Sonntag, 14. Dezember 2014

Norbert Wiener



Neben von Neumann, Zuse und Turing ist Norbert Wiener einer der grossen Pioniere des digitalen Universums, das nach dem zweiten Weltkrieg entstand. Norbert Wiener und John von Neumann bildeten in den USA eine Art Doppelgestirn, sie umkreisten einander und blieben doch auf Distanz. Beide waren an der Physik und am Computer interessierte Mathematiker; beide hatten in den USA einen grossen Einfluss. Ihr Lebenswerk ergänzte sich. In den Sommern 1924-26 weilte Wiener in Göttingen, wo sie sich kennen und schätzen lernten. Ein für Juden bedrohlicher Nationalismus war eine verbindende Gefahr. Was sie trennte, war ihr grundverschiedener Charakter und ihre Art zu publizieren. Man könnte von Neumanns Werk mit J.S. Bachs strengem und glasklarem Kompositionsstil vergleichen. In dieser Hinsicht wäre Norbert Wiener der verspielte Mozart: „zu viele Töne“ und dennoch von grösster Tiefe und Wirkung, jedoch mit einem kindlich leicht erregbaren Gemüt. Wie Mozarts Vater sah auch Wieners Vater (Sprachprofessor an der Harvard-Universität) im Sohn ein Wunderkind und förderte es bis zum Exzess. Mit 14 Jahren trat Norbert in Harvard ein und schloss 4 Jahre später mit einer Dissertation über mathematische Logik ab. Selbst das Postdoc-Studium bei Russel und Hardy in England kam auf persönliche Vermittlung des Vaters zu Stande. Norbert Wiener beherrschte 10 Sprachen, reiste gern und viel, bis nach China. Wieners Theorie der Brownschen Bewegung klärte den Zugang zu stochastischen Prozessen mit Auswirkungen in Biologie, Ingenieurwesen und Quantenphysik bis heute. Hier korrigierte ein junger Mathematiker Fehler in Einsteins Theorie, als dieser 1921 den Nobelpreis erhielt! Wiener festigte seinen Ruf als erstrangiger Mathematiker. In jener Zeit war er bereits Professor am MIT, eine Position, die er lebenslang innehatte. Das MIT bildete vor allem Ingenieure aus. Norbert Wiener war mit den Händen völlig unbegabt. Umso mehr freute er sich, die Probleme der Ingenieure mit seinem Werkzeug, der Mathematik, zu lösen. Am MIT war er ein kantiger mathematischer Problemlöser und visionärer Philosoph.

In diesem Blog geht es derzeit darum, die Erfinder des digitalen Universums aufleuchten zu lassen. Ihre Eigenart, ihre Motivation, ihre Bedeutung aus heutiger Sicht interessieren uns. Von Globalisierung konnte damals, im Dunstkreis des 2. Weltkriegs, noch keine Rede sein. Der Computer entstand in den drei Technik-Nationen Deutschland, England und USA unabhängig. Nur zwischen England und den USA gab es einen gewissen Austausch, der von den Geheimdiensten kontrolliert war. Alles war abgeschottet. Das Verhältnis zwischen den reinen Mathematikern und den Ingenieuren war frostig. Der Krieg indessen mischte vieles auf und verpflichtete Mathematiker und Physiker zur Wehrtechnik. Für die einen war dies ein Opfer auf dem Altar des Vaterlands, für die andern eine Motivationsspritze und Inspirationsquelle ohnegleichen. Zu diesen gehörte der US-Bürger Norbert Wiener, endlich wurde er wirklich gebraucht. Mit dem jungen brillanten Ingenieur  Julian Bigelow erfand er in Rekordzeit ein Fliegerabwehrsytem. Der Feuerleitrechner wurde als verlängertes Organ des Schützen konzipiert, der die Bewegungen des feindlichen Bombers ins Visier des Radars nimmt, seine Flugbewegung antizipiert, mit räumlichem Vorhalt zielt und die Zeit treffsicher abschätzt, nach welcher das Geschoss explodiert und den Flieger zerstört. Diese Aufgabe, die eine menschliche Hand mit Bravour löst, wenn sie eine Fliege erwischt, erwies sich mit der damaligen Technik als beinahe unlösbar. Von Wiener beherrscht wurde freilich die hierfür nötige Mathematik, die er für die Brownschen Bewegung entwickelt hatte. Und auch an praktischen Ideen fehlte es ihm nicht. Hier musste ein verrauschtes Radarziel automatisch vermessen und in den raumzeitlichen Formelkram rückgekoppelt werden, ein Mensch-Maschine Regelkreis zwischen Radarantenne und Kanone. Bigelow erschuf hierzu den Prototypen, mit dem die Richtigkeit von Wieners Ideen demonstriert werden konnte. Überliefert ist zwar nicht, dass damit Bomber abgeschossen wurden, aber in diesem Projekt erarbeitet Wiener eine umfassende Theorie, die zur Grundlage der Kybernetik wurde, der folgenreichen Lehre der elektronischen Kommunikations- und Regelungstechnik, derjenige Computer also, die unsere Produktionsstätten steuern, Fahrzeuge sicher führen, Baumaschinen wie verlängerte Arme bewegen, ja sich selber reproduzieren, und die man in der Sensomotorik in Tier und Mensch wiederfindet.

Norbert Wiener hat, wie kein Zweiter in der Welt, mit visionärem Sachverstand und existentiellem Herzblut die Kybernetik im Krieg entwickelt und bis zum Lebensende vorangetrieben, mit den Möglichkeiten und dem Prestige als lebenslanger Professor am MIT. Technik und Theorie verschmolzen in seinem Geist. Überall und in allem entdeckte er Kybernetik. Das Kunstwort vereint die griechischen Wörter für Steuermann und Herrschaft. Wiener war der Steuermann auf seinem Gebiet. Kybernetik war seine Passion, die als solche auch belächelt wurde, da er sie undiplomatisch und mit Eifer kommunizierte. Als Universalgelehrter kannte er sich überall aus und beeinflusste die verschiedensten Wissenschaften. Berühmt wurden die von ihm veranstalteten zehn Macy-Konferenzen, die zwischen 1946-53 stattfanden. Hier diskutierten die US-Experten auf den Gebieten, Mathematik, Neurophysiologie, Biophysik, Psychiatrie, Meteorologie, Ingenieur- und Computerwissenschaften, Soziologie, Psychologie, Sprachwissenschaft. Man entdeckte damals die fächerübergreifende Bedeutung der Regulierung durch rückgekoppelte Information und versuchte, mit mathematischen Modellen den gemeinsamen kybernetischen Gehalt zu ergründen. In der Tat ist zwischen dem Fliegerabwehrsystem und der Hand, welche eine Fliege fängt, kein wesentlicher Unterschied, die Theorie ist die gleiche. Besonders intensiv wurden die Rückkoppelungsphänomene in Technik und Physiologie erörtert. Die fundamentale Bedeutung zielgerichteter Regulierung wurde erkannt. Durch die Rückführung des Ausgangssignals an den Eingang wurde die Genauigkeit von Verstärkern hundertmal besser. Mit diesen Operations-Verstärkern konnte man rechnen, es entstanden die Analogrechner. Das Gehirn wurde mit den damaligen Computern verglichen, die Wiener Jahre früher andachte, wonach sie von Neumann analytisch perfektionierte und ins Werk setzte. Von Neumann bewies beispielsweise, dass sich selbst reproduzierende Automaten gebaut werden können, wobei Wiener unverzüglich die Ethikfrage ansprach, die ein solches Projekt zeitigt. Die beiden ergänzten sich und wurden vom Neurophysiologen und Biophysikern nach Kräften unterstützt. Wohin dies führte, etwa zu neurobiologischen Modellen (heute etwa die biophysikalische Entschlüsselung der Migräne), zu Prothesen für Taube, Blinde und Behinderte (heute Pflegeroboter), zu tiefen Einsichten in Herzkreislaufkrankheiten (heutige Kardiologie), sah Wiener klar voraus. Er beherrschte die Regelungstechnik im Organismus und in der Maschine mit den Mitteln der Mathematik, er – der sprachmächtige Philosoph - beschrieb sie aber auch mit viel Text.

Darüber berichtet sein wichtigstes Buch "Cybernetics - Control and communication in the animal and the machine". Das visionäre Werk richtet sich an eine breite Leserschaft. Hier ist nicht mehr von Energie und Materie die Rede. Die Wissenschaft, insbesondere die Biologie, wird nun in den Kategorien Steuerung, Rückkopplung, Nachricht und Informationsgehalt behandelt, und im Zweck, der das Ziel setzt.  Das Buch entstand 1948, als die zeitechte Rechnertechnik heraufdämmerte.  Zum Beispiel beschreibt er den Unterschied zwischen dem Newtonschen und Bergsonschen Zeitbegriff. Die Newtonsche Zeit ist reversibel. Die Bergsonsche Zeit, das ist die Zeit der lebenden Organismen, die gegen die Entropie arbeiten, ist nicht reversibel. In der Newtonschen Zeit kann nichts Neues geschehen. In der irreversiblen Zeit der Evolution und Biologie gibt es immer etwas Neues. Er vergleicht dann Gehirnvorgänge mit dem Ablauf maschineller Prozesse, und stellt fest, dass viele Probleme des Stoffwechsels und selbst der Geisteskrankheiten mit der Störung des Empfangs und der Bewertung von Impulsen und Information aus der Umwelt zusammenhängen. Gesundes Leben ist offensichtlich auf den massiven Fluss angemessener und zweckdienlicher Information angewiesen.  Es war die Zeit, als die Nachrichtenzentrale des Vegetativums im Zwischenhirn entdeckt wurde (siehe Nobelpreis des schweiz. Physiologen Walter Rudolf Hess).

Gutes Zusammenleben der Bevölkerung (Soziologie) ist ebenso auf die Verbreitung ausgewogener Information angewiesen.  Nach dem Krieg kehrten viele Wissenschaftler und Ingenieure in ihre zivilen Arbeitsplätze zurück. Die Anspannung war verflogen und machte einer diffusen Angst vor einem dritten Weltkrieg Platz. Nach den Kapitulationen der Aggressoren wurde das Zweckbündnis der beiden Grossmächte gegenstandslos. Sie standen sich hochgerüstet, mitten in Europa an einer gemeinsamen Grenze gegenüber. Der Abwurf der Atombomben auf Japan 1945 durch die USA hinterliess eine Schockwelle des gegenseitigen Misstrauens, zumal 1949 die Sowjets mit einer nuklearen Testbombe antworteten. Angesichts des Wettlaufs zu immer gewaltigeren Wasserstoffbomben stellte sich den Wissenschaftlern die Gewissensfrage. Die meisten versagten ihren Dienst an dieser apokalyptischen Aufrüstung, zu diesen gehörte Norbert Wiener an vorderster Front.

Ein Handvoll Physiker und Mathematiker jedoch schwenkte ganz auf die Staatsraison ein, insbesondere auch John von Neumann. Zwar konnte sich Johnny dank virtuoser Beziehungspflege am Institut of Advanced Study halten und dort seine geheimen Berechnungen für die „Superbomb“ durchführen. Aber er ging der Wissenschaft verloren und bediente – vielleicht unbewusst – seinen ganz persönlichen Vernichtungswahn. Lieber heute als morgen sollten die Sowjets, die seine Familie aus Budapest vertrieben hatten, in einem atomaren Erstschlag vernichtet werden. Fast wäre er mit dieser Auffassung durchgedrungen. Für den Rest seines Lebens, das folgerichtig-dramatisch endete, mutierte von Neumann zum einflussreichsten Superwaffenspezialist der Welt. -
Für Norbert Wiener war der Hauptgegner nie Russland, sondern die „Inhuman Use of Human Beings“ (1950), die durch Ausbeutung entsteht, Gewaltanwendung und Mangel an Feedback und ehrlicher Zweiweg-Kommunikation im sozialen Miteinander. Folgerichtig geisselte er Staatsordnungen, die Geld und/oder Macht an erster Stelle setzen, er nannte sie anti-homöostatisch, was die Selbstregulierung im kapitalistischen und im sozialistischen System zerstört. Norbert Wiener konterte von Neumann, „dass eine solche Maschinerie (spieltheoretisch inszeniertes nukleares Wettrüsten, worauf sich die US-Strategen tatsächlich stützten) eine punktuelle nukleare Überlegenheit erzeugt auf Kosten aller Interessen unserer Herzen, ja selbst des nationalen Überlebens.“ Hier kam die starke ethische Verankerung und das systemische Denken Norbert Wieners zu tragen, das er mit Herzblut kommunizierte, freilich ohne den Rüstungswettlauf bremsen zu können, der im Sinne des Bergsonschen Zeitbegriffs unumkehrbar war. Denn das Wissen um die Konsequenzen – weltweite nukleare Verstrahlung und Horror – wurde der breiten Bevölkerung vorenthalten. Stattdessen agitierte der Staat gegen die „bösen Kommunisten“, die man mit allen Mitteln schlagen wollte, um die „Freiheit“ durchzusetzen. Präsident Eisenhower vermittelte seinen Bürger das Bild einer grossartigen friedlichen Atomenergie und einer militärisch unantastbaren Supermacht. So schrammte die Welt mit über 2000 nuklearen Versuchsexplosionen bis heute nur mit Glück an ihrer Selbstauslöschung vorbei und pokert nach wie vor um Atomwaffen-Sperrverträgen, die von Neumann – contre coeur – kurz vor seinem Tod noch aufgleisen musste.

Norbert Wiener konstatierte, dass Lebensentfaltung im Individuum und in der Gesellschaft ultimativ von der Zufuhr adäquater Information abhängt. Geheimhaltung ist schädlich, weil sie das subtile Spiel von Checks and Balances ziviler Gesellschaften untergräbt. Was er nicht voraussehen konnte, weil es die kühnsten Visionen übersteigt, ist die Entstehung des Internets. Wir haben nun das Informations-Schlaraffenland, wo jeder und jede sich mit ein paar Klicks alle Quellen studieren kann. Und nicht nur das. Gute Player im Internet kommen uns immer mehr wie intelligente Wesen und Ratgeber entgegen. Ein Beispiel: Ich habe nebst anderem für meinen alten Drucker eine spezielle Tinte bestellt. Ich erwarte sie dringend, weil ich drucken muss. Zwar hat mir die Firma die Ausführung des Auftrags bestätigt, mit Auftragsnummer, leider ohne Erwähnung des Produkts. Ich klicke auf das blaue G auf meinem Smartphone und schon sehe ich eine Versandanzeige, auf welchem der Patronentyp explizit erwähnt ist. Woher weiss Google von meinem Auftrag, mehr noch, welches Produkt sich hinter meiner Auftragsnummer versteckt? Es würde zu weit führen, hier die „Allwissenheit“ und die „Einfühlung“ von Google an weiteren Beispielen zu zeigen.  Schon Wieners Feuerleitgerät verwendete einen Computer, der das Feedback zum Schützen intelligent darbot, indem er alle Einflussgrössen und Erfahrungen berücksichtigte und dem Schützen präzis mitteilte „jetzt kannst du feuern“.  Nie und nimmer wäre der Schütze ohne diesen automatischen Support in der Lage, den Bomber zu treffen. Nie und nimmer wären wir im heutigen Verkehrsdschungel in der Lage, ohne Smartphone die richtigen Entscheide zu treffen, um gerade jetzt rechtzeitig von A nach B zu gelangen, Ticketkauf inklusive.  (Jedenfalls wird das in Kürze so sein.) Nicht auszudenken, welcher Aufwand an Feedbackschleifen in den globalen Rechnerfarmen dies ermöglicht. Den Ewiggestrigen möchte ich sagen, nicht umsonst haben alle das kybernetische Helferlein vor der Nase. Es scheint als hätte die Menschheit auf nichts anderes gewartet, und fast niemand will mehr darauf verzichten. Kommunikation und Internet liegen wie eine immaterielle, geistige Haut über dem Globus, die alles, wirklich alles, verändern wird. So wie sich in den Werken John von Neumanns letzten Endes die globale Selbstvernichtung abzeichnete, zeitigt das Werk Norbert Wieners die Errungenschaften der modernen Welt, die zum Glück bis heute überlebt hat, und die, so dürfen wir berechtigt hoffen, in den Händen unserer gut geschulten Enkelkinder in eine hoffentlich für alle Menschen lebenswerte Zukunft reist.

Unser Protagonist war seinen Studenten ein äusserst hilfsbereiter Professor, er griff auch selbst zur Schreibmaschine, wenn er eine gekritzelte Arbeit publikationswürdig fand. Legendär ist der junge Schwerverbrecher, der ihn aus dem Gefängnis um eine Studienarbeit bat. Wiener ging bereitwillig darauf ein, versorgte den mathematisch Begabten mit Literatur und besuchte ihn sogar. So sehr er seinen geringsten Schülern Gutes tat, so sehr mied er die Kumpanei mit Mächtigen. Er drohte sogar mit seinem Rücktritt, um die Annahme von Forschungsgeldern aus Militärbudgets durch seine Universität zu verhindern. Umgekehrt drückte er dem MIT, das sich durch ihn von einer Technikerschule zu einer Universität wandelte, seinen Stempel auf. Doch wie hat der Begründer der Kybernetik die weitere Entwicklung in der Welt geprägt, was wirkte nach? Wiener war in der Mitte des letzten Jahrhunderts eine Art Katalysator beim Übergang vom Energie- in das Informationszeitalter. Inspiriert durch seinen Kriegsjob, der Erfindung eines Feuerleitsystems, entwickelte sich aus dem Protoypen dieses Automaten zur Zielschätzung und Servosteuerung die Informations- und Systemtheorie. Ein Elektroniker baut derartige Automaten mit Lötkolben und Vorstellungskraft intuitiv, ein Mathematiker befriedigt dies nicht, und einen Philosophen erst recht nicht. Und Wiener war beides, und damit war er der ideale Mentor des Homo Faber. Das Foto zeigt ihn mit einem elektronischen Käfer mit Augen aus Photozellen, ein Versuchsroboter zum Studium verschiedener Arten der Schüttellähmung in der Neurologie. Hinter ihm die Wandtafel mit den zur Modellierung verwendeten Gleichungen. Er war ein Genie des Brückenschlags zwischen Ingenieurwissen und Humanwissen in Biologie, Ökonomie, Linguistik, Soziologie, Psychologie, ja selbst Theologie. Er hat Neuland betreten für viele, die auf ihren Gebieten selbst Geschichte schrieben, etwa indem man Lichter auf solche Automaten steckte, womit sie sich gegenseitig beeinflussten. Ein sozialer Austausch, ein Gruppeneffekt wurde simuliert. So nahm Wiener die moderne Robotertechnik vorweg. Seine Bücher für ein geistig reges Publikum sind Bestseller, voll literarischer Metaphern, Bilder und Anspielungen. Dennoch bringt er in seinem letzten Buch „Gott und Golem“ seine Herkunft ins Spiel, wenn er warnt: Kybernetik ist nichts, wenn sie nicht mathematisch ist. Diesen Satz kann man auf das ganze Werk Norbert Wieners beziehen. Wer seine frühen Arbeiten über statistische Physik und den Zusammenhang von Information mit Entropie dazu zählt, dem zeigt sich das Bild eines liebenswürdigen Geistesriesen, dessen Einfluss auf unsere Generation nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Literatur von und über Norbert Wiener:
- Ex-prodigy. My childhood and youth. New York, Simon and Schuster 1953 (Autobiographie)
- Heims, Steve J.: John von Neumann and Norbert Wiener: From Mathematics to the Technologies of Life and Death, 3. Aufl., Cambridge 1980.
- Cybernetics, or control and communication in the animal and the machine, Wiley 1948, 2. Auflage, MIT Press 1961, deutsche Übersetzung: Kybernetik. Regelung und Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine, rororo 1968 sowie Econ Verlag 1992
- Als Herausgeber: Cybernetics of the nervous system, Elsevier 1965
- The human use of human beings. Cybernetics and Society. Boston, Houghton Mifflin 1950; deutsche Übersetzung: Mensch und Menschmaschine. Frankfurt am Main, Metzner 1952, 4. Auflage 1972
- "GOD AND GOLEM, Inc., A Comment on Certain Points where Cybernetics Impinges on Religion. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts, 1963

Freitag, 5. September 2014

John von Neumann

*28. Dezember 1903 in Budapest (Österreich-Ungarn) als János Lajos Neumann
† 8. Februar 1957 in Washington, D.C.
Man kann das Leben des amerikanischen Computer-Erfinders von seinem letzten Werk her aufrollen: Krebskrank auf dem Sterbebett arbeitete John von Neumann an seinem Vortrag Computer und Gehirn, den er auf Einladung von Yale's Silliman Lectures halten sollte. Sein Tod 1957 vereitelte dies. Die Parallelen zu Turing frappieren: Beide Pioniere kamen von der Mathematik über den Computer zur Biologie. Doch John von Neumann war anders: weltläufig, extravertiert, Gastgeber legendärer Partys, ein in Regierungskreisen hoch angesehenes Mitglied der Atomenergie-Kommission. Er arbeitete ungemein produktiv in verschiedensten Disziplinen. Nicht weniger als 150 Fachartikel wurden von ihm publiziert. Für die Physiker, die sich untereinander nicht mehr verstanden, schrieb er 1932 ein klärendes Buch: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik.[1] Darin geht er dem Messproblem auf den Grund. Seine Interpretation der Quantenmechanik ist eine bis heute gültige Variante. Auch der erwähnte Vortrag ist kristallklar formuliert. Wer vom Begriff „Elektronengehirn“ Ebenbürtigkeit zwischen Kopf und Computer ableitet, wird eines anderen belehrt. Das Gehirn ist dem damaligen Computer vielfach überlegen, die Arbeitsweise ist grundverschieden. Doch gerade im Vergleich des Systems mit dem Organ begreift der Leser, wie beide rechnen. Von Neumann hatte die Gabe, komplexe Dinge leichtfasslich zu vermitteln. Diese Gabe kombinierte er mit einem überirdischen Verstand und einem fotografischen Gedächtnis. Seinen Kollegen war er ein gesuchter, aber gefürchteter Ratgeber. Oft griff er gute Ideen auf, entwickelte sie weiter und brauchte sie in eigenen Publikationen. Umgekehrt teilte er sein Wissen freimütig. Für die Regierung wurde er im Krieg zu einem unentbehrlichen Berater. Ab 1943 arbeitete er als Berater am Manhattan-Projekt  zur Konstruktion und Zündung der ersten Atombombe „Trinity“ in der Mogave-Wüste. Wegen der damit verbundenen Rechenaufgaben verfasste er im Alleingang die erste Bauanleitung für die US-Computer. Die Behörden versuchten vergeblich, diese bahnbrechende und genial-weitsichtige Arbeit geheim zu halten.


1927 veröffentlichte „Johnny“, wie ihn seine vielen Freunde nannten, in den Mathematischen Annalen seine „Theorie der Gesellschaftsspiele“, womit er einen Teil seiner Karriere, nämlich die des Wirtschaftsmathematikers, fulminant startete. Zwar analysierte er darin nur harmlose Brettspiele, doch trug seine Theorie den Keim zu weltpolitischen Umwälzungen in sich. Der 25-Jährige liebte das Spiel und er war in Berlin und Zürich oft in Pokerrunden anzutreffen. Mathematik studierte er bei Weyl und Polya[2] an der ETH Zürich so erfolgreich, dass er als Privatdozent an die Berliner Universität berufen wurde. Dort schrieb er über seine Spieltheorie „die Übereinstimmung der dabei herauskommenden Resultate mit den bekannten Faustregeln der Poker-Spieler kann als Bestätigung unserer Theorie gesehen werden“. Also spielte er immer mit Blick auf die Verfeinerung seiner Mathematik, die  als „Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten“ 1944 als Klassiker der Wirtschaftswissenschaft herauskam.[3] Er war dann längst Professor am legendären Institut for Advanced Studies in Princeton USA, zusammen mit Einstein, Gödel, Oppenheimer, Feynman und anderen. Von Neumann und Morgensterns luzider Wälzer „Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten“, begründete aus dem spielenden Punktesammeln das profitorientierte Denken, dessen Dominanz seither die westliche Gesellschaft anpeitscht. Dieses von Neumann wesentlich mitgeprägte Denken ergriff auch die Politik der Nachkriegszeit. Militärstrategen stürzten sich auf das Werk, von dem sie bei schwierigen Planungen Entscheidungssicherheit erhoffte. Von Neumann öffnete es die Türen zu zahlreichen Beratermandaten. Im September 1949 sammmelte die US Air-Force Luftproben über dem Japanischen Meer, die radioaktives Cerium 131 und Ittrium 91 enthielten. Das konnte nur bedeuten, dass irgendwo in Zentralasien eine Atombombe gezündet wurde, was die UdSSR danach bestätigte. Die US-Regierung war schockiert, das nukleare Wettrüsten begann. Von Neumann hatte sich abermals um nukleare Bombenfragen zu kümmern. Seine mathematischen Expertisen war äusserst gefragt, zumal er sich vehement zur nuklearen Überlegenheit der USA bekannte. Folgerichtig plante man in Los Alamos nun die viel stärkere Wasserstoffbombe und im Rahmen Denkfabrik RAND der Airforce spielte man theoretisch die Option Erstschlag durch, durch welche die kommunistische Welt vernichtet und eine Weltregierung durchgesetzt werden sollte. Johnny hatte schon immer ein Faible für Anwendungen der Mathematik, je bedeutsamere desto besser (und weil es ein höheres Salär einbrachte). Hier fand er nun das ultimative Experiment, welches seine letzten Ambitionen erfüllte. Von der Sprengstofflinse (zur Zündung der Kettenreaktion), über Fluiddynamik, Schockwellen-Optimierung, quantenmechanischem Wirkungsquerschnitt, Neutronenreflexion und -moderation, bis zum Modell des Mega-Game eines Erstschlags (er war Mitglied der Target-Kommission) fand er alles vor.  Zu Kollegen, die mehr Skrupel hatten, meinte er nur: „Du hast nicht verantwortlich zu sein für die Welt, in der du existierst.“ Dieser Rat machte Nobelpreisträger unbekümmert und sehr glücklich. Johnny’s  Knochenkrebs – den er sich vermutlich anlässlich der Versuchszündung der ersten Wasserstoffbombe im Pazifik geholt hatte – peinigte ihn zu Tode. Der geborene Jude, evangelisch geschulte Student, atheistischer Mathematiker verbrachte seine letzten Lebensmonate im Gespräch mit einem katholischen Priester. 

Dass Hitler nur auf gehorsame Soldaten setzte, erwies sich als Grube, in die er selbst hinein fiel. Zuse rettete seinen Computer von Berlin in eine Scheune im Allgäu, wo ihn nicht die Wehrmacht, sondern die ETH aufspürte. In England knackten die ersten Informatiker dank Alan Turing Hitlers chiffrierte Befehle, was die Wende im Atlantik und in der Ukraine einleitete. In den USA scharten sich die Informatiker um „Johnny“, der mit seiner Superintelligenz das Kriegsende im Pazifik herbeiführte, indem er Computer baute und damit die Atombombe rücksichtslos ins Werk setzte. Ohne Turing und von Neumann und ihre Computer hätte der 2. Weltkrieg viel länger gedauert und – wer weiss – eine völlig andere Weltordnung hinterlassen. Computer waren und sind entscheidend, um Kernexplosionen auszulösen. Dass Hitler den Computererfinder Karl Zuse nicht unterstützte ist ein starkes Indiz dafür, dass die deutschen Atomphysiker um Heisenberg keine Bombe bauten, denn dafür hätten sie Zuses Rechner benötigt. Aber das wussten die Alliierten nicht. Sie wurden gepeitscht von der Angst, Hitler könnte ihnen zuvor kommen.  Doch dessen Wehrmacht kapitulierte am 7. Mai 1945, einige Tage vor der ersten atomaren Testexplosion (Plutonium-239 als Spaltstoff) in White Sands USA. Als vier Monate später, am 2. September 1945, Japan unter dem Schatten der radioaktiven Atompilze über den zerstörten Städten Hiroshima und Nagasaki bedingungslos kapitulierte, wuchs in Amerika die Furcht, Stalin könnte sich ebenfalls Atombomben zulegen. Schliesslich standen sich die beiden kampferprobten Armeen in Europa gegenüber. Tatsächlich zündeten die Sowjets am 29. August 1949 ihre erste Atombombe, die praktisch eine Kopie der in Los Alamos erbauten ersten Versuchsbombe war. Klaus Fuchs, der in Los Alamos ein- und ausging, wurde als Spion enttarnt. Rücksichtslos verstrahlte Stalin Heerscharen von Zwangsarbeiter für die überstürzte nukleare Bombenentwicklung. Die Sowjets liessen die damals modernste Isotopentrennzentrifuge zur Uran-Anreicherung durch deutsche Forscher bauen, die wohl kaum durch Patriotismus zu motivieren waren. Dafür liess Stalin sie hinrichten, wenn Sie die Ziele nicht erreichten. Die Testexplosion in Semipalatinsk war der Startschuss zum Kalten Krieg der ungleichen Gesellschaftssysteme, der im Wesentlichen in ein Wettrennen um immer verheerendere Atomsprengköpfe und Trägersysteme ausartete.


Es ist kein Zufall, dass die konstruktivsten und destruktivsten Erfindungen just zum selben Zeitpunkt entstanden. Sie bedingten einander. Am Institut of Advanced Study (IAS) in Princeton USA baute Johnny nach Kriegsende mit einer Ingenieurgruppe die IAS-Maschine. Es war der erste elektronische, binäre, speicherprogrammierbare Computer in den USA mit konsequenter Von Neumann-Architektur. Dieses Funktionsmodell wird bis heute benützt. Das hatte im noblen Elfenbeinturm, wo die Theoretiker-Elite der Welt – unter ihnen Einstein und Gödel sowie Geisteswissenschafter – ihrem Glasperlenspiel frönten, fast eine Palastrevolution ausgelöst. Ingenieure mit ihren rauchenden Lötkolben und schmutzigen Händen entheiligten die Hallen und wurden schliesslich in einem Nebengebäude untergebracht. Aber es herrschte kalter Krieg, und Johnny, der in Militär- und Regierungskreisen ein- und ausging, konnte beinahe unbeschränkte Geldmittel beschaffen. Man wollte den Sowjets die Stirn bieten und um jeden Preis innert Jahresfrist die viel stärkere Wasserstoffbombe bauen. Dazu musste man leistungsfähigere Computer haben, denn die Uranbombe war hier nur die Zündkapsel, welche die nötige Hitze (100 Millionen Grad) und den Druck lieferte, um die sonnenähnliche Kernfusion in Gang zu bringen. Gegen die Superbomben-Entwicklungskosten von 20 Millionen Dollar (eine halbe Milliarde in heutiger Kaufkraft) waren die paar hunderttausend Dollar für den Rechner Peanuts. Eine Verpuffung wollte man sich nicht leisten, denn schliesslich waren die Versuchsexplosionen im Pazifik erstklassige weltpolitische Machtdemonstrationen. Im Stillen Ozean explodierte am 1. November 1952 die erste US-Wasserstoffbombe im Teller-Ulam-Design mit 10 Megatonnen Sprengkraft. Drei Jahre später feuerten die Sowjets ihre erste kopierte thermonukleare Versuchsbombe ab. Der brillante polnische Mathematiker Stanislaw Ulam war einer der engsten Mitarbeiter von John von Neumann. Er korrigierte mit Hilfe der von ihm und Johnny erfundenen Monte-Carlo-Methode die Mängel im ersten Entwurf, demjenigen von Edward Teller, dem „Vater der Wasserstoffbombe“, bevor dieser seine Fehlkonstruktion zünden konnte. Die Monte-Carlo-Methode braucht man heute in der Wetter- und Klimaforschung, in der Nuklearmedizin und in vielen anderen konstruktiven Anwendungen.


Zeitgleich beschäftigten sich Forscher um John von Neumann, so wie auch Turing in England, mit zellulären Automaten und evolutionsbiologischen Modellen. Watson und Crick entdeckten die Doppelhelix der DNA, in der alle Erbinformationen im Kern der lebendigen Zellen codiert sind. All dies wäre ohne numerische Computermethoden undenkbar gewesen. Zweifellos waren die ersten Computer Kinder des Krieges. Sie begründeten aber die Morgendämmerung des digitalen Zeitalters, das uns heute beispielsweise die personalisierte Medizin beschert, wo dank präziser Information aus dem Erbgut von Krebszellen immer öfter auf Chemotherapie verzichtet werden kann. Ob all dieser Erfolge geht in der Öffentlichkeit fast vergessen, dass die bösen Geister noch quicklebendig in ihren Flaschen ruhen. Tausende Atomsprengköpfe und thermonukleare Megatonnen werden in den Arsenalen hüben und drüben und in Drittstaaten von einer verschwiegenen Garde erstklassiger Wissenschaftler gepflegt und gefechtsbereit gehalten. Wer mag entscheiden, ob sie uns vor dem Angriff schützen oder den Untergang vorbereiten? Werden am Ende die Glasperlenplanspiele strategischer Computer entscheiden?




[1] John von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. Springer, Berlin, 2011, 262 S.
[2] Das Buch G. Polya: Schule des Denkens hat mir während des Studiums sehr geholfen.
[3] John von Neumann, Oskar Morgenstern: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Physica, 1967, 668 S.
[4] William Poundstone: Prisoner's Dilemma.
Anchor Book, New York, 1992, 320 S.
[5] George Dyson: Turing's Cathedral. Panteon Book, New York, 2012, 432 S.
[6] Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Suhrkamp, 1996, 605 S.


Donnerstag, 24. April 2014

Alan Turing



Während in Deutschland durch die Initiative des rechenfaulen Bauingenieurs Karl Zuse der Computer trotz des Krieges entstand, lief es in England ganz anders. Zwar gab es auch hier einen herausragenden Helden, doch wurden die Entwicklungsstufen durch die Notwendigkeiten der Kriegsgeschichte diktiert. Alan M. Turing erfand in seiner berühmten Publikation On Computable Numbers 1936 die Funktionsweise eines universell-programmierbaren Computers top-down, das heisst durch rein theoretische Erwägungen, im Alter von 24 Jahren. Die Funktionsweise der so genannten Turing-Maschine wurde das Urbild des englischen Computers. Realisiert wurde dieser allerdings erst nach dem Krieg. England geriet durch Hitlers Wehrmacht  in zunehmende Bedrängnis. Churchill, dem die Verteidigung anvertraut war, tickte aber anders: Nicht nur mit Gewalt, sondern mit List sollte dem Aggressor begegnet werden. Er zog die besten Mathematiker und Ingenieure zusammen, so auch A. M. Turing, und isolierte sie im  Herrenhaus Bletchley Park (B.P.) auf der Landschaft 70 km ausserhalb Londons zwischen Oxford und Cambridge. Die Wissenschaftler dieser Universitäten konnten per Eisenbahn leicht anreisen. Dort entstand der kriegsentscheidende zentrale Nachrichtendienst. Die englischen Küstenstationen, die den Morse-Funkverkehr der Wehrmacht aushorchten, sandten die verschlüsselten Telegramme in die Hütten des Parks. In zahlreichen Baracken arbeiteten 1942 viertausend Frauen, Spezialisten und Mathematiker an den Teilaufgaben der Entschlüsselung in einer undurchschaubaren Organisation, deren Ziel es war, in Kenntnis der Befehle Hitlers und der Rückmeldungen durch Frontkommandos den Operationen der Wehrmacht zuvorzukommen. Diese geheime Strategie ging auf. Auf dem Höhepunkt des Krieges stand die Vernichtung des ganzen alliierten Nachschubs im Atlantik auf dem Spiel, als der Aggressor in U-Booten den Verschlüsselungscode verschärfte.

Es schlug die Stunde von Professor Turing, der aus seiner Verbannung zurückgeholt wurde, die er wegen einer Liebesaffäre antreten musste. Dummerweise wurden „harmlose“ Wettermeldungen aus dem Atlantik gleichzeitig mit einem leichter zu brechenden Code übermittelt, was Turing in B.P. als Einstieg diente, um den Enigma-Code gerade noch rechtzeitig zu entschlüsseln. So gelang es, den Totalverlust der amerikanischen Versorgungs-Armada abzuwenden. Die vielen U-Boote von Grossadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz wurden umfahren und mit Wasserbomben gezielt versenkt. Zur Quellenverschleierung liefen Nachrichten aus B.P. sogar über den Schweizer Nachrichtendienst, wodurch Stalin im Kursker Bogen die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte gewinnen konnte, was die Wende im militärischen Kräfteverhältnis zu Gunsten Russlands einleitete.  (Wen wunderts, dass die geschichtsbewusste Bevölkerung der östlichen Ukraine noch heute nicht viel für den Westen übrig hat.) Auch in Nordafrika musste Feldmarschall Rommel dank vorauseilenden Informationen aus B.P. den Rückzug blasen. B.P. verkürzte das Kriegsgeschehen um zwei Jahre, wie ein Historiker schrieb. Ein unmilitärisch organisierter, fröhlicher, loyaler und patriotisch hoch motivierter Haufen Intelligenz, allen voran Alan Turing, verhalf den Alliierten zum Sieg. Das Personal von Blechley Park - auf der Roll of Honour sind heute über 10‘000 Angestellte verzeichnet - wurde durch ein Kreuzworträtsel-Preisausschreiben im Daily Telegraph rekrutiert. Um sich einzufühlen, möge man den Film ENIGMA ansehen, der von Mick Jagger, Frontman der Rolling Stones, produziert wurde. So also fühlt es sich an, wenn um Freiheit und Menschenwürde gekämpft wird!

Selbstredend entstanden in B.P. auch Computer, denn ohne schnelle Rechenautomaten wäre der Nachrichtenstrom aus der Wehrmacht nicht zu entschlüsseln gewesen. Doch es waren spezialisierte, nur für einen Zweck konstruierte Maschinen. Der  frei programmierbare Denkapparat, die Turing-Maschine, und alle Spekulationen über künstliche Intelligenz blieben aussen vor. Tag und Nacht rechneten die „Turing-Bomben“ genannten Maschinen. Es waren mechanische Rechner mit Walzen, die den morsenden ENIGMA-Codiergeräten glichen. Ihr Zweck war es, alle Verschlüsselungskombinationen nach einschränkenden Vorgaben blitzschnell durchzuarbeiten. So war man in der Lage, die täglich wechselnde Verschlüsselung innert 1-2 Stunden zu knacken. Das genügte, um den Aktionen an der Front zuvorzukommen. Hitler bemerkte die allwissenden Schachzüge des Gegners zwar auch, aber er vermutete Verräter in den eigenen Reihen und konnte sich als technisch Unkundiger nicht vorstellen, dass eine Maschine menschlichen Code-Brechern derart überlegen sein könnte. Auf das Argument, dass Zuses Computer möglicherweise zum Endsieg beitragen könnte, soll Hitler geantwortet haben, dazu brauche er keine Rechenmaschine, das mache er mit dem Mut seiner Soldaten.

In England entstand gegen Kriegsende Colossus, ein elektronischer Rechenautomat, aufbauend auf den Entwürfen Turings. Zehn Stück wurden für B.P. gebaut. Damit wurden Telex-Nachrichten der Lorenz-Schlüsselmaschine geknackt. Colossus gilt zwar als der erste speicherprogrammierbare Röhren-Computer, war jedoch fest an eine bestimmte Aufgabe angepasst und nicht im heutigen Sinn frei programmierbar. Alle Colossi wurden nach Kriegsende aus Geheimhaltungsgründen zerstört.

Alan Turings Interessen waren von nun an nicht mehr an kriegswichtige Aufgaben gebunden. 1946 präsentierte er ein Papier über die Automatic Computing Engine (ACE), die Quintessenz seiner Erkenntnisse von 1936 und den Erfahrungen mit Colossus. ACE war ein Röhren-elektronischer universell-speicherprogrammierbarer Rechenautomat. Unendliche Querelen durch missgünstige Besserwisserei und Beamten-Obstruktion verzögerten die Realisierung jahrelang, in einer Zeit, als die ETH bereits mit Zuses Z4 in Zürich die Grand-Dixence Staumauer berechnete. Schliesslich konnte im Mai 1950 eine verkleinerte Variante von ACE in Betrieb genommen werden. Turing nutzte die Zeit auf seine Weise und schuf auf dem Papier zahlreiche Subroutinen, Mikroprogramme, die es erlaubten, die ACE auf einer höheren Programmebene zu betreiben, um sie bedienbar zu machen. Das lief auf eine höhere strukturierte Programmiersprache hinaus. Ihm war klar, dass die Übersetzung in Steuerbefehle auf die Maschinenebene dereinst vom Computer selbst übernommen würde, was wir heute Compiler nennen. Rutishauser in Zürich befasste sich ebenfalls mit diesem Thema und erfand schliesslich das uns ETH-Absolventen wohlbekannte ALGOL. Schon 1953 ging dann die zweite mächtigere Version von ACE in Betrieb. Daran war Alan Turing, dem, im Gegensatz zu Zuse, jegliches kommerzielles Interesse fehlte, nicht mehr beteiligt.

Nach und nach wurde der englische Computer-Erfinder von allen Projekten zur Weiterentwicklung der Elektronengehirne ausgeschlossen. Als homosexueller Geheimnisträger galt er als unberechenbares Sicherheitsrisiko. Die Zeitgeschichte um 1950, zu Beginn des kalten Krieges, entwickelte sich in eine für den Freigeist fatalen Richtung. Er beschäftigte sich auch deshalb zunehmend mit theoretischer Biologie, schuf mathematische Modelle, die für biologische Musterbildung, embryonale Zellteilung und Selbstorganisation von Mikroorganismen grundlegend wurden. Er wurde, aus heutiger Sicht, zu einem Pionier der mathematischen Entwicklungsbiologie. Es entstanden Publikationen und er betreute Doktoranden, die Modelle durchrechneten. Der Manchester-Computer wurde zum gefragten Werkzeug der Zellbiologie. Turing war ein loyaler Staatsbürger. Jedoch wurde er unsinnig bestraft, weil seine Homosexualität polizeilich ruchbar wurde und sie ihn statt ins Gefängnis in eine Hormonkur schickten, bei der ihm Brüste wuchsen und die den Retter Englands körperlich und seelisch schliss. Dennoch war seine Lebenskraft ungebrochen. Alan Turing hatte vielerlei Projekte, als sein Todesjahr anbrach. Es gab keine Zeichen von Lebensmüdigkeit. Man fand ihn am 7. Juni 1954 tot auf seinem Bette liegend, neben ihm der angebissene Apfel, den er vor dem Einschlafen regelmässig verzehrte. War der Apfel vergiftet? Dass dieses Beweisstück polizeilich nicht untersucht wurde, lässt vermuten, dass hier der Geheimnisträger eliminiert wurde. Es gibt kaum Belege für den von einzelnen Biografen überlieferten Freitod. Churchill beendete gleichzeitig die Kriegs-Memoiren und erwähnte, obgleich von Eisenhower dazu aufgefordert, seine stärkste Waffe, Alan Mathison Turing, darin mit keinem Wort! Es wurde rasch still um unseren Helden. Nur seine Mutter kämpfte um Anerkennung, mit einem eigenen Buch, in welchem sie den Tod als Unfall beim Experimentieren bezeichnete. Ehrungen und eine königliche Rehabilitierung wurden ihm erst heute zuteil.
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Ohne Turing entstand in rascher Folge die englische Computerindustrie. Für Turing wurde die Beamten-Mediokratie tödlich: (Zit. nach http://arprin.wordpress.com/2013/12/24/alan-turing-begnadigt/)
Die britischen Behörden verhafteten Turing im Jahr 1952. Homosexuelle Handlungen waren in Großbritannien bis 1967 strafbar. Er wurde vor die Wahl gestellt: Entweder Gefängnis oder Umerziehung. Notgedrungen entschied er sich für letzteres. Er musste sich einer Hormontherapie unterziehen und wurde chemisch kastriert. Sein Leben wurde zur Hölle gemacht, und am 7. Juni 1954 beging er, psychisch gebrochen, mit 42 Jahren Selbstmord. Ein vergifteter Apfel  lag neben seinem Leichnam. Wir wissen nicht, welche Folgen Turings früher Tod für die ganze Menschheit hatte. Er hatte sich nämlich auch mit anderen existenziellen Fragen beschäftigt, so z.B. wie ein Organismus aus einem Gemisch chemischer Substanzen entstehen kann, und verfasste im Jahr 1952 auch dazu einen bahnbrechenden Aufsatz (s. Turing-Mechanismus). Erst 1992 wurden seine letzten Werke veröffentlicht. Turings Bekanntheit könnte in einer Reihe mit Galileo, Newton, Darwin und Einstein stehen. Später erhielt Turing viele Würdigungen. Ein Preis wurde nach ihm benannt (der “Turing-Award“, der als Nobelpreis für Informatik gilt), viele Statuen erinnern an ihn. Erst im Jahr 2009 entschuldigte sich Gordon Brown für Turings Behandlung durch den britischen Staat, aber eine Begnadigung lehnten viele dennoch ab. Sie kam schließlich Dezember 24, 2013 zustande, viel zu spät.
Heute erinnert der angebissene Apfel an jedem Mac-Computer an diese tragische Geschichte. Churchill erwähnt in seinen 2. Weltkriegs-Memoiren auch die Einrichtung Blechley Park - top-secret bis 1973(!) - mit keinem Wort. Was wäre geschehen, wenn Turings Homosexualität 10 Jahre früher bekannt geworden wäre? Turing wäre seiner Funktion enthoben worden. Dönitz hätte im Atlantik ein leichtes Spiel gehabt und die amerikanische Armada versenkt. Hitler wäre in Russland vorgedrungen und hätte England erobert. Der Krieg hätte länger gedauert. Die amerikanischen Atombombe wäre auf Berlin abgeworfen worden und es hätte noch weit mehr Tote gegeben...

Samstag, 18. Januar 2014

Konrad Zuse

Konrad Zuse, Bild ETH Zürich
 
Es wird Zeit, Konrad Zuse, geb. 1910 in Berlin, in die Walhalla bei Regensburg aufzunehmen. In der einem griechischen Tempel nachempfundenen Ruhmeshalle werden überragende Menschen deutscher Zunge geehrt. Da stehen die Büsten von Johann Sebastian Bach, Friedrich Gauss, Albert Einstein, Wilhelm Konrad Röntgen, Gregor Mendel, Sophie Scholl, und andere; ja selbst die drei Männer auf dem Rütli schwören hier. Diese Geehrten haben bedeutende Spuren hinterlassen. Gewiss trifft dies auch auf Konrad Zuse zu, der 1995 in Hünfeld (Hessen) verstarb. Er hat die ersten programmierbaren und funktionstüchtigen Computer der Welt erschaffen. Am 12. Mai 1941 konnte Zuse die Z3, eine elektro-mechanische Rechenmaschine (wie man damals sagte) in Berlin einem zivilen Fachgremium der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt DVL vorführen. Sie verarbeitet Zahlen in binärer Gleitkommadarstellung, programmgesteuert, mit Rechenwerk und Speicher. Als Ein/Ausgabemedium dienten alte deutsche Filmstreifen, die gelocht wurden. Das war der von den Nazis unterschätzte, deshalb friedliche Startschuss ins Computerzeitalter, im Epizentrum des zweiten Weltkriegs. Was dann geschah, schildert Zuse drehbuchreif in seiner Biografie[1]. Die Z3 wurde verschiedenen Dienststellen der Wehrmacht vorgeführt, jedoch als nicht kriegswichtig eingestuft. Zuse wurde als Soldat an die Ostfront einberufen und musste seine Z3 ungeschützt in der elterlichen Stube zurücklassen, in der seit 1936 auch die rein mechanischen Computer Z1 und Z2 entstanden. Eine eigene Familie hatte er damals noch keine. Seine Eltern traten ihm zwei Zimmer ab und unterstützten den besessenen Erfinder finanziell. Die Z3 wurde auf dem grossen Stubentisch aufgebaut. Doch, o Wunder, mitten im mörderischen Feldzug wurde der noch unverletzte Zuse „uk - unabkömmlich gestellt“. Der diplomierte Bauingenieur durfte in die Henschel-Flugzeugwerke-Berlin zurückkehren, um als Flugzeugstatiker weiterzuarbeiten, wo er bald eine Teilzeitbeschäftigung erwirkte, um zu Hause, mit Kollegen aus der Studentenverbindung, seinen Computer zu verbessern. So entstand die „Zuse Ingenieurbureau und Apparatebau, Berlin“ und ein neuer Computer Z4, als der Bombenhagel einsetzte. Zuse entschloss sich, die schon leistungsfähige, tonnenschwere Z4 ins Allgäu zu retten, und dies gelang durch eine List: Ein befreundeter Physiker mit Beziehungen zur Wehrmacht schlug vor, die gewaltige Maschine offiziell mit „V4“ (Vergeltungswaffe 4) zu bezeichnen. V4 (Versuchsmodell 4) war der interne Deckname für die Zuse-Maschine. Bei diesen zwei Buchstaben standen die Parteibonzen stramm! Die Kontrollposten winkten den so beschrifteten Eisenbahn-Waggon überall durch. Man dachte an eine Weiterentwicklung von Wernher von Brauns legendären und kriegswichtigen V2 Rakete, die England arg zusetzte. Dennoch dauerte die Fahrt Wochen, denn die Strecke war beschädigt und der Aufenthalt in Bahnhöfen war wegen Tieffliegern nicht ratsam. Wie durch ein Wunder erreichte der Tross schliesslich auf Lastwagen die bayrischen Alpen, wo die Maschine in einem Schuppen versteckt wurde. Sie fiel bei Kriegsende in die Zone der Amerikaner. Zuse verhandelte geschickt, die Z4 konnte wieder in Betrieb genommen werden. Das Gerücht über den deutschen Computerbauer wurde an der ETH ruchbar. 1947 fuhr eine Delegation aus Zürich vor. Die Professoren Eduard Stiefel (numerische Mathematik), K. Rutishauser (Programmsprachen) und Ambros P. Speiser (Hardware) suchten eine Möglichkeit, die Grand Dixence-Staumauer zu berechnen. Sie mieteten den Rechenautomaten, willkommenes Geld für Zuse, der sich und seiner Familie in den Bergen mit Malereien das Brot verdienen musste. Zuse nahm die geräuschvolle Z4 im ETH-Hauptgebäude in Zürich in Betrieb. Es war der erste Computer an einer europäischen Universität. Dort leistete sie das Hundertfache im Vergleich mit einem Ingenieurbüro, das damals mit mechanischen Tischrechnern arbeiteten musste. Die Z4 klapperte unter der ehrwürdigen Kuppel Tag und Nacht. Allerdings verweilte Zuse ab und zu in Zürich, um Störungen zu beheben, und auch Rutishauser hantierte ständig daran, fütterte die Maschine mit gelochten Zahlen und entnahm die Resultate. In diesen 5 Jahren entwickelte die ETH ihren eigenen Computer, die ERMETH. Sie besass einen 1.5 Tonnen schweren magnetischen Trommelspeicher und rechnete mit 1500 Elektronenröhren. Sie verarbeitete aber nur Dezimalzahlen, was ein Rückschritt war. Mit 30 Kilowatt Verbrauch war sie empfindlich auf Spannungsschwankungen, verursacht durch vorbeifahrende Trams. Die binäre Zahlenverarbeitung von Zuses Z4 war der Zeit weit voraus, trotz der kriegsbedingt primitiven Bauelemente, darunter Komponenten von abgeschossenen und ausgeschlachteten Bomberflugzeugen. Die Z4 nahm die Struktur der ersten Mikroprozessoren vorweg, mit welchen wir erst ab 1974 hantierten konnten. Sie war kein „Kind des Krieges“, sie entstand trotz des Krieges. Zuse war nie Mitglied der NSDAP. Das Genie Computer-Erfinders Konrad Zuse setzte sich über alle Widrigkeiten hinweg.

Was war Konrad Zuse für ein Mensch? – Der junge Konrad war ein liebenswürdiger, einfallsreicher Eigenbrötler. In der Schule hatte er nur mit einem allseits gefürchteten Latein-Lehrer ein Problem, in den andern Fächern war er gut. Jedoch setzten ihm brutale Mitschüler zu, die dem jungen Genie abpassten. Konrad fand Mittel und Wege, seine Widersacher auszutricksen und ins Leere laufen zu lassen. Früh entwickelte sich so sein Wille zur Selbstbehauptung, was ihm im Krieg bei seiner Arbeit als Erfinder sehr zustatten kam. Pflichtbewusstsein und zähe Zielstrebigkeit lernte er von seinen preussischen Eltern. Die Freizeit verbrachte er mit dem über alles geliebten Metallbaukasten. Damit erwarb er sich früh mechanische Kenntnisse. Er gewann mit bemerkenswerten Konstruktionen die Wettbewerbe des Baukasten-Herstellers. Konrad, der Augenmensch, war auch künstlerisch begabt. Er zeichnete und malte hervorragend. Zwischen Künstler und Konstrukteur hin und hergerissen begann er folgerichtig ein Architekturstudium. Aber das normierte Zeichnen gefiel ihm nicht, er vermisste Gestaltungsfreiheit. Auch Maschinenbau versuchte er, dort aber war von Kunst keine Spur. Schliesslich führte er ein Studium dazwischen, als Bauingenieur zu Ende. Dieses Fach ist geprägt von umfangreichen Berechnungen für die Baustatik. Numerische Mathematik war damals eine Sache für Rechenknechte, die mit dem Rechenschieber und mit mechanischen Tischrechenmaschinen tagelang vorgegebene Rechenschemata abzuarbeiten hatten. Von konstruktivem Einfallsreichtum war da keine Spur. Das ermüdete ihn sehr. Es müsste doch möglich sein, solche Berechnungen einer Maschine zu überlassen! Statt zu rechnen, sann er darüber nach, wie die Schemata und Rechengänge maschinell ausgeführt werden konnten. Das war die Motivation, die Werke früher Rechengenies wie Leibniz[2], Babbage und Ada Lovelace zu studieren. In der Tat wurde auf dem Papier ein derartiges Rechengerät bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Babbage konstruiert und von Ada Lovelace programmiert, allerdings weitgehend nur auf dem Papier. Zuse liess sich durch diese Quellen direkt zu eigenen Konstruktionen inspirieren. Er machte die Mathematikerin Ada Lovelance zu seiner Muse und heimlichen Geliebten, was er erst in hohem Alter bekannte. Die Bedeutung dieser mathematischen „Femme inspiratrice“ kann im Fall des Agnostikers Zuse nicht konkret genug eingeschätzt werden. Das ist keineswegs abwegig, wenn man bedenkt, wie die heilige Barbara schwer arbeitenden Mineuren Kraft spendet oder die Muttergottes katholische Geistliche inspiriert. Mitten im Bombenhagel, im Januar 1945, heiratete Zuse eine Mitarbeiterin, die ihm fünf Kinder schenkte. Mit ihr und mit getreuen Mitarbeitern evakuierte er die Z4 aus dem umkämpften Berlin. In Hessen wuchs nach dem Krieg seine Firma Zuse KG zwischen 1949 und 1964 auf über 1000 Mitarbeiter, Zuse war umsichtiger und zielstrebiger Patron und Erfinder zugleich. Doch trotz hervorragender Innovationen gab es keine Zuschüsse, und die staatlich geförderte Konkurrenz aus Übersee wurde übermächtig. Die Firma wurde schliesslich von Siemens geschluckt. Für Karl Zuse begann eine freiere Schaffensperiode. In den verbleibenden drei Jahrzehnten konnte er seine grundlegenden und zukunftsträchtigen Ideen und Erinnerungen publizieren und in zahlreichen Vorträgen weiter vermitteln. Damit festigte er seine geschichtliche Bedeutung als Schöpfer des programmierbaren Computers, so wie dieser heute überall anzutreffen ist. In der akademischen Welt wurde Konrad Zuse mit zahlreichen Ehrendoktoraten geehrt.
Bruno Fricker [3]

 


[1] Konrad Zuse: Der Computer – mein Lebenswerk. 4. Auflage, Springer-Verlag, 1984.
[2] „Es ist unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ – Gottfried Wilhelm Leibniz, konzipierte die erste binäre Rechenmaschine, 17. Jhd.

[3] Ich habe 1984 in der Berliner Volkshochschule Konrad Zuse noch vortragen hören. 1974 wurde ich von Professor Eduard Stiefel in numerischer Mathematik geprüft anlässlich meiner Diplomprüfungen als Physiker. 4 Jahre später verstarb er.

Literatur:
- Konrad Zuse: Der Computer – Mein Lebenswerk. Springer Verlag, 1992, 220 S.
- Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand. Rowohlt-Verlag, Hamburg, Digitalbuch, Oktober 2009.
- Michael Kuyumcu: Konrad Zuse – Roman eines Lebens. Artislife Press Hamburg, 2010, 231 S.
- Herbert Bruderer: Konrad Zuse und die Schweiz. Festschrift zum 100. Geburtstag der Informatkpioniers Konrad Zuse, Technischer Bericht Nr. 715, ETH-Zürich, 2011, 40 S., http://www.abz.inf.ethz.ch