Montag, 5. Mai 2008

Quo vadis, Microsoft?


Vista heisst das neue PC-Betriebssystem, womit der Hersteller Microsoft ihr Windows XP seit einem Jahr abzulösen versucht. Kürzlich musste ich einen sorgfältig installierten Vista-Computer zurücknehmen und dieselbe Maschine mit XP ausliefern. Grund: Nach zweimonatiger Nutzung akzeptierte der Kunde Vista nicht. Der Kunde, Mitglied eines Vereins, erklärte mir, sämtliche Vereinsmitglieder würden Vista ablehnen. Und nicht nur dies: Auch Office 2007 würde abgelehnt. Man habe sich an das bisherige Office 2003 gut gewöhnt, der Umstieg auf 2007 sei eine Zumutung, zuviel habe sich geändert, man kenne sich in Word & Co. überhaupt nicht mehr aus. Doch nicht nur bei der eigenen Bedienung entstünden Schwierigkeiten, auch der früher problemlose Austausch von Dokumenten über das Internet sei inakzeptabel. So seien Worddateien, die er mit Word 2007 geschrieben oder korrigiert habe, von den andern Vereinsmitgliedern nicht mehr lesbar!

In der Tat bin ich auf dieses unerwartete Problem schon mehrfach gestossen. Abhilfe gibt die Installation des Compatibility Packs für Microsoft Office 2000, Office XP und Office 2003. Einmal installiert, können Sie Dateien mit den neuen Dateiformaten von Word, Excel und PowerPoint 2007 mit den älteren Office-Programmen öffnen, bearbeiten und speichern. Das Compatibility Pack kann auch mit Microsoft Office Word Viewer 2003, Excel Viewer 2003 und PowerPoint Viewer 2003 verwendet werden, um Dateien in diesen neuen 2007-Formaten anzuzeigen. Hat Microsoft hier die Rechnung ohne den Wirt gemacht? Oder gibt es tatsächlich gute Gründe, die bisherige wechselseitige Kompatibilität unter den Office-Versionen aufzugeben? Zwar mögen strategische Gründe dafür sprechen, mit der Vergangenheit radikal zu brechen, für den Normalbenützer sind diese aber kaum einsichtig. Und er interessiert sich für komplizierte Erklärungen wenig. Er hatte schon leer geschluckt, als er wegen Vista einen viel schnelleren PC und 2 Gigabyte Arbeitsspeicher erwerben musste. Der vor vier Jahren gekaufte PC sei schlicht nicht Vista-tauglich. Und nun dies... Mit dem neuen IT-Werkzeug wird er von seinen Computer-Kollegen nicht mehr toleriert. Ablehnung allenthalben, trotz Aero-Glass-Desktop mit Schattenwurf, halbtransparenten Rahmen, flüssige Animationen; der PC-Benützer ist nüchtern geworden, lässt sich von der «PC-Kirche» in Redmond nicht mehr einlullen.

Was hier an der Basis geschieht, spielt sich auch auf höheren Ebenen ab.[i] Microsoft sieht sich gezwungen, die Verfügbarkeit von Windows XP zu verlängern. Dell unterband in der neuen Vostro-Linie das XP ganz; nun kann man es auf Verlangen doch wieder haben... Auf meine Rückfrage hin liess man verlauten: ...bis Ende Jahr 2008. Microsoft gibt noch weiter Gegensteuer und will in einer 300 Millionen Dollar-Werbeoffensive erreichen, dass man den neuen PC nicht trotz Vista sondern wegen Vista kauft. Das US-Verkehrsministerium, die US-Luftfahrbehörde FFA und viele Firmen in den USA haben ihren Mitarbeitern verboten auf Vista und Office 2007 aufzudatieren. Ähnliches geschieht in Europa. Die Kantonspolizei St. Gallen richtet etwa 1000 PC-Arbeitsplätze neu ein. Man migriert von Windows 2000 auf Windows XP und schreibt mit Office 2000(!) Während die Stadt Zürich auf Office 2007 und Vista setzt, wechselt die Stadt Freiburg i.Br auf Open Office. In München gibt es gar die Absicht, PCs auf das Linux-Betriebssystem umzurüsten. Bei der Einführung behördlicher Open Source Anwendungen gibt hierzulande der Kanton Waadt den Ton an. 15 Kantone und der Bund zeigen für diese Microsoft-unabhängige EDV Interesse. Beim Bund setzen zum Beipiel das DEZA und das Bundesgericht bereits Open Source Programme ein. Damit will man die sonst auszumusternden PCs viel länger nutzen, denn 90% des alten EDV-Materials läuft noch tadellos. Open Source werde ich die nächste Kolumne widmen, denn Open Source verhilft zu viel längeren Produkt-Lebenszyklen und kann den digitalen Graben zu den Entwicklungsländern zuschütten, da diese Software nichts kostet. In Europa surft schon jeder dritte PC mit Firefox von Open Source, in Finnland ist jeder zweite unabhängig von Microsoft am Browsen. Von Brüssel wird Microsoft immer wieder neu in die juristische Zange genommen. Kaum hat die EU-Kommission ein Bussgeld in Höhe von knapp 809 Millionen Franken bestätigt, droht Microsoft neues Ungemach aus der EU. Im Visier ist derzeit der Internet-Explorer, der sich nicht deinstallieren lässt.

Doch vorläufig fährt der Riesendampfer Microsoft unbeirrt auf Kurs. Vista beschert dem Koloss Rekordumsätze und der Gewinn liegt derzeit bei 3.4 Milliarden Dollar. Freilich steuert Bill Gates nicht mehr auf der Brücke und die ersten Offiziere mögen sehr reich und vielleicht etwas träge geworden sein. Die Intelligenz dieser Superfirma ist dennoch nicht zu unterschätzen. Das sollte uns an der Basis aber nicht daran hindern, die für uns jeweils beste Softwarelösungen zu benützen. «I follow Microsoft» ist vielleicht nicht mehr überall der Weisheit letzter Schluss, wie einst im alten Rom, wo sich einer von der Frage «Domine, quo vadis?» in die Irre führen liess[ii], statt selber für sich das Richtige und Einsichtige zu tun.

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[i] Wissen, was im ICT-Geschäft läuft: http://www.inside-it.ch/ .
[ii] http://de.wikipedia.org/wiki/Quo_vadis bietet ein Zugang zu dieser alten Legende. Sie passt hier, weil für den blinden Glaube an Microsoft ein immer höherer Preis bezahlt werden muss.