Montag, 26. Oktober 2015

Steve Jobs



Offensichtlich mögen die Kilchberger Apple-Computer. Jedenfalls kommen sie hier häufiger vor als andernorts. 13% ist der Mac-Anteil im US-Computermarkt. Beim Handy ist gar jedes zweite ein iPhone. Grund genug, in dieser Kolumne den Menschen zu glossieren, der dies ermöglichte. Ein hervorstechendes Charakter-Merkmal von Steve Jobs ist seine Kontrollsucht. Das hat sich auf alle Apple-Produkte ausgewirkt. Der Mac war und ist ein geschlossenes System. Man kann die Gehäuse nicht öffnen, man muss zum Batteriewechsel in den Apple-Shop, alle Apps sind noch heute von Apple zertifiziert. Die Hardware, sogar die Chips und die Betriebssysteme sind von Apple. Nur dies ermögliche, so Jobs, ein jederzeit ungetrübtes Gesamterlebnis. Der Computer als Kunstwerk! Und Jobs der Künstler! Einmal signierte er auf Verlangen eine Apple-Tastatur. Aber er bestand darauf, die Pfeiltasten herauszubrechen, die für ihn ein Gräuel waren. (Die vier Cursortasten wurden hinzugefügt, als er 1986 Apple verlassen musste.) Durch die Elimination der Pfeiltasten sollten User gezwungen werden, die Maus zu benützen, und Apples eigene Ingenieure konnten so keine Programme hineinschmuggeln, die nicht von Apple geschrieben wurden. Selbst die Maus war speziell, sie hatte nur eine Taste.

Steve Jobs war das Kind eines Syrers und einer deutschstämmigen Mutter, die beide in Kalifornien studierten. Nach der Geburt wurden sie gezwungen, das Kind zur Adoption freizugeben, weil das Studium wichtiger war. Das hochintelligente Kind hatte das Glück, optimale Pflegeeltern zu finden, rechtschaffene Leute aus der Arbeiterklasse, die Steve liebten und dem Verlassenen das Gefühl gaben, ein Auserwählter zu sein. Dennoch fand der kleine Steve bald heraus, dass es nicht seine natürlichen Eltern waren. Er wurde deswegen gehänselt, aber so übte er früh, sich zu wehren. Sein Pflegevater war ein begabter Automechaniker, die Mutter half als Buchhalterin mit, das bescheidene Reihenhaus und eine teure Kunst-Highschool zu finanzieren, die Steve Jobs nach 18 Monaten als Drogen konsumierender Hippie abbrach. Er fand bald einen Freund namens Wozniak (Woz), der mit ihm auszog, eine "Delle ins Universum" zu schlagen. Woz war ein Elektronikgenie, sein Vater ein hochrangiger Raketeningenieur in der Rüstungsindustrie, die in den Siebzigerjahren das Silicon Valley dominierte. Einer ihrer Streiche war der Bau der „Bluebox“, eines Apparätchens, das sich mit Tönen über die Sprechmuschel gratis in das öffentliche Telefonnetz einwählen konnte. Jobs Rolle war das Gehäuse bauen und das Löten einer kleine Serie, die er im Nu gewinnbringend verkaufte - bis auf eines: Der Käufer dieser Bluebox entpuppte sich als bewaffneter Krimineller. Das war das Ende ihres illegalen Tuns. Die Tatsache aber, dass sie als Bastler das Bezahlsystem der milliardenschweren AT&T aushebeln könnten, stärkte ihr Selbstbewusstsein kolossal und vertiefte ihre Symbiose, die zum Fundament einer Weltfirma werden sollte, der Apple Inc. in Cupertino, Kalifornien.

Der junge Steve Jobs

Unternehmer fallen nicht vom Himmel - oder vielleicht doch? Jedenfalls hätte keine Business School den Unternehmer Steve Jobs heranbilden können. Der Sohn eines syrischen Vaters und einer Mutter deutscher Abstammung wurde kurz nach Geburt zur Adoption freigegeben, weil deren Eltern, ebenso vermögend wie konservativ, in die Verbindung nicht einwilligten. Die akademische Karriere der beiden 23-jährigen Studenten wurde 1955 als wichtiger eingestuft, als die Brutpflege. Jobs kinderlose Pflegeeltern entstammten der Arbeiterklasse. Für die Entwicklung von Steve waren diese Pflegeeltern ein Glücksfall. Beim Vater, der im Krieg als charakterstarker Maschinist auf einem Truppentransportschiff gedient hatte und danach alte Autos reparierte und wiederverkaufte, lernte er Mechanik und die Grundlagen der Elektronik - und die Kunst des Feilschen. Von der kinderlosen Mutter, einer eingewanderten Armenierin, wurde der "Auserwählte" zärtlich geliebt. Als Buchhalterin wusste sie mit Geld sorgsam umzugehen, so dass die junge Familie in ein Reihehaus in einem ärmlichen Vorort im Silicon Valley ziehen konnten. Jobs wuchs in einer äußerst interessanten Gegend auf, wo die amerikanische Rüstungsindustrie die Fruchtfelder verdrängte und einen unersättlichen Bedarf für Ingenieure entwickelte. Dazu kontrastierte die dort aufbrechende Gegenkultur der Drogenapostel und Hippies. Steve war ein eigensinniges und sehr intelligentes Kind, das alle Eindrücke aufsaugte und verinnerlichte wie ein Schwamm. Von der Schule unterfordert, ersann Steve Aufsehen erregende Basteleien und immer extremere Streiche. So wurde er schon früh ein Rädelsführer und Ideenlieferant. Gleichzeitig beobachtete er, mit welchen Tricks die Gurus das junge Volk verführten. Er lernte sein Gegenüber schweigend anzustarren, um es im passenden Moment mit einem Redeschwall zu manipulieren und seinem Willen zu unterwerfen. Auf der Suche nach Spiritualität entdeckte er nebst LSD den Zen-Buddhismus, der ihn sein Leben lang beseelte. Angeboren war sein Sinn für Ästhetik. Er wählte trotz elterlichem Protest ein teures kunstorientiertes College. Doch er verbrachte dort nur wenige Monate, da er zu faul war, Testate beizubringen. Indessen beeindruckte ihn ein Kurs für Kalligraphie, was später wichtige Folgen bei der Gestaltung der Schriftsätze in den Apple-Computern haben sollte. Und dies war auch fast das Ende seiner Schulbildung, abgesehen von sporadischen Vorlesungen in Physik und Maschinenbau in Stanford, phasenweise alternierend mit meditativen Trips und streng veganer Ernährung. Sein Äußeres war ungepflegt, die Haare lang. Als barfüßiger, Pflanzen essender Jünger glaubte er, sich nicht waschen zu müssen. Sein Körpergeruch stiess viele ab, was ihn nicht zu stören schien. Seine Mutter machte sich Sorgen, weil er vorgab, nur noch Blätter zu essen, die von Jungfrauen im Mondlicht gepflückt worden waren. Überhaupt setzte er sich über die Befindlichkeit seiner Umgebung meist rücksichtslos hinweg. Er kultivierte einen sozusagen binären Charakter, in dem er lauthals zur Schnecke machte, was ihm nicht passte, was er aber gut hieß, lobte und pries er überschwänglich. Dieser Wesenszug machte ihn später zum gefürchteten Patron, der sich auch in den schwierigsten Situationen durchzusetzen vermochte. Und dies kam so:

Einer der Gefährten des jungen Jobs war Stephen Wozniak, ein introvertierter Berkeley-Abgänger, in mancher Hinsicht das Gegenteil von Jobs. Wozniak war ein begnadeter Elekroniker, was Jobs begeisterte. Die beiden interessierten sich nebst LSD für einen Artikel in einem Fachblatt, der aufzeigte, wie man sich mit Tonfolgen ins öffentliche Telefonnetz von AT&T einwählen und Ferngespräche kostenlos ausführen könnte. Dass der Artikel umgehend aus der Bibliothek verschwand, machte die Sicherheitslücke noch interessanter. Die beiden gingen in die Bibliothek des Standford Linear Accelerator Centers und fanden tatsächlich noch ein Exemplar. Jobs konzipierte das Gehäuse und Wozniak die Platine der Bluebox, wie Sie es nannten, einem Wählgerät, das kostenlose Telefongespräche ermöglichte. Sie gaben sich als Kissinger aus und wählten die Nummer des Papstes, und anderes mehr. Sie waren hingerissen, dass sie mit ihrer Bastelei tatsächlich den milliardenschweren Fernmeldegiganten überlisten konnten. Jobs schlug vor, das Gerät in Stückzahlen zu verkaufen, und er trieb das Geld auf, um die Komponenten zu kaufen. So machten sie ihr erstes Geschäft, dessen Gewinn sie teilten. Es ging nicht lange, bis ein Krimineller als Kunde auftrat, der sie mit der Pistole bedrohte. Das war zu ihrem Glück, denn so stoppten Sie die illegale Produktion und wurden nicht erwischt.

Wozniak arbeitete bei HP, wo er den ersten Pocket Calculator für höhere Funktionen entwickelte. Jobs hatte bei Atari angeheuert, wo er Nachtschichten schob, weil das Atari-Team ihn nicht ertrug. Es war die Zeit der aufkommenden Mikroprozessoren. Ingenieure, die oft in der Hippie-Gegenkultur lebten, erfanden verschiedenste Heimcomputer, oft nur als nackte Leiterplatten mit einer Tastatur, aus Protest zur Kultur der Großrechner der Rüstungskonzerne, die sie als Symbole der Unterdrückung verstanden. Die beiden Ausgeflippten trafen sich an Veranstaltungen des Computer Clubs, die sich zu Brutstätten zahlreicher Startups entwickelten. So entstand 1975 der Apple I als gemeinsames Werk von Jobs und Wozniak. Jobs oblag die Konzeption, das Design, die Organisation der Ressourcen und Wozniak kümmerte sich in der Freizeit um die Schaltungsentwicklung, die Platinen und die Programme. Jeder brauchte den anderen in einer perfekten Zusammenarbeit. In den Clubs der Gegenkultur entstand das Ethos von Open Source, des freien Teilens aller Errungenschaften. Woz, der geniale Ingenieur, wollte seine Entwürfe mit anderen unentgeltlich teilen. Doch als immer mehr Geld ins Spiel kam und ein riesiger Markt sich abzeichnete, entbrannte ein Streit um das Verwertungsrecht dieser Erfindungen. Vor allem Bill Gates wandte sich klar gegen Unsitte des unentgeltlichen Kopierens, und Steve Jobs schloss sich seiner Meinung an. Schließlich ließ sich Wozniak umstimmen, vor allem als Jobs eine gemeinsam Firma vorschlug, mit der sie großartige Produkte hervorbrächten. Der scheue Woz, dem jedes kaufmännische Talent abging, spürte, dass er Steve brauchte, um eine eigene Firma zu gründen. Schließlich gab das Desinteresse seines Arbeitgebers HP an seinen Computerentwicklungen den Ausschlag, dass er bei HP kündigte, um mit Steve Jobs die Firma Apple zu gründen. Dabei war das Durchsetzungsvermögen von Jobs entscheidend für einen fulminanten Start. Die beiden verkauften, was sie besaßen, um etwas Eigenkapital für den Apple I Prototypen zu bilden.

Mit der Begeisterung und dem Stolz  junger Eltern stellten sie ihr Kind im Computerclub vor. Unter den Zuhörern befand sich der Besitzer eines Computerladens, der im ganzen Land Filialen eröffnen wollte. Er bestellte die ersten 50 Apple I und zwar innert eines Monats, voll integriert mit Gehäuse und Netzteil. Jobs machte sich sofort auf die Kreditsuche für die Finanzierung, was für den verlotterten, barfüssigen Typen eine riesige Herausforderung war, die er allerdings meisterte. Innert 30 Tagen entstanden in der Garage von Jobs Pflegeeltern die ersten 50 Apple Computer, auch mit der tatkräftigen Hilfe von Eltern und Freunden. Fast nebenbei integrierten sie das erste Schaltnetzteil, das dank hochfrequenter Taktung in einem viel kleineren Volumen dasselbe leistete wie die üblichen schweren 60Hz-Trafos. Es ging es rasch aufwärts, mit zusätzlichen Mitarbeitern und Räumlichkeiten. Im Frühjahr 1977 präsentierten sie den Apple II auf der West Coast Computer Fair, der damals größten Computer-Messe. Das in wenigen Teilen gefertigte Kunststoffgehäuse eroberte die Herzen aller Besucher – vorbei war die Zeit der kantigen Metallgehäuse, der Schrauben oder Holzschachteln. Während der Messe wurden über 300 Computer bestellt, und Apple bot einen damals einmaligen Service an: das vergünstigte Umsteigen vom Apple I auf den Apple II. Bis Ende 1977 waren rund 4000 Apple II verkauft. Doch der Durchbruch war noch nicht geschafft.

Weihnachten 1977 gelang Wozniak ein weiterer Schachzug: er baute einen Floppycontroller für den Apple II, der den Anschluß eines Diskettenlaufwerks gestattete. Auf der folgenden Consumer Electronics Show ermöglichte das Diskettenlaufwerk die Entwicklung einiger berühmter Programme, die das Schicksal von Apple mitbestimmen sollten. Programmnamen wie VisiCalc (die erste Tabellenkalkulation – der Benutzer konnte Zahlenkolonnen mit Regeln verbinden und so durch Änderung einiger Parameter große Kalkulationen auf einfache Weise durchrechnen) oder AppleWriter (eine Textverarbeitung) sind heute noch ein Begriff. Der Apple II war der erste PC, auf dem solche Programme mit Diskettenlaufwerke zur Verfügung standen. Vor allem VisiCalc machten den Personal Computer zum ersten Mal außerhalb des Hobby-Bereichs bekannt.

Von 1977 bis 1980 stieg die Anzahl verkaufter Apple II auf rund 50'000 und mit ihr die Mitarbeiterzahl von 50 auf weit über 1000. 1979 wagte die Firma, nun in einem stattlichen Firmensitz in Cupertino, als erstes Start-Up-Unternehmen im Silicon Valley den Schritt an die Börse. Zahlreiche Mitarbeiter wurden über Nacht zu Multimillionären. Den Gründern stieg der plötzliche Reichtum nicht in den Kopf, das viele Geld war ein Grund zu weiteren Investitionen. Insbesondere Jobs wollte in seinem Leben eine "Delle ins Universum schlagen", wie er sich ausdrückte. Doch auch die Konkurrenz schlief nicht, und es gab bei der Frage der Weiterentwicklung der Computermodelle Richtungskämpfe. Jobs war bei Apple nicht mehr der allein Tonangebende, und ein Teil des Boards wandte sich immer deutlicher gegen die unkollegialen Machenschaften des Gründers. Weil er seinen Leuten immer rücksichtsloser auf die Füße trat und es verstand, die Realität zum Wohle des der Firma zu beugen (Reality Distortion Field), weckte er in den Ingenieure fast übermenschliche Kräfte und brachte sie ständig ans Limit. Unter seiner Fuchtel entstand der Macintosh PC, der im 1984 rund eine Milliarde einbrachte. Doch der hatte Mängel, war insbesondere leistungsschwach. Dass Jobs den Chefentwickler Wozniak vom vernachlässigten Apple II Team, das der Hauptumsatzträger war, ins Mac Team holte, als der Mac-Verkauf einbrach, und dass er weitere Projekte (Apple III und Lisa) torpedierte, brachte das Fass zum überlaufen. Jobs wurde vom Board abgesetzt und musste die Firma verlassen. Von da an ging es mit Apple bald bergab. Ihr fehlte nun das Gravitationszentrum, das Steve Jobs wie kein zweiter verkörperte.

Jobs macht Trickfilme und wird noch reicher

Mit dem Reichtum, den er besaß, fand er bald einen Ersatz, um seinen ambitionierten Computervisionen zu frönen. Er gründete den Workstation-Hersteller NeXT und baute einen High-end-Arbeitsplatzrechner auf UNIX-Basis mit dem 68030/40 Prozessur für Forschungseinrichtungen und ähnlich Kunden, die eine maximale Computerleistung und Grafikfähigkeit brauchten. Die Stückzahlen blieben weit unter den Erwartungen. Doch mit dem Betriebssystem NeXTStep wurde von Tim Berner Lee am CERN das Internet erfunden und es wurde die Basis für das spätere Apple OS-X. Auf das visuelle Desing wurde großes Gewicht gelegt. Der NeXTCube wurde an führenden Museen für Modern Art ausgestellt. Es dauerte rund 10 Jahre, bis Apple ohne Jobs fast pleiteging. Eine Technologiefirma mit 50000 Mitarbeitern muss sich ständig neu erfinden, was ohne Jobs nicht geschah. Stattdessen verstrickte sich Apple Inc. in immer mehr Projekte, die nichts eintrugen. Man besann sich auf bessere Tage und versuchte Jobs ins Board zurück zu holen. Dieser war indessen erfüllt von der Trickfilmbranche, die seinem künstlerischen Perfektionismus voll entsprach. Mit PIXAR machte er Disney Konkurrenz und lancierte durch John Lasseter einen Blockbuster nach dem anderen. Als er die Zahlen von Apple und das Ende kommen sah (Apple stand etwas 2 Monate vor dem Konkurs), erbarmte ihn, und er kehrte als Sanierer ins Board zurück. Dabei kam seine zweite Haupteigenschaft, Fokussierung, voll zustatten und er schaffte den Turnaround mit dem iPod, der die ganze Musikbranche aufmischte, und das kam so:

Steve Jobs war 42 Jahre alt, ein äusserst erfolgreicher Firmengründer nun von NeXT und Pixar, als er nach über zehn Jahren zu Apple zurückgerufen wurde. Man traute dem Quicklebendigen zu, dort das Steuer nochmals herumzuwerfen, um die havarierte und vom Untergang bedrohte Riesenfirma zu retten. Doch war Jobs auch ein genialer Sanierer, dem dies gelingen konnte? Er hatte sich bei Pixar Animation Studios viele Freunde gemacht, die ihn nicht gern ziehen liessen. Darunter waren Top-Künstler, wie John Lasseter, der als Regisseur der erfolgreichsten Animationfilme zeichnete, wie Toy Story, um ein Beispiel zu erwähnen. Jobs selbst war im Innersten ein Künstler, und er blühte im kleinen Kreis der begabtesten Trickfilmemacher auf, denen er mit seinen NeXT-Hochleistungsrechnern überdies das ideale Werkzeug zu Verfügung stellen konnte. Mit der Vereinigung von Kunst und Technologie erreichte Jobs, der Nichtakademiker, die wohl erfülltesten und ungetrübtesten Jahre seines Schaffens. Spielend lenkte er die beiden Firmen als inspirierender Patron und konnte Erfolge über Erfolge feiern. Kein Wunder, dass er sich zierte und von Apple dreimal bitten liess, zurückzukehren. Emotional war Apple immer noch „seine“ Firma. Kein Gründer lässt es kalt, wenn seine Riesenfirma, nach Jahren grosser Erfolge, wegen Führungsschwäche auf Grund läuft. Auch sein Nimbus würde in den Schmutz gezogen, wenn er dem Konkurs der Apple Inc. tatenlos zugesehen hätte. „Halb zog sie ihn, halb sank er hin...“, doch nur kurz wurde er zum unsichtbaren Sanierer, der sich zunächst um Tausend Problemfälle kümmerte, Ballast abwarf, Lücken stopfte, den richtigen Ingenieuren an den falschen Plätzen buchstäblich den Stecker zog, um sie für neue Projekte einzuspannen. Für die Entlassungswelle kam ihm seine legendäre Rücksichtslosigkeit sehr zustatten. Es galt indessen, die Firma neu zu erfinden, dazu brauchte er eine Vision und zu deren Umsetzung  eine gnadenlose Fokussierung. Niemand anderem wäre es eingefallen, Apple Inc. durch ein winziges Apparätchen, den iPod, zu sanieren, in welchem sozusagen alles komprimiert vorlag, was Jobs bisher erreicht hatte in der Vereinigung von Kunst und Technologie. Alles auf diese eine Karte zu setzen mit der geballten Kraft der Grossfirma, das war der Geniestreich des Sanierers, und er gelang!

Wie weiland SONY mit ihrem Walkman die halbe Musikerwelt unter Vertrag nehmen konnte, gelang es nun Jobs persönlich in unzähligen selbst geführten Telefonaten und Einladungen die Musiker der Welt vertraglich an Apple zu binden, deren iPod und das zugehörige Apple-Portal iTunes die Songs rasch über den Erdball verbreiten würde. Seine Begeisterung für den iPod-Player übertrug sich auf die besten Musiker. Das Ziel Tausende Songs in der Hosentasche leicht herumtragen und am Mac verwalten zu können, und durch exzellente Tonqualität die illegalen Downloads zu unterbinden, wurde weitgehend erreicht. Jobs der als Hippie von Bob Dylan hingerissen war und sich vorübergehend mit Joan Baez liierte, verwandelte sich in jener Zeit zu einer Marketing-Legende für beinahe die ganze Welt der U- und E-Musik, zum Leidwesen der Verwertungsgesellschaften, die an der CD noch lange festhielten.

Als Jobs am 23. Oktober 2001 den iPod lancierte, erlebte die Welt erstmals, wie der Zauberer von Cupertino ein neues Produkt spektakulär in Szene setzte und alle Gläubigen hingerissen applaudierten. Solche Auftritte waren eigentliche Massen-Motivationsveranstaltungen, deren Drehbuch Jobs meisterhaft beherrschte. Die Aktionäre waren beruhigt, Apple war gerettet, Jobs war wieder der unangefochtene Leader tausender hochqualifizierter Ingenieure. Da sich das  iPod ohne eigenen Internet-Anschluss auf den MAC stützen musste, zogen auch die Absatzzahlen des MACS wieder an.

Wie Jobs eine „Delle ins Universum“ schlug

Mit Jobs zweitem Eintritt in die Apple-Führung wurde auch gleich seine Firma NeXT mitgekauft. Diese Computer wurden zur Grundlage der heutigen Generation von iMACs. Jobs Betriebssytem NeXTStep mutierte zum OS X. Sie bilden das konventionelle Rückgrat des Apple Computerherstellers. Die „Delle im Universum“ verkörperten sie jedoch nicht. Jobs schlug seine Delle mit den einzigartigen Apparätchen, die aus dem iPod hervorgingen. Man tüftelte um 2004 an einer Verschmelzung von iPod und Funktelefon. Das Wählrad des iPod eignete sich als Wählscheibe für Nummerneingabe allerdings schlecht. Der Touchscreen bot sich an. „Das war der komplizierteste Spass, den ich je hatte“, sagte Jobs, als er ein halbes Jahr mit grosser Leidenschaft am neuen Mensch/Maschinen-Interface arbeitete. Den Eingabestift und die Hardwaretastatur gewisser Vorbilder lehnte er rundweg ab. Dafür perfektionierte er die Gesten, mit den blossen Fingern sollte man das künftige Funktelefon bedienen können. An dieser Stelle wurde von Jobs und seiner Apple Inc. Pionierarbeit geleistet, die man gar nicht bedeutsam genug einschätzen kann. Dies war die „Delle im Universum“, die Jobs zeitlebens anstrebte. Es entstand das iPhone und mit ihm eine Kaskade von Nachahmerprodukten in Form von internetfähigen Smartphones, die alles können: Navigation, Kartografie, Routen planen, Fotografie, Film, TV, Zeitungen, Radio, Börseninfos, Diktiergerät, auch Speech-to-Text, Übersetzer, Fahrpläne, Webshops, Mail, Chat, Bildtelefon, Agenda, Uhr, Lesebücher, Hörbücher, Musikplayer, googeln, jedwede Officefuntionen, Scanner, soziale Vernetzung, Bodytracking, KI-Beratung, Seelsorger, Spielpartner, und vieles mehr. Diese Entwicklung verändert die Welt wie nichts Vergleichbares zuvor, kein Stein wird auf dem andern bleiben. Das Handy in der Hand, das Helferlein vor Augen, das Telefon am Ohr, ist, wohin man steht und schauen mag, das sichtbare Zeichen des mentalen Wandels, der nun fast jeden Menschen ergriffen hat. Die Asylanten und Kinder, Frauen und Männer, Arbeiter und Banker, haben es genauso wie Führungspersonen und Senioren. Die Folgen sind noch heute nicht absehbar. Entstanden ist ein Unterhaltungs-, Kommunikations- und Informationsschlaraffenland, und es scheint, dass die Menschen darauf nicht mehr verzichten wollen. Denn diese iPhone-Welt ist ungeheuer lebendig, informativ, intelligent, vielseitig, unterhaltsam und bereichernd. Es setzt deine Sprache in Text um und es spricht mit dir.

Fast nebenbei ist noch das iPad entstanden. An ihm wurde weitgehend durch Jobs die Gestensteuerung entwickelt. Als Zwischending neben iPhone und Notebook (MacBook) soll es auch auf dem Sofa liegend Büroarbeiten ohne Tastatur ermöglichen. In der Tat schreibe ich diesen Text in Liegeposition. Man glaubt es erst, wenn man es eine Weile benützt hat, dass es so ungemein praktisch ist. Bücher und Mails etwa lassen sich bei allen Lichtverhältnissen lesen, bei exzellenter typografischer Qualität. Eingebettete Tesauren, Konkordanzen und Übersetzungswerkzeuge helfen unauffällig, die Texte zu verstehen.

Ob die heute propagierte Apple Uhr eine weitere Delle ins Universum schlägt, bleibt abzuwarten. Jobs kümmert es nicht mehr, er ist am 5. Oktober 2011 an Krebs verstorben, visionär und kreativ wirkte er bis zum letzten Atemzug. Jobs sah es selbst als seine grösste Leistung an, eine unvergleichliche Weltfirma zu hinterlassen, die noch in  Jahrzehnten grossartige Technologie hervorbringen wird. Sein Vorbild war Hewlett Packard, die bis heute ein Fixstern im Silicon Valley ist. 1976 musste Jobs seinen Partner Steve Wozniak überreden, sich vom hochgeschätzten Arbeitgeber HP zu trennen, um in ihre neue gemeinsamen Garagenfirma Apple mit voller Kraft einzusteigen. Nach eigenen Versuchen mit Laserdruckern überliess Jobs das Druckergeschäft vollends HP. Dreissig Jahre später hatte Apple Inc. die Firma HP weit überflügelt. Im Gegensatz zu Bill Gates von Microsoft war für Jobs das Gewinnstreben immer Nebensache, die Hauptsache für Steve Jobs war, revolutionäre, je geradezu beseelte Produkte zu perfektionieren. Dennoch, oder eben deshalb, ist Apple – weit vor Microsoft – heute die wertvollste Firma der Welt.
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Quellen:
- Steve Jobs: Die autorisierte Biografie des Apple-Gründers. Von Walter Isaacson, C. Bertelsmann Verlag, 25.10.2011 - 704 Seiten
- Steve Jobs - The Lost Interview.  Film von Paul Sen.
Handlung
1995 arbeitete Bob Cringely an seiner TV-Serie über die Entwicklung des PC. In diesem Rahmen führte er ein denkwürdiges langes Interview mit Steve Jobs. Damals leitete Jobs die Nischen-Computerfirma NeXt, die er nach seiner Trennung von Apple gegründet hatte. Im Gespräch gibt sich Jobs schlagfertig und offenherzig - ein visionärer Pionier auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, der bereits die digitale Zukunft voraussah, zu der er später entscheidend beigetragen hat.Das komplette Interview galt als verschollen und wurde erst kürzlich in der Garage des Regisseurs wiederentdeckt. Die Produzenten des Films entschlossen sich, dieses Dokument zu restaurieren. Wir erleben Steve Jobs in seiner ganzen charismatischen Bandbreite, wenn er einen Blick in die Zukunft wagt. Eine Zukunft, die unsere Gegenwart ist! HINWEIS: Das komplette Interview galt als verschollen und wurde erst kürzlich auf VHS in der Garage des Regisseurs wiederentdeckt. Die Produzenten des Films entschlossen sich, dieses Dokument zu restaurieren. Sie sehen das bestmögliche Ergebnis, das mit dem zur Verfügung stehenden Materialien zu erzielen war.




Sonntag, 21. Juni 2015

Karl Steinbuch

Karl Steinbuch hielt unzählige Reden und Ansprachen - Bild Wikimedia


Das Informationszeitalter begann mit Claude Shannons mathematischem Informationsbegriff 1948 und endet vorläufig bei Google. Wer über den Strom der Innovationen dieser 70 Jahre eine Brücke baut, kann sie in der Mitte abstützen. Dieser Pfeiler trägt den Namen Karl Steinbuch. Der schwäbische Professor hielt Vorlesungen für "Informatik", wie er sie als erster nannte. Es dauerte 10 Jahre, bis 1970 diese Fachbezeichnung im deutschen Sprachraum allgemein akzeptiert wurde. In den USA benützt man dafür den Begriff "computer science". “Informatics” hat dort eine viel engere Bedeutung; die Etymologie dazu ist im englischen Wikipedia ausgezeichnet erklärt. Auch der erste voll transistorisierte Computer Europas (1959) geht auf Karl Steinbuch zurück. 

Wie schon Norbert Wiener, wurde auch Steinbuch zunehmend zu einem streitbaren Gesellschaftskritiker.[1] Die NZZ schrieb: "Steinbuch betrachtet seine Professur nicht als eine bequeme und sichere Pfründe, die es ihm erlaubt, seine Privathobbies nach Lust und Laune zu betreiben, sondern er fühlt sich verpflichtet, auf drohende Gefahren frühzeitig hinzuweisen und, was noch wichtiger ist, konkrete Handlungsanweisungen zu ihrer Überwindung vorzuschlagen." Damals war die Gefahr groß, dass Deutschland den Anschluss an die Informationsgesellschaft verpasste. Dies zeigte sich schon bei Computervater Zuse, der mit seiner Firma in Deutschland nicht vorankam. Und es zeigt sich noch heute, da die besten deutschen Köpfe auswandern und ihr Fortkommen im Silicon Valley oder in Zürich suchen. Dabei war Deutschland einst das Mekka der Mathematik und Physik. Die braune Ära machte das zunichte. Was nach dem Krieg den Deutschen blieb, war die verklärte Erinnerung an ihre Vorvergangenheit. Steinbuch nannte dies die Hinterwelt. 

Der Fortschritt lahmte und der Zukunftsglaube köchelte in der westdeutschen Gesellschaft auf kleinster Flamme. Deutschland dümpelte im Windschatten der Großmächte, die sich nach dem Sputnikschock 1957 ein technologisches Wettrüsten lieferten. Es war die Zeit der US-Schulreformen, wo die Obstplantagen im Silicon Valley den Rüstungsfirmen weichen mussten, und wo beide Seiten sich anschickten, ihre Weltordnung mit nuklearen Interkontinentalraketen zu verteidigen. Natürlich war ICBM auch ein kybernetisches Megaprojekt, dort entstanden die Vorläufer des Internets. Es ging um Weltherrschaft. Auch Steinbuch äußerte den Gedanken, dass nur eine Weltregierung die Informationsgesellschaft in sozialdemokratische Bahnen lenken könnte. Er fürchtete, dass Deutschland den Anschluss verpasste. In der Tat wurde die mathematisch-informationswissenschaftlich- naturwissenschaftlich-technische (MINT) Schulbildung kleingeschrieben, die Bundesrepublik fiel im europäischen Vergleich auf die letzten Ränge zurück. Es drohte Wohlstandsverlust. Steinuch forderte, die zahlreichen historischen Institute in Einrichtungen für Zukunftsforschung umzuwandeln. In vielen Büchern und Publikationen[2] zeigte er die enge Verbindung vom technischem Fortschritt zum Wohlstand auf. Eindringlich erklärte er den Deutschen, warum Innovation wichtig und Technik nicht böse ist.[3] Damit versuchte er, den Abwärtstrend durch eine rückwärtsgewandte Geisteshaltung zu stoppen. Als Gastprofessor in Stanford erfuhr er aus erster Hand, was zu tun wäre. Er setzte es um und forderte eine Bildungsreform, die bis heute andauert. Die MINT-Fächer sollten ins Zentrum gerückt werden. Und er forderte Wagniskapital, um technische Innovationen Made in Germany durchsetzen zu können. Er gründete dafür eine eigene Stiftung, die noch heute junge Talente unterstützt. - 

Wie wir heute wissen, kämpfte er gegen Windmühlen. Zwar forderte er programmierten Unterricht und Informations-Datenbanken, und man stritt sich, wie denn die Auswahl der Inhalte zu steuern wäre. Der Durchbruch kam aber erst im Jahr 2000 - aus Kalifornien, durch das Suchmaschinen-Prinzip “Page Rank” im Internet. Doch heute dämmert es, dass sich gerade in offenen Netzwerken trotz lauterer Absicht der Gründer globale Monopole bilden, die an Machtfülle alles Bisherige in den Schatten stellen und denen wir fortwährend persönlichste Daten anvertrauen? Also entfaltet unmerklich eine kommerzielle “Weltregierung” ihre Macht und ihren Einfluss übers Smartphone, über das selbstfahrende Auto, über das Internet der Dinge, über die Cloud. Selbstorganisiert entsteht eine künstliche Intelligenz, deren logischer Stringenz, Allwissenheit und Verspieltheit wir uns kaum wieder entziehen möchten, weil sie sich für uns persönlich interessiert. Dringend nötig sind heute wieder Philosophen vom Rang Steinbuchs, die klarsichtig und vernehmbar aufzeigen, wohin das führt und wie wir uns dazu stellen sollten, nicht zuletzt um Wohlstand und Freiheit zu bewahren. Dass Google aus Deutschland Milliarden Euro nach Palo Alto abzweigt, kann nicht ohne Folgen bleiben. Andererseits will Google in Deutschland strategisch investieren, wie es auch in Zürich der Fall ist. Damit wird wohl ein Teil der enormen Wertschöpfung von Google in unseren Ländern bleiben. 

Doch wollen wir diese Art Weltregierung wirklich? Was haben wir dieser Entwicklung kreativ entgegenzusetzen? Allein in Stanford werden 15 Milliarden Dollar Wagniskapital jährlich in Startups investiert.[4] Indirekt schafft die VC-Branche in der Schweiz mit dem Einsatz von vier Milliarden Franken pro Jahr schätzungsweise 30 000 Arbeitsplätze, gut 3 000 davon bei Start-ups und den Rest bei Firmen, die über die VC-Branche im Wachstum finanziert werden.[5] Die VC-Branche ist damit an 200 bis 300 Start-ups beteiligt und an wenigen hundert Unternehmen, die sich in der Wachstumsphase befinden. Die Schweiz wurde damit Weltmeister im Patente anmelden, allerdings wohl kaum im Informatikbereich. Im 10x mächtigeren Deutschland sieht es trotz Karl Steinbuchs Jahrzehnte langen Warnungen auch heute noch düster aus. Zwar werden in Deutschland neuerdings wieder sieben Milliarden Euro in 1300 Firmen investiert,[6] nachdem die Zahl der Unternehmensgründungen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 Prozent gesunken und damit regelrecht eingebrochen war.[7]

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[1] Karl Steinbuch: Falsch programmiert: Über d. Versagen unserer Gesellschaft in d. Gegenwart u. vor d. Zukunft u. was eigentlich geschehen müsste. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1974, 176 S.
[2] Wikipedia listet 17 Bücher von Karl Steinbuch zwischen 1961 bis 1995 auf.
[3] Karl Steinbuch (Hrsg.): Diese verdammte Technik: Tatsachen gegen Demagogie. Mit Beiträgen von Hans-Herrmann Cramer. Frankfurt/Main-Berlin-Wien: Ullstein, 1982, 316 S.
[4] Christoph Keese: Silicon Valley: Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus-Verlag: München, 2014, 320 S.







Sonntag, 22. März 2015

Traumpaar

Schmidt, Brin, Page (von links) - Bildquelle: Wikimedia Commons / Joi Ito


Du denkst vielleicht, jetzt schreibt er über ein im Alter verliebtes Pärchen. Oder über eines, das sich über das Smartphone beschnuppert? (Smartphones können nämlich auch riechen, neuerdings.) Aber nein, es geht doch in dieser Kolumne um Technik. Heissgeliebte Technik wohlverstanden. Als Kinder gingen sie in die Montessori-Schule. Dort konnten Sie tun und lassen, was sie wollten, kein fester Lehrplan, entwickelt wurde das naturgegebene Potential. Sie waren schon als Kinder kleine Nerds, mit einem Bein im Virtuellen, mit dem andern auf dem Rollerblade, und immer mit atemberaubendem Speed. Später wurde selbstverständlich Computerwissenschaft studiert. Besonders der eine, introvertierte, hatte dazu einen Traum, er wollte mit seinen Erfindungen die Welt verändern. Larry war wortkarg, was er zu sagen hatte, babbelte er für Nichtamerikaner kaum verständlich. Der andere, Sergey, russischer Abstammung zwar, verstand, was er meinte, war davon fasziniert. Sie teilten an der Uni die Bude und darin die Computer. 1998 waren sie schon zu Hause im Internet, sahen, wie es explodierte nach dessen Urknall am CERN. Altavista, damals die ultimative Suchmaschine, war heillos überfordert, lieferte das Unwichtige zuerst. Larry wollte das besser machen. Mit seinem Wissen, PhD in spe, untersuchte er das Thema. Vorwärts spinnend die Seiten nach Links absuchen, reichte nicht, führte bei diesem Wachstum ins Uferlose. Täglich kamen Millionen Dokumente dazu. Larrys Geniestreich bestand im Sammeln von Rückwärtszitaten, wer zitiert die mit dem Stichwort behafteten Seite S? Sind es viele, namhafte Portale, grosse Zeitungen etwa? Oder bloss Außenseiter? Je häufiger und bedeutsamer auf S verwiesen wird, desto höher der Rang von S. Auf diese Weise entsteht in der Suchmaschine eine brauchbare Trefferliste. Einige Versuche mit wenigen Computern im Studentenzimmer waren überwältigend. Das Internet enthüllte sich den Nerds schlagartig, die Suchanfragen häuften sich, die Welt kam auf sie zu, ihre Server wurden von Suchenden überlastet. In wenigen Wochen benötigten sie den Datenfluss der ganzen Universität. Das war real! Rasch ging die Kunde von der neuen Suchmaschine um die Welt. Spin-off, Firmengründung, Sponsorensuche waren die Konsequenzen. Das Ziel Doktortitel verblasste. Ihre Mütter waren untröstlich. Die beiden programmierten, installierten, telefonierten Tag und Nacht. Nach wenigen Monaten wurde Professor Hölzle eingestellt, der die Server-Racks vernetzte und die Suchsoftware beschleunigte. Was dann folgte, war die wundersamste Entwicklung eines kleinen StartUps im Silicon Valley. Während die Mehrzahl die Dotcom-Blase verursachte, die bekanntlich platzte, überlebte Google den Hipe, wuchs rasch und stetig und ist heute mit 20’000 Mitarbeitern die profitabelste Firma der Welt. Das Traumpaar auf den Rollerblades und ihr väterlicher Berater Eric Schmidt sitzen auf bald 100 Milliarden Cash, haben das alleinige Stimmrecht und zahlen keine Dividende aus.

Dienstag, 24. Februar 2015

Urs Hölzle

In den Gassen von Liestal sah man den Bub WWF-Briefmarken verkaufen. Als Urs 1983 in die ETH eintrat, ahnte er noch nicht, dass auf seinen Schultern dereinst das Gewicht der vernetzten Welt lasten würde. Vier Jahre später hielt er den Master in Computerwissenschaften in Händen. Er hatte sich ausgezeichnete Grundlagen in Mathematik und Programmiertechnik erarbeitet. Mit einem Stipendium erwarb er den PhD an der Eliteuniversität Stanford im Silicon Valley. Sein sehr abstraktes Forschungsgebiet war die Optimierung von Computerhardware und deren Betriebssoftware. Sein Hund Yoshka war ein verspieltes Gegengewicht zur introvertierten Arbeit des Professors. 
Als Urs Hölzle 1999 bei Google anheuerte, war Yoshka mit dabei und prägte den verspielten Charakter dieser Firma mit. Hunde waren seither stets willkommen, das „Yoshka Café“ ist heute ein gemütlicher Treffpunkt im Googleplex. Hölzle ist der Hunderasse Leonberger, der Firma Google, und auch dem WWF als Direktor treu geblieben. Als Senior Vice President, Technical Infrastructure, ist er für die Data Centers verantwortlich, ohne die bei Google nichts funktionieren würde. In Hölzles Infrastruktur ist das Wissen und Können der Menschheit, alle Bücher, die Musik, die Kunst, die Geschichte und die News, alle Baupläne, Fachartikel und aller Klatsch und Tratsch – kurzum Poppers Welt 3 aufbewahrt und à jour gehalten. Der „Suchmaschinist“ (Handelszeitung) hat hier seine Lebensaufgabe gefunden. Seiner verschwiegenen Truppe gelang es, den Energieverbrauch im Vergleich zur Konkurrenz auf 50% zu senken. Dennoch verbrauchen Googles Data Centers die Energie von Flugzeugträgern. In den Rechnercluster wurden wohlfeile Ausschuss-Computer, die laufend ausfielen, zu Hunderttausenden verbaut, und dennoch wurde, dank Hölzles Software, eine unerreichte Verfügbarkeit von 99.97% erreicht, was jeden Firmenserver alt aussehen lässt. Gegenwärtig realisiert man für 10 Milliarden Dollar eine Google-Cloud, der man trauen kann und in welche sich die Programme verlagern werden, die heute noch in PCs einzeln installiert sind. Microsoft Office gibt es in der Online-Version bereits heute gratis! Das verwirrende tägliche Aufdatieren hätte dann ein Ende, und die PCs würden sich auf ihre Rolle als Mensch/Internet-Interfaces beschränken. Dem spröden und verlässlichen Naturmenschen aus dem Baselbiet könnte dies gelingen. Urs Hölzle wäre dann nicht nur Herr über das weltumspannende Datenmeer, in welchem bald auch führerlose Fahrzeuge sicherer ans Ziel gelangen, sondern überdies der Betreiber eines Teils der persönlichen Computer-Arbeitsplätze, von denen es bereits mehrere Milliarden gibt. Übrigens: Dass Google in Zürich einen Forschungs-Campus mit heute über 1500 Mitarbeitern aus 75 Ländern betreibt und in den nächsten Jahren noch massiv ausbauen wird, ist weitgehend der Initiative von Urs Hölzle zu verdanken. Die Ingenieure hier arbeiten an der Suchmaschine, Gmail, Youtube und Maps und es gibt auch ein Google Data-Center in Zürich. Im Schweizer-Fernsehen hat er sich auf Baaselditsch (mit amerikanischen Akzent) zur schweizerischen Forschungspolitik geäussert: Die ETH-Z bildet heute nur 70 Informatiker pro Jahrgang aus, in den USA sind es vergleichsweise 4x mehr.
Quellen:
1) Steven Levy: In The Plex: How Google Thinks, Works, and Shapes Our Lives (Google eBook), Simon and Schuster, 2011 - 432 Seiten, auch als Kindle, Audible, Paperback und in Deutsch erhältlich.
2) http://youtu.be/IC2DsWioYuY
3) http://youtu.be/FMyx99O5o-s
4) http://www.srf.ch/play/tv/einstein/video/google-fellow-urs-hoelzle-erlaeutert-die-bedeutung-der-green-it-?id=d4402890-dd68-4b95-ac9c-17e5d13a3d9f