt uns! Wir sind so säkular wie noch nie. Aber den Heilsversprechen der Computer-Gurus können wir uns nicht entziehen. Neue Zürcher Zeitung, 19. September 2017, p.37
[3] NZZ / Adrian Lobe: Herr, unsere täglich Technik gibt uns! Wir sind so säkular wie noch nie. Aber den Heilsversprechen der Computer-Gurus können wir uns nicht entziehen. Neue Zürcher Zeitung, 19. September 2017, p.37
[4] Alle Portraits dieser Neuerer sind in diesem Blog zu nachzulesen.
[5]
John C. Eccles: Wie das Selbst sein Gehirn steuert. Piper-Verlag, 1994, 281
S., ISBN 3-492-03669-4.
[5] Yuval Noah Harari: Reboot for the AI revolution. Nature, Vol. 550, 19-Oct-2017, p.324-327.
[5] Yuval Noah Harari: Reboot for the AI revolution. Nature, Vol. 550, 19-Oct-2017, p.324-327.