Freitag, 5. September 2014

John von Neumann

*28. Dezember 1903 in Budapest (Österreich-Ungarn) als János Lajos Neumann
† 8. Februar 1957 in Washington, D.C.
Man kann das Leben des amerikanischen Computer-Erfinders von seinem letzten Werk her aufrollen: Krebskrank auf dem Sterbebett arbeitete John von Neumann an seinem Vortrag Computer und Gehirn, den er auf Einladung von Yale's Silliman Lectures halten sollte. Sein Tod 1957 vereitelte dies. Die Parallelen zu Turing frappieren: Beide Pioniere kamen von der Mathematik über den Computer zur Biologie. Doch John von Neumann war anders: weltläufig, extravertiert, Gastgeber legendärer Partys, ein in Regierungskreisen hoch angesehenes Mitglied der Atomenergie-Kommission. Er arbeitete ungemein produktiv in verschiedensten Disziplinen. Nicht weniger als 150 Fachartikel wurden von ihm publiziert. Für die Physiker, die sich untereinander nicht mehr verstanden, schrieb er 1932 ein klärendes Buch: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik.[1] Darin geht er dem Messproblem auf den Grund. Seine Interpretation der Quantenmechanik ist eine bis heute gültige Variante. Auch der erwähnte Vortrag ist kristallklar formuliert. Wer vom Begriff „Elektronengehirn“ Ebenbürtigkeit zwischen Kopf und Computer ableitet, wird eines anderen belehrt. Das Gehirn ist dem damaligen Computer vielfach überlegen, die Arbeitsweise ist grundverschieden. Doch gerade im Vergleich des Systems mit dem Organ begreift der Leser, wie beide rechnen. Von Neumann hatte die Gabe, komplexe Dinge leichtfasslich zu vermitteln. Diese Gabe kombinierte er mit einem überirdischen Verstand und einem fotografischen Gedächtnis. Seinen Kollegen war er ein gesuchter, aber gefürchteter Ratgeber. Oft griff er gute Ideen auf, entwickelte sie weiter und brauchte sie in eigenen Publikationen. Umgekehrt teilte er sein Wissen freimütig. Für die Regierung wurde er im Krieg zu einem unentbehrlichen Berater. Ab 1943 arbeitete er als Berater am Manhattan-Projekt  zur Konstruktion und Zündung der ersten Atombombe „Trinity“ in der Mogave-Wüste. Wegen der damit verbundenen Rechenaufgaben verfasste er im Alleingang die erste Bauanleitung für die US-Computer. Die Behörden versuchten vergeblich, diese bahnbrechende und genial-weitsichtige Arbeit geheim zu halten.


1927 veröffentlichte „Johnny“, wie ihn seine vielen Freunde nannten, in den Mathematischen Annalen seine „Theorie der Gesellschaftsspiele“, womit er einen Teil seiner Karriere, nämlich die des Wirtschaftsmathematikers, fulminant startete. Zwar analysierte er darin nur harmlose Brettspiele, doch trug seine Theorie den Keim zu weltpolitischen Umwälzungen in sich. Der 25-Jährige liebte das Spiel und er war in Berlin und Zürich oft in Pokerrunden anzutreffen. Mathematik studierte er bei Weyl und Polya[2] an der ETH Zürich so erfolgreich, dass er als Privatdozent an die Berliner Universität berufen wurde. Dort schrieb er über seine Spieltheorie „die Übereinstimmung der dabei herauskommenden Resultate mit den bekannten Faustregeln der Poker-Spieler kann als Bestätigung unserer Theorie gesehen werden“. Also spielte er immer mit Blick auf die Verfeinerung seiner Mathematik, die  als „Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten“ 1944 als Klassiker der Wirtschaftswissenschaft herauskam.[3] Er war dann längst Professor am legendären Institut for Advanced Studies in Princeton USA, zusammen mit Einstein, Gödel, Oppenheimer, Feynman und anderen. Von Neumann und Morgensterns luzider Wälzer „Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten“, begründete aus dem spielenden Punktesammeln das profitorientierte Denken, dessen Dominanz seither die westliche Gesellschaft anpeitscht. Dieses von Neumann wesentlich mitgeprägte Denken ergriff auch die Politik der Nachkriegszeit. Militärstrategen stürzten sich auf das Werk, von dem sie bei schwierigen Planungen Entscheidungssicherheit erhoffte. Von Neumann öffnete es die Türen zu zahlreichen Beratermandaten. Im September 1949 sammmelte die US Air-Force Luftproben über dem Japanischen Meer, die radioaktives Cerium 131 und Ittrium 91 enthielten. Das konnte nur bedeuten, dass irgendwo in Zentralasien eine Atombombe gezündet wurde, was die UdSSR danach bestätigte. Die US-Regierung war schockiert, das nukleare Wettrüsten begann. Von Neumann hatte sich abermals um nukleare Bombenfragen zu kümmern. Seine mathematischen Expertisen war äusserst gefragt, zumal er sich vehement zur nuklearen Überlegenheit der USA bekannte. Folgerichtig plante man in Los Alamos nun die viel stärkere Wasserstoffbombe und im Rahmen Denkfabrik RAND der Airforce spielte man theoretisch die Option Erstschlag durch, durch welche die kommunistische Welt vernichtet und eine Weltregierung durchgesetzt werden sollte. Johnny hatte schon immer ein Faible für Anwendungen der Mathematik, je bedeutsamere desto besser (und weil es ein höheres Salär einbrachte). Hier fand er nun das ultimative Experiment, welches seine letzten Ambitionen erfüllte. Von der Sprengstofflinse (zur Zündung der Kettenreaktion), über Fluiddynamik, Schockwellen-Optimierung, quantenmechanischem Wirkungsquerschnitt, Neutronenreflexion und -moderation, bis zum Modell des Mega-Game eines Erstschlags (er war Mitglied der Target-Kommission) fand er alles vor.  Zu Kollegen, die mehr Skrupel hatten, meinte er nur: „Du hast nicht verantwortlich zu sein für die Welt, in der du existierst.“ Dieser Rat machte Nobelpreisträger unbekümmert und sehr glücklich. Johnny’s  Knochenkrebs – den er sich vermutlich anlässlich der Versuchszündung der ersten Wasserstoffbombe im Pazifik geholt hatte – peinigte ihn zu Tode. Der geborene Jude, evangelisch geschulte Student, atheistischer Mathematiker verbrachte seine letzten Lebensmonate im Gespräch mit einem katholischen Priester. 

Dass Hitler nur auf gehorsame Soldaten setzte, erwies sich als Grube, in die er selbst hinein fiel. Zuse rettete seinen Computer von Berlin in eine Scheune im Allgäu, wo ihn nicht die Wehrmacht, sondern die ETH aufspürte. In England knackten die ersten Informatiker dank Alan Turing Hitlers chiffrierte Befehle, was die Wende im Atlantik und in der Ukraine einleitete. In den USA scharten sich die Informatiker um „Johnny“, der mit seiner Superintelligenz das Kriegsende im Pazifik herbeiführte, indem er Computer baute und damit die Atombombe rücksichtslos ins Werk setzte. Ohne Turing und von Neumann und ihre Computer hätte der 2. Weltkrieg viel länger gedauert und – wer weiss – eine völlig andere Weltordnung hinterlassen. Computer waren und sind entscheidend, um Kernexplosionen auszulösen. Dass Hitler den Computererfinder Karl Zuse nicht unterstützte ist ein starkes Indiz dafür, dass die deutschen Atomphysiker um Heisenberg keine Bombe bauten, denn dafür hätten sie Zuses Rechner benötigt. Aber das wussten die Alliierten nicht. Sie wurden gepeitscht von der Angst, Hitler könnte ihnen zuvor kommen.  Doch dessen Wehrmacht kapitulierte am 7. Mai 1945, einige Tage vor der ersten atomaren Testexplosion (Plutonium-239 als Spaltstoff) in White Sands USA. Als vier Monate später, am 2. September 1945, Japan unter dem Schatten der radioaktiven Atompilze über den zerstörten Städten Hiroshima und Nagasaki bedingungslos kapitulierte, wuchs in Amerika die Furcht, Stalin könnte sich ebenfalls Atombomben zulegen. Schliesslich standen sich die beiden kampferprobten Armeen in Europa gegenüber. Tatsächlich zündeten die Sowjets am 29. August 1949 ihre erste Atombombe, die praktisch eine Kopie der in Los Alamos erbauten ersten Versuchsbombe war. Klaus Fuchs, der in Los Alamos ein- und ausging, wurde als Spion enttarnt. Rücksichtslos verstrahlte Stalin Heerscharen von Zwangsarbeiter für die überstürzte nukleare Bombenentwicklung. Die Sowjets liessen die damals modernste Isotopentrennzentrifuge zur Uran-Anreicherung durch deutsche Forscher bauen, die wohl kaum durch Patriotismus zu motivieren waren. Dafür liess Stalin sie hinrichten, wenn Sie die Ziele nicht erreichten. Die Testexplosion in Semipalatinsk war der Startschuss zum Kalten Krieg der ungleichen Gesellschaftssysteme, der im Wesentlichen in ein Wettrennen um immer verheerendere Atomsprengköpfe und Trägersysteme ausartete.


Es ist kein Zufall, dass die konstruktivsten und destruktivsten Erfindungen just zum selben Zeitpunkt entstanden. Sie bedingten einander. Am Institut of Advanced Study (IAS) in Princeton USA baute Johnny nach Kriegsende mit einer Ingenieurgruppe die IAS-Maschine. Es war der erste elektronische, binäre, speicherprogrammierbare Computer in den USA mit konsequenter Von Neumann-Architektur. Dieses Funktionsmodell wird bis heute benützt. Das hatte im noblen Elfenbeinturm, wo die Theoretiker-Elite der Welt – unter ihnen Einstein und Gödel sowie Geisteswissenschafter – ihrem Glasperlenspiel frönten, fast eine Palastrevolution ausgelöst. Ingenieure mit ihren rauchenden Lötkolben und schmutzigen Händen entheiligten die Hallen und wurden schliesslich in einem Nebengebäude untergebracht. Aber es herrschte kalter Krieg, und Johnny, der in Militär- und Regierungskreisen ein- und ausging, konnte beinahe unbeschränkte Geldmittel beschaffen. Man wollte den Sowjets die Stirn bieten und um jeden Preis innert Jahresfrist die viel stärkere Wasserstoffbombe bauen. Dazu musste man leistungsfähigere Computer haben, denn die Uranbombe war hier nur die Zündkapsel, welche die nötige Hitze (100 Millionen Grad) und den Druck lieferte, um die sonnenähnliche Kernfusion in Gang zu bringen. Gegen die Superbomben-Entwicklungskosten von 20 Millionen Dollar (eine halbe Milliarde in heutiger Kaufkraft) waren die paar hunderttausend Dollar für den Rechner Peanuts. Eine Verpuffung wollte man sich nicht leisten, denn schliesslich waren die Versuchsexplosionen im Pazifik erstklassige weltpolitische Machtdemonstrationen. Im Stillen Ozean explodierte am 1. November 1952 die erste US-Wasserstoffbombe im Teller-Ulam-Design mit 10 Megatonnen Sprengkraft. Drei Jahre später feuerten die Sowjets ihre erste kopierte thermonukleare Versuchsbombe ab. Der brillante polnische Mathematiker Stanislaw Ulam war einer der engsten Mitarbeiter von John von Neumann. Er korrigierte mit Hilfe der von ihm und Johnny erfundenen Monte-Carlo-Methode die Mängel im ersten Entwurf, demjenigen von Edward Teller, dem „Vater der Wasserstoffbombe“, bevor dieser seine Fehlkonstruktion zünden konnte. Die Monte-Carlo-Methode braucht man heute in der Wetter- und Klimaforschung, in der Nuklearmedizin und in vielen anderen konstruktiven Anwendungen.


Zeitgleich beschäftigten sich Forscher um John von Neumann, so wie auch Turing in England, mit zellulären Automaten und evolutionsbiologischen Modellen. Watson und Crick entdeckten die Doppelhelix der DNA, in der alle Erbinformationen im Kern der lebendigen Zellen codiert sind. All dies wäre ohne numerische Computermethoden undenkbar gewesen. Zweifellos waren die ersten Computer Kinder des Krieges. Sie begründeten aber die Morgendämmerung des digitalen Zeitalters, das uns heute beispielsweise die personalisierte Medizin beschert, wo dank präziser Information aus dem Erbgut von Krebszellen immer öfter auf Chemotherapie verzichtet werden kann. Ob all dieser Erfolge geht in der Öffentlichkeit fast vergessen, dass die bösen Geister noch quicklebendig in ihren Flaschen ruhen. Tausende Atomsprengköpfe und thermonukleare Megatonnen werden in den Arsenalen hüben und drüben und in Drittstaaten von einer verschwiegenen Garde erstklassiger Wissenschaftler gepflegt und gefechtsbereit gehalten. Wer mag entscheiden, ob sie uns vor dem Angriff schützen oder den Untergang vorbereiten? Werden am Ende die Glasperlenplanspiele strategischer Computer entscheiden?




[1] John von Neumann: Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. Springer, Berlin, 2011, 262 S.
[2] Das Buch G. Polya: Schule des Denkens hat mir während des Studiums sehr geholfen.
[3] John von Neumann, Oskar Morgenstern: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Physica, 1967, 668 S.
[4] William Poundstone: Prisoner's Dilemma.
Anchor Book, New York, 1992, 320 S.
[5] George Dyson: Turing's Cathedral. Panteon Book, New York, 2012, 432 S.
[6] Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Suhrkamp, 1996, 605 S.


Donnerstag, 24. April 2014

Alan Turing



Während in Deutschland durch die Initiative des rechenfaulen Bauingenieurs Karl Zuse der Computer trotz des Krieges entstand, lief es in England ganz anders. Zwar gab es auch hier einen herausragenden Helden, doch wurden die Entwicklungsstufen durch die Notwendigkeiten der Kriegsgeschichte diktiert. Alan M. Turing erfand in seiner berühmten Publikation On Computable Numbers 1936 die Funktionsweise eines universell-programmierbaren Computers top-down, das heisst durch rein theoretische Erwägungen, im Alter von 24 Jahren. Die Funktionsweise der so genannten Turing-Maschine wurde das Urbild des englischen Computers. Realisiert wurde dieser allerdings erst nach dem Krieg. England geriet durch Hitlers Wehrmacht  in zunehmende Bedrängnis. Churchill, dem die Verteidigung anvertraut war, tickte aber anders: Nicht nur mit Gewalt, sondern mit List sollte dem Aggressor begegnet werden. Er zog die besten Mathematiker und Ingenieure zusammen, so auch A. M. Turing, und isolierte sie im  Herrenhaus Bletchley Park (B.P.) auf der Landschaft 70 km ausserhalb Londons zwischen Oxford und Cambridge. Die Wissenschaftler dieser Universitäten konnten per Eisenbahn leicht anreisen. Dort entstand der kriegsentscheidende zentrale Nachrichtendienst. Die englischen Küstenstationen, die den Morse-Funkverkehr der Wehrmacht aushorchten, sandten die verschlüsselten Telegramme in die Hütten des Parks. In zahlreichen Baracken arbeiteten 1942 viertausend Frauen, Spezialisten und Mathematiker an den Teilaufgaben der Entschlüsselung in einer undurchschaubaren Organisation, deren Ziel es war, in Kenntnis der Befehle Hitlers und der Rückmeldungen durch Frontkommandos den Operationen der Wehrmacht zuvorzukommen. Diese geheime Strategie ging auf. Auf dem Höhepunkt des Krieges stand die Vernichtung des ganzen alliierten Nachschubs im Atlantik auf dem Spiel, als der Aggressor in U-Booten den Verschlüsselungscode verschärfte.

Es schlug die Stunde von Professor Turing, der aus seiner Verbannung zurückgeholt wurde, die er wegen einer Liebesaffäre antreten musste. Dummerweise wurden „harmlose“ Wettermeldungen aus dem Atlantik gleichzeitig mit einem leichter zu brechenden Code übermittelt, was Turing in B.P. als Einstieg diente, um den Enigma-Code gerade noch rechtzeitig zu entschlüsseln. So gelang es, den Totalverlust der amerikanischen Versorgungs-Armada abzuwenden. Die vielen U-Boote von Grossadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz wurden umfahren und mit Wasserbomben gezielt versenkt. Zur Quellenverschleierung liefen Nachrichten aus B.P. sogar über den Schweizer Nachrichtendienst, wodurch Stalin im Kursker Bogen die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte gewinnen konnte, was die Wende im militärischen Kräfteverhältnis zu Gunsten Russlands einleitete.  (Wen wunderts, dass die geschichtsbewusste Bevölkerung der östlichen Ukraine noch heute nicht viel für den Westen übrig hat.) Auch in Nordafrika musste Feldmarschall Rommel dank vorauseilenden Informationen aus B.P. den Rückzug blasen. B.P. verkürzte das Kriegsgeschehen um zwei Jahre, wie ein Historiker schrieb. Ein unmilitärisch organisierter, fröhlicher, loyaler und patriotisch hoch motivierter Haufen Intelligenz, allen voran Alan Turing, verhalf den Alliierten zum Sieg. Das Personal von Blechley Park - auf der Roll of Honour sind heute über 10‘000 Angestellte verzeichnet - wurde durch ein Kreuzworträtsel-Preisausschreiben im Daily Telegraph rekrutiert. Um sich einzufühlen, möge man den Film ENIGMA ansehen, der von Mick Jagger, Frontman der Rolling Stones, produziert wurde. So also fühlt es sich an, wenn um Freiheit und Menschenwürde gekämpft wird!

Selbstredend entstanden in B.P. auch Computer, denn ohne schnelle Rechenautomaten wäre der Nachrichtenstrom aus der Wehrmacht nicht zu entschlüsseln gewesen. Doch es waren spezialisierte, nur für einen Zweck konstruierte Maschinen. Der  frei programmierbare Denkapparat, die Turing-Maschine, und alle Spekulationen über künstliche Intelligenz blieben aussen vor. Tag und Nacht rechneten die „Turing-Bomben“ genannten Maschinen. Es waren mechanische Rechner mit Walzen, die den morsenden ENIGMA-Codiergeräten glichen. Ihr Zweck war es, alle Verschlüsselungskombinationen nach einschränkenden Vorgaben blitzschnell durchzuarbeiten. So war man in der Lage, die täglich wechselnde Verschlüsselung innert 1-2 Stunden zu knacken. Das genügte, um den Aktionen an der Front zuvorzukommen. Hitler bemerkte die allwissenden Schachzüge des Gegners zwar auch, aber er vermutete Verräter in den eigenen Reihen und konnte sich als technisch Unkundiger nicht vorstellen, dass eine Maschine menschlichen Code-Brechern derart überlegen sein könnte. Auf das Argument, dass Zuses Computer möglicherweise zum Endsieg beitragen könnte, soll Hitler geantwortet haben, dazu brauche er keine Rechenmaschine, das mache er mit dem Mut seiner Soldaten.

In England entstand gegen Kriegsende Colossus, ein elektronischer Rechenautomat, aufbauend auf den Entwürfen Turings. Zehn Stück wurden für B.P. gebaut. Damit wurden Telex-Nachrichten der Lorenz-Schlüsselmaschine geknackt. Colossus gilt zwar als der erste speicherprogrammierbare Röhren-Computer, war jedoch fest an eine bestimmte Aufgabe angepasst und nicht im heutigen Sinn frei programmierbar. Alle Colossi wurden nach Kriegsende aus Geheimhaltungsgründen zerstört.

Alan Turings Interessen waren von nun an nicht mehr an kriegswichtige Aufgaben gebunden. 1946 präsentierte er ein Papier über die Automatic Computing Engine (ACE), die Quintessenz seiner Erkenntnisse von 1936 und den Erfahrungen mit Colossus. ACE war ein Röhren-elektronischer universell-speicherprogrammierbarer Rechenautomat. Unendliche Querelen durch missgünstige Besserwisserei und Beamten-Obstruktion verzögerten die Realisierung jahrelang, in einer Zeit, als die ETH bereits mit Zuses Z4 in Zürich die Grand-Dixence Staumauer berechnete. Schliesslich konnte im Mai 1950 eine verkleinerte Variante von ACE in Betrieb genommen werden. Turing nutzte die Zeit auf seine Weise und schuf auf dem Papier zahlreiche Subroutinen, Mikroprogramme, die es erlaubten, die ACE auf einer höheren Programmebene zu betreiben, um sie bedienbar zu machen. Das lief auf eine höhere strukturierte Programmiersprache hinaus. Ihm war klar, dass die Übersetzung in Steuerbefehle auf die Maschinenebene dereinst vom Computer selbst übernommen würde, was wir heute Compiler nennen. Rutishauser in Zürich befasste sich ebenfalls mit diesem Thema und erfand schliesslich das uns ETH-Absolventen wohlbekannte ALGOL. Schon 1953 ging dann die zweite mächtigere Version von ACE in Betrieb. Daran war Alan Turing, dem, im Gegensatz zu Zuse, jegliches kommerzielles Interesse fehlte, nicht mehr beteiligt.

Nach und nach wurde der englische Computer-Erfinder von allen Projekten zur Weiterentwicklung der Elektronengehirne ausgeschlossen. Als homosexueller Geheimnisträger galt er als unberechenbares Sicherheitsrisiko. Die Zeitgeschichte um 1950, zu Beginn des kalten Krieges, entwickelte sich in eine für den Freigeist fatalen Richtung. Er beschäftigte sich auch deshalb zunehmend mit theoretischer Biologie, schuf mathematische Modelle, die für biologische Musterbildung, embryonale Zellteilung und Selbstorganisation von Mikroorganismen grundlegend wurden. Er wurde, aus heutiger Sicht, zu einem Pionier der mathematischen Entwicklungsbiologie. Es entstanden Publikationen und er betreute Doktoranden, die Modelle durchrechneten. Der Manchester-Computer wurde zum gefragten Werkzeug der Zellbiologie. Turing war ein loyaler Staatsbürger. Jedoch wurde er unsinnig bestraft, weil seine Homosexualität polizeilich ruchbar wurde und sie ihn statt ins Gefängnis in eine Hormonkur schickten, bei der ihm Brüste wuchsen und die den Retter Englands körperlich und seelisch schliss. Dennoch war seine Lebenskraft ungebrochen. Alan Turing hatte vielerlei Projekte, als sein Todesjahr anbrach. Es gab keine Zeichen von Lebensmüdigkeit. Man fand ihn am 7. Juni 1954 tot auf seinem Bette liegend, neben ihm der angebissene Apfel, den er vor dem Einschlafen regelmässig verzehrte. War der Apfel vergiftet? Dass dieses Beweisstück polizeilich nicht untersucht wurde, lässt vermuten, dass hier der Geheimnisträger eliminiert wurde. Es gibt kaum Belege für den von einzelnen Biografen überlieferten Freitod. Churchill beendete gleichzeitig die Kriegs-Memoiren und erwähnte, obgleich von Eisenhower dazu aufgefordert, seine stärkste Waffe, Alan Mathison Turing, darin mit keinem Wort! Es wurde rasch still um unseren Helden. Nur seine Mutter kämpfte um Anerkennung, mit einem eigenen Buch, in welchem sie den Tod als Unfall beim Experimentieren bezeichnete. Ehrungen und eine königliche Rehabilitierung wurden ihm erst heute zuteil.
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Ohne Turing entstand in rascher Folge die englische Computerindustrie. Für Turing wurde die Beamten-Mediokratie tödlich: (Zit. nach http://arprin.wordpress.com/2013/12/24/alan-turing-begnadigt/)
Die britischen Behörden verhafteten Turing im Jahr 1952. Homosexuelle Handlungen waren in Großbritannien bis 1967 strafbar. Er wurde vor die Wahl gestellt: Entweder Gefängnis oder Umerziehung. Notgedrungen entschied er sich für letzteres. Er musste sich einer Hormontherapie unterziehen und wurde chemisch kastriert. Sein Leben wurde zur Hölle gemacht, und am 7. Juni 1954 beging er, psychisch gebrochen, mit 42 Jahren Selbstmord. Ein vergifteter Apfel  lag neben seinem Leichnam. Wir wissen nicht, welche Folgen Turings früher Tod für die ganze Menschheit hatte. Er hatte sich nämlich auch mit anderen existenziellen Fragen beschäftigt, so z.B. wie ein Organismus aus einem Gemisch chemischer Substanzen entstehen kann, und verfasste im Jahr 1952 auch dazu einen bahnbrechenden Aufsatz (s. Turing-Mechanismus). Erst 1992 wurden seine letzten Werke veröffentlicht. Turings Bekanntheit könnte in einer Reihe mit Galileo, Newton, Darwin und Einstein stehen. Später erhielt Turing viele Würdigungen. Ein Preis wurde nach ihm benannt (der “Turing-Award“, der als Nobelpreis für Informatik gilt), viele Statuen erinnern an ihn. Erst im Jahr 2009 entschuldigte sich Gordon Brown für Turings Behandlung durch den britischen Staat, aber eine Begnadigung lehnten viele dennoch ab. Sie kam schließlich Dezember 24, 2013 zustande, viel zu spät.
Heute erinnert der angebissene Apfel an jedem Mac-Computer an diese tragische Geschichte. Churchill erwähnt in seinen 2. Weltkriegs-Memoiren auch die Einrichtung Blechley Park - top-secret bis 1973(!) - mit keinem Wort. Was wäre geschehen, wenn Turings Homosexualität 10 Jahre früher bekannt geworden wäre? Turing wäre seiner Funktion enthoben worden. Dönitz hätte im Atlantik ein leichtes Spiel gehabt und die amerikanische Armada versenkt. Hitler wäre in Russland vorgedrungen und hätte England erobert. Der Krieg hätte länger gedauert. Die amerikanischen Atombombe wäre auf Berlin abgeworfen worden und es hätte noch weit mehr Tote gegeben...

Samstag, 18. Januar 2014

Konrad Zuse

Konrad Zuse, Bild ETH Zürich
 
Es wird Zeit, Konrad Zuse, geb. 1910 in Berlin, in die Walhalla bei Regensburg aufzunehmen. In der einem griechischen Tempel nachempfundenen Ruhmeshalle werden überragende Menschen deutscher Zunge geehrt. Da stehen die Büsten von Johann Sebastian Bach, Friedrich Gauss, Albert Einstein, Wilhelm Konrad Röntgen, Gregor Mendel, Sophie Scholl, und andere; ja selbst die drei Männer auf dem Rütli schwören hier. Diese Geehrten haben bedeutende Spuren hinterlassen. Gewiss trifft dies auch auf Konrad Zuse zu, der 1995 in Hünfeld (Hessen) verstarb. Er hat die ersten programmierbaren und funktionstüchtigen Computer der Welt erschaffen. Am 12. Mai 1941 konnte Zuse die Z3, eine elektro-mechanische Rechenmaschine (wie man damals sagte) in Berlin einem zivilen Fachgremium der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt DVL vorführen. Sie verarbeitet Zahlen in binärer Gleitkommadarstellung, programmgesteuert, mit Rechenwerk und Speicher. Als Ein/Ausgabemedium dienten alte deutsche Filmstreifen, die gelocht wurden. Das war der von den Nazis unterschätzte, deshalb friedliche Startschuss ins Computerzeitalter, im Epizentrum des zweiten Weltkriegs. Was dann geschah, schildert Zuse drehbuchreif in seiner Biografie[1]. Die Z3 wurde verschiedenen Dienststellen der Wehrmacht vorgeführt, jedoch als nicht kriegswichtig eingestuft. Zuse wurde als Soldat an die Ostfront einberufen und musste seine Z3 ungeschützt in der elterlichen Stube zurücklassen, in der seit 1936 auch die rein mechanischen Computer Z1 und Z2 entstanden. Eine eigene Familie hatte er damals noch keine. Seine Eltern traten ihm zwei Zimmer ab und unterstützten den besessenen Erfinder finanziell. Die Z3 wurde auf dem grossen Stubentisch aufgebaut. Doch, o Wunder, mitten im mörderischen Feldzug wurde der noch unverletzte Zuse „uk - unabkömmlich gestellt“. Der diplomierte Bauingenieur durfte in die Henschel-Flugzeugwerke-Berlin zurückkehren, um als Flugzeugstatiker weiterzuarbeiten, wo er bald eine Teilzeitbeschäftigung erwirkte, um zu Hause, mit Kollegen aus der Studentenverbindung, seinen Computer zu verbessern. So entstand die „Zuse Ingenieurbureau und Apparatebau, Berlin“ und ein neuer Computer Z4, als der Bombenhagel einsetzte. Zuse entschloss sich, die schon leistungsfähige, tonnenschwere Z4 ins Allgäu zu retten, und dies gelang durch eine List: Ein befreundeter Physiker mit Beziehungen zur Wehrmacht schlug vor, die gewaltige Maschine offiziell mit „V4“ (Vergeltungswaffe 4) zu bezeichnen. V4 (Versuchsmodell 4) war der interne Deckname für die Zuse-Maschine. Bei diesen zwei Buchstaben standen die Parteibonzen stramm! Die Kontrollposten winkten den so beschrifteten Eisenbahn-Waggon überall durch. Man dachte an eine Weiterentwicklung von Wernher von Brauns legendären und kriegswichtigen V2 Rakete, die England arg zusetzte. Dennoch dauerte die Fahrt Wochen, denn die Strecke war beschädigt und der Aufenthalt in Bahnhöfen war wegen Tieffliegern nicht ratsam. Wie durch ein Wunder erreichte der Tross schliesslich auf Lastwagen die bayrischen Alpen, wo die Maschine in einem Schuppen versteckt wurde. Sie fiel bei Kriegsende in die Zone der Amerikaner. Zuse verhandelte geschickt, die Z4 konnte wieder in Betrieb genommen werden. Das Gerücht über den deutschen Computerbauer wurde an der ETH ruchbar. 1947 fuhr eine Delegation aus Zürich vor. Die Professoren Eduard Stiefel (numerische Mathematik), K. Rutishauser (Programmsprachen) und Ambros P. Speiser (Hardware) suchten eine Möglichkeit, die Grand Dixence-Staumauer zu berechnen. Sie mieteten den Rechenautomaten, willkommenes Geld für Zuse, der sich und seiner Familie in den Bergen mit Malereien das Brot verdienen musste. Zuse nahm die geräuschvolle Z4 im ETH-Hauptgebäude in Zürich in Betrieb. Es war der erste Computer an einer europäischen Universität. Dort leistete sie das Hundertfache im Vergleich mit einem Ingenieurbüro, das damals mit mechanischen Tischrechnern arbeiteten musste. Die Z4 klapperte unter der ehrwürdigen Kuppel Tag und Nacht. Allerdings verweilte Zuse ab und zu in Zürich, um Störungen zu beheben, und auch Rutishauser hantierte ständig daran, fütterte die Maschine mit gelochten Zahlen und entnahm die Resultate. In diesen 5 Jahren entwickelte die ETH ihren eigenen Computer, die ERMETH. Sie besass einen 1.5 Tonnen schweren magnetischen Trommelspeicher und rechnete mit 1500 Elektronenröhren. Sie verarbeitete aber nur Dezimalzahlen, was ein Rückschritt war. Mit 30 Kilowatt Verbrauch war sie empfindlich auf Spannungsschwankungen, verursacht durch vorbeifahrende Trams. Die binäre Zahlenverarbeitung von Zuses Z4 war der Zeit weit voraus, trotz der kriegsbedingt primitiven Bauelemente, darunter Komponenten von abgeschossenen und ausgeschlachteten Bomberflugzeugen. Die Z4 nahm die Struktur der ersten Mikroprozessoren vorweg, mit welchen wir erst ab 1974 hantierten konnten. Sie war kein „Kind des Krieges“, sie entstand trotz des Krieges. Zuse war nie Mitglied der NSDAP. Das Genie Computer-Erfinders Konrad Zuse setzte sich über alle Widrigkeiten hinweg.

Was war Konrad Zuse für ein Mensch? – Der junge Konrad war ein liebenswürdiger, einfallsreicher Eigenbrötler. In der Schule hatte er nur mit einem allseits gefürchteten Latein-Lehrer ein Problem, in den andern Fächern war er gut. Jedoch setzten ihm brutale Mitschüler zu, die dem jungen Genie abpassten. Konrad fand Mittel und Wege, seine Widersacher auszutricksen und ins Leere laufen zu lassen. Früh entwickelte sich so sein Wille zur Selbstbehauptung, was ihm im Krieg bei seiner Arbeit als Erfinder sehr zustatten kam. Pflichtbewusstsein und zähe Zielstrebigkeit lernte er von seinen preussischen Eltern. Die Freizeit verbrachte er mit dem über alles geliebten Metallbaukasten. Damit erwarb er sich früh mechanische Kenntnisse. Er gewann mit bemerkenswerten Konstruktionen die Wettbewerbe des Baukasten-Herstellers. Konrad, der Augenmensch, war auch künstlerisch begabt. Er zeichnete und malte hervorragend. Zwischen Künstler und Konstrukteur hin und hergerissen begann er folgerichtig ein Architekturstudium. Aber das normierte Zeichnen gefiel ihm nicht, er vermisste Gestaltungsfreiheit. Auch Maschinenbau versuchte er, dort aber war von Kunst keine Spur. Schliesslich führte er ein Studium dazwischen, als Bauingenieur zu Ende. Dieses Fach ist geprägt von umfangreichen Berechnungen für die Baustatik. Numerische Mathematik war damals eine Sache für Rechenknechte, die mit dem Rechenschieber und mit mechanischen Tischrechenmaschinen tagelang vorgegebene Rechenschemata abzuarbeiten hatten. Von konstruktivem Einfallsreichtum war da keine Spur. Das ermüdete ihn sehr. Es müsste doch möglich sein, solche Berechnungen einer Maschine zu überlassen! Statt zu rechnen, sann er darüber nach, wie die Schemata und Rechengänge maschinell ausgeführt werden konnten. Das war die Motivation, die Werke früher Rechengenies wie Leibniz[2], Babbage und Ada Lovelace zu studieren. In der Tat wurde auf dem Papier ein derartiges Rechengerät bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Babbage konstruiert und von Ada Lovelace programmiert, allerdings weitgehend nur auf dem Papier. Zuse liess sich durch diese Quellen direkt zu eigenen Konstruktionen inspirieren. Er machte die Mathematikerin Ada Lovelance zu seiner Muse und heimlichen Geliebten, was er erst in hohem Alter bekannte. Die Bedeutung dieser mathematischen „Femme inspiratrice“ kann im Fall des Agnostikers Zuse nicht konkret genug eingeschätzt werden. Das ist keineswegs abwegig, wenn man bedenkt, wie die heilige Barbara schwer arbeitenden Mineuren Kraft spendet oder die Muttergottes katholische Geistliche inspiriert. Mitten im Bombenhagel, im Januar 1945, heiratete Zuse eine Mitarbeiterin, die ihm fünf Kinder schenkte. Mit ihr und mit getreuen Mitarbeitern evakuierte er die Z4 aus dem umkämpften Berlin. In Hessen wuchs nach dem Krieg seine Firma Zuse KG zwischen 1949 und 1964 auf über 1000 Mitarbeiter, Zuse war umsichtiger und zielstrebiger Patron und Erfinder zugleich. Doch trotz hervorragender Innovationen gab es keine Zuschüsse, und die staatlich geförderte Konkurrenz aus Übersee wurde übermächtig. Die Firma wurde schliesslich von Siemens geschluckt. Für Karl Zuse begann eine freiere Schaffensperiode. In den verbleibenden drei Jahrzehnten konnte er seine grundlegenden und zukunftsträchtigen Ideen und Erinnerungen publizieren und in zahlreichen Vorträgen weiter vermitteln. Damit festigte er seine geschichtliche Bedeutung als Schöpfer des programmierbaren Computers, so wie dieser heute überall anzutreffen ist. In der akademischen Welt wurde Konrad Zuse mit zahlreichen Ehrendoktoraten geehrt.
Bruno Fricker [3]

 


[1] Konrad Zuse: Der Computer – mein Lebenswerk. 4. Auflage, Springer-Verlag, 1984.
[2] „Es ist unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ – Gottfried Wilhelm Leibniz, konzipierte die erste binäre Rechenmaschine, 17. Jhd.

[3] Ich habe 1984 in der Berliner Volkshochschule Konrad Zuse noch vortragen hören. 1974 wurde ich von Professor Eduard Stiefel in numerischer Mathematik geprüft anlässlich meiner Diplomprüfungen als Physiker. 4 Jahre später verstarb er.

Literatur:
- Konrad Zuse: Der Computer – Mein Lebenswerk. Springer Verlag, 1992, 220 S.
- Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand. Rowohlt-Verlag, Hamburg, Digitalbuch, Oktober 2009.
- Michael Kuyumcu: Konrad Zuse – Roman eines Lebens. Artislife Press Hamburg, 2010, 231 S.
- Herbert Bruderer: Konrad Zuse und die Schweiz. Festschrift zum 100. Geburtstag der Informatkpioniers Konrad Zuse, Technischer Bericht Nr. 715, ETH-Zürich, 2011, 40 S., http://www.abz.inf.ethz.ch

Montag, 16. Dezember 2013

Déjà-vu




Derzeit machen die Körpervermesser von sich reden. Sie joggen in smarten Trikots in den Alleen und auf den Fluren. Ihr Erkennungsmerkmal ist das iPhone am Oberarm. Es zählt die Schritte, misst Blutdruck und Atmung, registriert die geografische Spur und das Höhenprofil. Dem Vernehmen nach werden auch 24-Stunden-Aktogramme erfasst, wie bei Versuchsmäusen in den Drehkäfigen. Und nicht zuletzt interessiert man sich dafür, wie man geschlafen hat. Dazu werden Pulsprofile, Muskeltonus, Hautwiderstand und schnelle Augenbewegungen (REM) für Traumphasen und die Schlaftiefe durch das EEG erfasst. Na so was, meinen die Ewiggestrigen, muss der Mensch denn sein Innerstes zur Schau stellen? (Die Leistungen werden in Foren verglichen und es gibt Ranglisten.) Déjà-vu, liebe Self-Tracker, alles schon da gewesen. Mit einem Kilo Bananen verbrachten wir ganze Nächte an den Kurvenschreibern im Schlaf- und Traumforschungslaboratorium von Professor C.A. Meier[1], dem Nachfolger von C.G. Jung an der ETH. Der Kollege lag derweil schwer verkabelt in der Koje nebenan und träumte süss. Riesige Magnetbänder zeichneten die Daten auf. In den REM-Phasen wurde der Proband geweckt und es wurde notiert, was ihm gerade träumte.[2] Die Computerschränke hiessen PDP-11, vielleicht mögen Altersgenossen sich noch daran erinnern. Die Traumberichte wurden semantisch codiert und statistisch ausgewertet. In Sachen Mind-Tracking könnten die heutigen Body-Tracker noch etwas dazu lernen. Die Rangordnung der Publikationen wurden, statt über Foren, über die Fachpresse ausgehandelt.[3] Was damals Pioniere erforschten, wird jetzt zum Breitensport. Zur Vermessung der Körperfunktionen gesellen sich sammelwütige Firmen, die es auf unser Ego abgesehen haben. So werden wir immer durchsichtiger. Eine breite öffentliche Diskussion dazu hat eingesetzt. Mit unseren berufsbezogenen und sozialen Daten, die es ja im Internet bereits gibt, steht eine umfassende personenspezifische Datenaggregation vor der Tür, wie es selbst Huxley und Orwell nicht erahnten.
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[1] C.A. Meier
[2] Publikation aus Daten des Labors von C.A. Meier
[3] Inhaltsanalyse von Träumen,
Publikation von C.A. Meier et.al.
 

Mittwoch, 27. November 2013

LED



Adventslichter an Fassaden und Bäumen erleichtern uns den Abschied von einem grossen Sommer.  Energieverschwendung? Das war einmal. Die heutigen Lichterketten verwenden LEDs und bleiben kalt, da sie bei gleicher Leuchtkraft nur einen Zehntel Energie verbrauchen. Licht emittierende Dioden (LED) sind ein Produkt der Halbleiterphysik. Auf ihnen ruht die Beleuchtungstechnik der kommenden Jahrzehnte. Wie eine Glühlampe leuchtet, erfährt jedes Kind, wenn es das erste Mal einen Draht erhitzt; wenn es heiss wird, kommt das Licht. Das Wiensche Verschiebungsgesetz erklärt die Beziehung zwischen der Temperatur und der Wellenlänge des Lichts: Je heisser das Metall, desto weisser glüht es. Die Sonne benötigt knapp 6000 Grad für ihr weissblaues Licht. - Wie aber begreifen wir die LED? Sie leuchtet weissblau und bleibt fast kalt! Wie in der Glühlampe, liegt ein Leiter an einer elektrischen Spannung. 3 Volt sind genug. Fliessen 2 Ampère, sind das 6 Watt, und die 40 Watt Glühlampe ist ersetzt. Die LED erwärmt sich kaum, die Leistung wird fast völlig in Licht umgesetzt. Das Geheimnis liegt im Leiter, genauer ist es ein Halbleiter, ein Art Salzkristall, zum Beispiel Galliumnitrid. Stellen Sie sich eine Golfwiese vor mit vielen Löchern, alle sind 10 cm tief. Bei Raumtemperatur vibriert der Golfplatz, so dass einige Bälle (Elektronen) herausspringen und vom Wind (elektrische Spannung) über das Feld getrieben werden. Einige treffen wieder auf ein Loch und fallen 10 cm tiefer.  Sie liegen dort auf einem tieferen Niveau fest. Die Rekombination eines Balls mit einem Loch setzt ein immer gleiches Energiequantum frei (hörbar durch einen „Klack“). Im Atomgitter des Halbleiters entsteht stattdessen ein Lichtquant, seine Farbe entspricht der Fallenergie, ist also für einen bestimmten Golfplatz (Halbleitermaterial) typisch. LEDs waren früher einfarbig. Heute bettet man sie in eine Lumineszenz-Schicht ein, die einfarbige Lichtquanten in weissliches Licht umwandelt. So erreicht man eine natürliche Farbtemperatur. (Geposted im November 2013)
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Kriminell?


Neulich landete verführerische Post, die alle Spamfilter passierte, auf meinen Bildschirm: Ein Anwalt aus London stellte sich freundlich vor und orientierte mich über eine Erbschaft von 7 Millionen Euro von seinem Mandanten Thomas Fricker. Dieser sei unerwartet an einem Herzinfarkt verstorben. Verwandte seien nicht auszumachen. Er hätte meinen Namen im Internet  gefunden.  Er schlug vor, mir 50% zu überlassen, 35% für seine Bemühungen zu nehmen und 15% einer gemeinnützigen Organisation zu spenden. Dieses Vermögen hätte garantiert keinen kriminellen Ursprung.  Er würde für alle notwendigen Dokumente und ein Ursprungszeugnis sorgen, so dass wir die zuständige Bank aufklären und die Geldüberweisung durch legale Rechtsmittel abwickeln könnten. „Alles, was ich von Ihnen benötige, ist Ihr Vertrauen und eine gute Zusammenarbeit“, schrieb er zum Schluss. Wow, dann könnte ich mich ja zur Ruhe setzen! Ich untersuchte das Mail genauer: Es war in sauberem Deutsch abgefasst. Sein Name war im Londoner Telefonbuch bekannt, seine Kanzlei hatte eine gediegene Homepage, er war „Principal Attorney“ und hat drei Partner, die sich mit Finanz- und Vermögenssachen befassen. Zusammen mit Fachpublikationen und Registernummern machte das einen professionellen Eindruck. Maps zeigte mir das vornehme Haus an zentraler Lage in der City. Die Telefon- und Faxnummern stimmten. Die Mailadresse wurde bei einem auf Anwälte spezialisierten Provider in England gehostet. Alle Indikatoren im grünen Bereich – bis auf einen! Ich griff im Text gewisse Sätze heraus, die ein Spammer mehrfach brauchen könnte. Damit googelte ich und – bingo – dieser Brieftrick ist bekannt: Der Text kursiert, leicht variiert, an verschiedenen Orten und wird vernichtend kommentiert. Und ich war drauf und dran, einen hiesigen Fachmann zu konsultieren, der mir für die Transaktion zur Seite steht. Nun schickte ich das Mail in den Spam-Ordner, verlor glücklicherweise keine weitere Zeit und Spesen damit, und fragte mich: Warum hat ein arrivierter Anwalt das nötig? (Geposted Oktober 2013)

Interface


Klaus Bartels hat in seiner Buchbesprechung das Interface ins Zentrum gerückt, die Benutzeroberfläche dieser Computer, auf die der Mensch (zit.) obendrauf schaut, aber nicht hinein, geschweige denn hindurch. [1] Ich habe auf derselben Seite das Ego-Pad skizziert, das möglicherweise eines nicht allzu fernen Tages bewusst wird und sich damit selbst adaptiert und optimiert, was nichts anderes bedeutet, als dass es auf seinem inneren Interface die Regler und Schaltflächen autonom  bedienen wird. Nun geistert ein dritter Text von Thomas Metzinger  in diese Runde, worin der Bewusstseins-Philosoph konstatiert, dass unser  Selbstmodell transparent ist. Wir sehen nur das Abbild der Welt, in der wir uns als Subjekte bewegen, in der wir handeln. Aber wir sehen (normalerweise) jenes Medium nicht, das uns diese Erkenntnisse herbeischafft und Aktionen ermöglicht. Wir sehen nicht das Fensterglas, sondern den Vogel, der vorbeifliegt. Ein Pianist, der im Wechselspiel mit einem grossen Orchester ein Klavierkonzert meistert, kann dies mit geschlossenen Augen tun, obgleich seine Finger die 88 Tasten kunstvoll traktieren. Wir beobachten und manipulieren ein Weltmodell, wie es uns erscheint, aber wir bemerken die innere Benutzeroberfläche nicht, auf der wir spielen. Folglich ist es entscheidend, wie ein Maschinen-Interface gestaltet ist.  Wir möchten, dass die Computer für uns arbeiten und wir Prozesse steuern weit jenseits der  Benutzeroberfläche, die wir doch eher ins Pfefferland wünschen. Deshalb war Steven Jobs ein Genie, weil er ungeheuer leistungsfähige Helferlein mit menschenfreundlichen Gesten bedienbar machte, und darum glaubt Ballmers Microsoft, die Kacheloberfläche so hartnäckig verteidigen zu müssen, obgleich wir lieber mit Tastatur und 2-Knopf-Maus bis an unser Lebensende weiterfahren möchten. Der Wettbewerb um die beste Benutzeroberfläche [2] ist entbrannt, weil wir sie nicht mehr wahrnehmen möchten. Der Mensch denkt, und der Computer lenkt, und die beste Verbindung schafft ein unsichtbares Interface. (Geposted September 2013)
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1] https://www.facebook.com/photo.php?fbid=691874920839931&set=pcb.691875014173255&type=1&theater
2] http://www.tagesanzeiger.ch/digital/mobil/digital/mobil/Textarbeit-am-Tablet/story/10008015