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Stanislaw Petrow hieß der Mann, der in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1983 ein nukleares Inferno verhinderte. Ohne seinen einsamen Entscheid, die Meldung als Fehlalarm des Computers eines sowjetischen Spionagesatelliten einzustufen, könnte ich jetzt diese Kolumne nicht schreiben. Der sympathische Offizier, ein Computer-Ingenieur im besten Alter, hatte Familie, doch die wusste nicht, wo er arbeitete. In einem atomsicheren Bunker südlich von Moskau erlebte der Kommandant des nuklearen Vergeltungsarsenals der Sowjetunion eine heiße Nacht. Seine Computer meldeten eindeutig den Start von fünf amerikanischen Pershing II-Raketen aus ihren Silos. Alles deutete auf einen Erstschlag hin, der die russischen Hauptstädte vernichten sollte. Es waren große Nato-Manöver im Gange. Sowjetische Spione sammelten im Westen Hinweise auf Angriffs-Vorbereitungen. Margaret Thatcher besuchte im Panzer ihre Truppen im Feld. Präsident Reagan dislozierte in einen Kommandobunker. Viele Zeichen standen auf Sturm; das Raketen-Wettrüsten war auf einem Höhepunkt. Im Kreml herrschte ein überaltertes Politbüro, das krank und angstvoll re(a)gierte. Oberst Petrow, der die Angriffsmeldung als Erster erfuhr, hatte nur Minuten Zeit, um den Zweitschlag auszulösen. 260 Raketen des Typs SS-20, jede mit einer Megatonne Sprengkraft, waren auf Europa gerichtet. Obgleich alle Hinweise widerspruchsfrei bedeuteten, dass der Ernstfall nun eingetreten sei, entschied Petrow, aus einem Bauchgefühl heraus, den Alarm nicht weiterzuleiten. Er misstraute den sowjetischen Computern, die er selbst programmiert hatte. Wie Recht er hatte! Sein Bauchgefühl verhinderte ein nukleares Inferno mit Wasserstoffbomben. Obgleich er sich den Dienstvorschriften widersetzte, wurde er nicht bestraft. Als die Sache ruchbar wurde, erhielt er im Westen Friedenspreise. Der Mann, der den Weltuntergang verhinderte, starb 2017 in Moskau verarmt. – Dieser ungeheure Vorfall lehrt uns, dass wir es nicht zulassen dürfen, den Algorithmen das Feld ganz zu überlassen. Menschliches Bauchgefühl ist wichtiger als rationales Kalkül.
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Quellen:
[1] (Link) Ronald G. Gerste: Haarscharf an einem Atomkrieg vorbei. NZZ, 25.9.2013
[2] (Link) Chronik von Karl Schuhmacher, der Petrow 1999 ins Ruhrgebiet einlud.
[3] (Link) Benedict Neff: Der Mann, der den dritten Weltkrieg verhinderte. BAZ-online, 8.8.2015