In den Gassen von Liestal sah man den Bub WWF-Briefmarken verkaufen. Als Urs 1983 in die ETH eintrat, ahnte er noch nicht, dass auf seinen Schultern dereinst das Gewicht der vernetzten Welt lasten würde. Vier Jahre später hielt er den Master in Computerwissenschaften in Händen. Er hatte sich ausgezeichnete Grundlagen in Mathematik und Programmiertechnik erarbeitet. Mit einem Stipendium erwarb er den PhD an der Eliteuniversität Stanford im Silicon Valley. Sein sehr abstraktes Forschungsgebiet war die Optimierung von Computerhardware und deren Betriebssoftware. Sein Hund Yoshka war ein verspieltes Gegengewicht zur introvertierten Arbeit des Professors.
Als Urs Hölzle 1999 bei Google anheuerte, war Yoshka mit dabei und prägte den verspielten Charakter dieser Firma mit. Hunde waren seither stets willkommen, das „Yoshka Café“ ist heute ein gemütlicher Treffpunkt im Googleplex. Hölzle ist der Hunderasse Leonberger, der Firma Google, und auch dem WWF als Direktor treu geblieben. Als Senior Vice President, Technical Infrastructure, ist er für die Data Centers verantwortlich, ohne die bei Google nichts funktionieren würde. In Hölzles Infrastruktur ist das Wissen und Können der Menschheit, alle Bücher, die Musik, die Kunst, die Geschichte und die News, alle Baupläne, Fachartikel und aller Klatsch und Tratsch – kurzum Poppers Welt 3 aufbewahrt und à jour gehalten. Der „Suchmaschinist“ (Handelszeitung) hat hier seine Lebensaufgabe gefunden. Seiner verschwiegenen Truppe gelang es, den Energieverbrauch im Vergleich zur Konkurrenz auf 50% zu senken. Dennoch verbrauchen Googles Data Centers die Energie von Flugzeugträgern. In den Rechnercluster wurden wohlfeile Ausschuss-Computer, die laufend ausfielen, zu Hunderttausenden verbaut, und dennoch wurde, dank Hölzles Software, eine unerreichte Verfügbarkeit von 99.97% erreicht, was jeden Firmenserver alt aussehen lässt.
Gegenwärtig realisiert man für 10 Milliarden Dollar eine Google-Cloud, der man trauen kann und in welche sich die Programme verlagern werden, die heute noch in PCs einzeln installiert sind. Microsoft Office gibt es in der Online-Version bereits heute gratis! Das verwirrende tägliche Aufdatieren hätte dann ein Ende, und die PCs würden sich auf ihre Rolle als Mensch/Internet-Interfaces beschränken. Dem spröden und verlässlichen Naturmenschen aus dem Baselbiet könnte dies gelingen. Urs Hölzle wäre dann nicht nur Herr über das weltumspannende Datenmeer, in welchem bald auch führerlose Fahrzeuge sicherer ans Ziel gelangen, sondern überdies der Betreiber eines Teils der persönlichen Computer-Arbeitsplätze, von denen es bereits mehrere Milliarden gibt.
Übrigens: Dass Google in Zürich einen Forschungs-Campus mit heute über 1500 Mitarbeitern aus 75 Ländern betreibt und in den nächsten Jahren noch massiv ausbauen wird, ist weitgehend der Initiative von Urs Hölzle zu verdanken. Die Ingenieure hier arbeiten an der Suchmaschine, Gmail, Youtube und Maps und es gibt auch ein Google Data-Center in Zürich. Im Schweizer-Fernsehen hat er sich auf Baaselditsch (mit amerikanischen Akzent) zur schweizerischen Forschungspolitik geäussert: Die ETH-Z bildet heute nur 70 Informatiker pro Jahrgang aus, in den USA sind es vergleichsweise 4x mehr.
Quellen:
1) Steven Levy: In The Plex: How Google Thinks, Works, and Shapes Our Lives (Google eBook), Simon and Schuster, 2011 - 432 Seiten, auch als Kindle, Audible, Paperback und in Deutsch erhältlich.
2) http://youtu.be/IC2DsWioYuY
3) http://youtu.be/FMyx99O5o-s
4) http://www.srf.ch/play/tv/einstein/video/google-fellow-urs-hoelzle-erlaeutert-die-bedeutung-der-green-it-?id=d4402890-dd68-4b95-ac9c-17e5d13a3d9f
Dienstag, 24. Februar 2015
Urs Hölzle
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Sonntag, 14. Dezember 2014
Norbert Wiener
Neben von Neumann, Zuse und Turing ist Norbert Wiener einer
der grossen Pioniere des digitalen Universums, das nach dem zweiten Weltkrieg
entstand. Norbert Wiener und John von Neumann bildeten in den USA eine Art
Doppelgestirn, sie umkreisten einander und blieben doch auf Distanz. Beide
waren an der Physik und am Computer interessierte Mathematiker; beide hatten in
den USA einen grossen Einfluss. Ihr Lebenswerk ergänzte sich. In den Sommern
1924-26 weilte Wiener in Göttingen, wo sie sich kennen und schätzen lernten.
Ein für Juden bedrohlicher Nationalismus war eine verbindende Gefahr. Was sie
trennte, war ihr grundverschiedener Charakter und ihre Art zu publizieren. Man
könnte von Neumanns Werk mit J.S. Bachs strengem und glasklarem Kompositionsstil
vergleichen. In dieser Hinsicht wäre Norbert Wiener der verspielte Mozart: „zu
viele Töne“ und dennoch von grösster Tiefe und Wirkung, jedoch mit einem
kindlich leicht erregbaren Gemüt. Wie Mozarts Vater sah auch Wieners Vater
(Sprachprofessor an der Harvard-Universität) im Sohn ein Wunderkind und
förderte es bis zum Exzess. Mit 14 Jahren trat Norbert in Harvard ein und
schloss 4 Jahre später mit einer Dissertation über mathematische Logik ab.
Selbst das Postdoc-Studium bei Russel und Hardy in England kam auf persönliche
Vermittlung des Vaters zu Stande. Norbert Wiener beherrschte 10 Sprachen,
reiste gern und viel, bis nach China. Wieners Theorie der Brownschen Bewegung
klärte den Zugang zu stochastischen Prozessen mit Auswirkungen in Biologie,
Ingenieurwesen und Quantenphysik bis heute. Hier korrigierte ein junger
Mathematiker Fehler in Einsteins Theorie, als dieser 1921 den Nobelpreis
erhielt! Wiener festigte seinen Ruf als erstrangiger Mathematiker. In jener
Zeit war er bereits Professor am MIT, eine Position, die er lebenslang
innehatte. Das MIT bildete vor allem Ingenieure aus. Norbert Wiener war mit den
Händen völlig unbegabt. Umso mehr freute er sich, die Probleme der Ingenieure
mit seinem Werkzeug, der Mathematik, zu lösen. Am MIT war er ein kantiger
mathematischer Problemlöser und visionärer Philosoph.
In diesem Blog geht es derzeit darum, die Erfinder des
digitalen Universums aufleuchten zu lassen. Ihre Eigenart, ihre Motivation,
ihre Bedeutung aus heutiger Sicht interessieren uns. Von Globalisierung konnte
damals, im Dunstkreis des 2. Weltkriegs, noch keine Rede sein. Der Computer
entstand in den drei Technik-Nationen Deutschland, England und USA unabhängig.
Nur zwischen England und den USA gab es einen gewissen Austausch, der von den
Geheimdiensten kontrolliert war. Alles war abgeschottet. Das Verhältnis
zwischen den reinen Mathematikern und den Ingenieuren war frostig. Der Krieg indessen
mischte vieles auf und verpflichtete Mathematiker und Physiker zur Wehrtechnik.
Für die einen war dies ein Opfer auf dem Altar des Vaterlands, für die andern
eine Motivationsspritze und Inspirationsquelle ohnegleichen. Zu diesen gehörte der
US-Bürger Norbert Wiener, endlich wurde er wirklich gebraucht. Mit dem jungen
brillanten Ingenieur Julian Bigelow
erfand er in Rekordzeit ein Fliegerabwehrsytem. Der Feuerleitrechner wurde als
verlängertes Organ des Schützen konzipiert, der die Bewegungen des feindlichen
Bombers ins Visier des Radars nimmt, seine Flugbewegung antizipiert, mit
räumlichem Vorhalt zielt und die Zeit treffsicher abschätzt, nach welcher das
Geschoss explodiert und den Flieger zerstört. Diese Aufgabe, die eine
menschliche Hand mit Bravour löst, wenn sie eine Fliege erwischt, erwies sich
mit der damaligen Technik als beinahe unlösbar. Von Wiener beherrscht wurde
freilich die hierfür nötige Mathematik, die er für die Brownschen Bewegung
entwickelt hatte. Und auch an praktischen Ideen fehlte es ihm nicht. Hier
musste ein verrauschtes Radarziel automatisch vermessen und in den
raumzeitlichen Formelkram rückgekoppelt werden, ein Mensch-Maschine Regelkreis
zwischen Radarantenne und Kanone. Bigelow erschuf hierzu den Prototypen, mit
dem die Richtigkeit von Wieners Ideen demonstriert werden konnte. Überliefert
ist zwar nicht, dass damit Bomber abgeschossen wurden, aber in diesem Projekt erarbeitet
Wiener eine umfassende Theorie, die zur Grundlage der Kybernetik wurde, der folgenreichen Lehre der elektronischen Kommunikations-
und Regelungstechnik, derjenige Computer also, die unsere Produktionsstätten
steuern, Fahrzeuge sicher führen, Baumaschinen wie verlängerte Arme bewegen, ja
sich selber reproduzieren, und die man in der Sensomotorik in Tier und Mensch wiederfindet.
Norbert Wiener hat, wie kein Zweiter in der Welt, mit
visionärem Sachverstand und existentiellem Herzblut die Kybernetik im Krieg entwickelt
und bis zum Lebensende vorangetrieben, mit den Möglichkeiten und dem Prestige
als lebenslanger Professor am MIT. Technik und Theorie verschmolzen in seinem
Geist. Überall und in allem entdeckte er Kybernetik. Das Kunstwort vereint die
griechischen Wörter für Steuermann und Herrschaft. Wiener war der Steuermann
auf seinem Gebiet. Kybernetik war seine Passion, die als solche auch belächelt
wurde, da er sie undiplomatisch und mit Eifer kommunizierte. Als
Universalgelehrter kannte er sich überall aus und beeinflusste die verschiedensten
Wissenschaften. Berühmt wurden die von ihm veranstalteten zehn
Macy-Konferenzen, die zwischen 1946-53 stattfanden. Hier diskutierten die US-Experten
auf den Gebieten, Mathematik, Neurophysiologie, Biophysik, Psychiatrie,
Meteorologie, Ingenieur- und Computerwissenschaften, Soziologie, Psychologie,
Sprachwissenschaft. Man entdeckte damals die fächerübergreifende Bedeutung der Regulierung
durch rückgekoppelte Information und versuchte, mit mathematischen Modellen den
gemeinsamen kybernetischen Gehalt zu ergründen. In der Tat ist zwischen dem
Fliegerabwehrsystem und der Hand, welche eine Fliege fängt, kein wesentlicher
Unterschied, die Theorie ist die gleiche. Besonders intensiv wurden die
Rückkoppelungsphänomene in Technik und Physiologie erörtert. Die fundamentale
Bedeutung zielgerichteter Regulierung wurde erkannt. Durch die Rückführung des
Ausgangssignals an den Eingang wurde die Genauigkeit von Verstärkern hundertmal
besser. Mit diesen Operations-Verstärkern konnte man rechnen, es entstanden die
Analogrechner. Das Gehirn wurde mit den damaligen Computern verglichen, die
Wiener Jahre früher andachte, wonach sie von Neumann analytisch perfektionierte
und ins Werk setzte. Von Neumann bewies beispielsweise, dass sich selbst
reproduzierende Automaten gebaut werden können, wobei Wiener unverzüglich die
Ethikfrage ansprach, die ein solches Projekt zeitigt. Die beiden ergänzten sich
und wurden vom Neurophysiologen und Biophysikern nach Kräften unterstützt.
Wohin dies führte, etwa zu neurobiologischen Modellen (heute etwa die biophysikalische
Entschlüsselung der Migräne), zu Prothesen für Taube, Blinde und Behinderte
(heute Pflegeroboter), zu tiefen Einsichten in Herzkreislaufkrankheiten
(heutige Kardiologie), sah Wiener klar voraus. Er beherrschte die
Regelungstechnik im Organismus und in der Maschine mit den Mitteln der
Mathematik, er – der sprachmächtige Philosoph - beschrieb sie aber auch mit viel
Text.
Darüber berichtet sein wichtigstes Buch "Cybernetics - Control
and communication in the animal and the machine". Das visionäre Werk
richtet sich an eine breite Leserschaft. Hier ist nicht mehr von Energie und
Materie die Rede. Die Wissenschaft, insbesondere die Biologie, wird nun in den
Kategorien Steuerung, Rückkopplung, Nachricht und Informationsgehalt behandelt,
und im Zweck, der das Ziel setzt. Das
Buch entstand 1948, als die zeitechte Rechnertechnik heraufdämmerte. Zum Beispiel beschreibt er den Unterschied
zwischen dem Newtonschen und Bergsonschen Zeitbegriff. Die Newtonsche Zeit ist
reversibel. Die Bergsonsche Zeit, das ist die Zeit der lebenden Organismen, die
gegen die Entropie arbeiten, ist nicht reversibel. In der Newtonschen Zeit kann
nichts Neues geschehen. In der irreversiblen Zeit der Evolution und Biologie gibt
es immer etwas Neues. Er vergleicht dann Gehirnvorgänge mit dem Ablauf maschineller
Prozesse, und stellt fest, dass viele Probleme des Stoffwechsels und selbst der
Geisteskrankheiten mit der Störung des Empfangs und der Bewertung von Impulsen
und Information aus der Umwelt zusammenhängen. Gesundes Leben ist
offensichtlich auf den massiven Fluss angemessener und zweckdienlicher Information
angewiesen. Es war die Zeit, als die
Nachrichtenzentrale des Vegetativums im Zwischenhirn entdeckt wurde (siehe Nobelpreis
des schweiz. Physiologen Walter Rudolf Hess).
Gutes Zusammenleben der Bevölkerung (Soziologie) ist ebenso
auf die Verbreitung ausgewogener Information angewiesen. Nach dem Krieg kehrten viele Wissenschaftler
und Ingenieure in ihre zivilen Arbeitsplätze zurück. Die Anspannung war
verflogen und machte einer diffusen Angst vor einem dritten Weltkrieg Platz. Nach
den Kapitulationen der Aggressoren wurde das Zweckbündnis der beiden
Grossmächte gegenstandslos. Sie standen sich hochgerüstet, mitten in Europa an
einer gemeinsamen Grenze gegenüber. Der Abwurf der Atombomben auf Japan 1945 durch
die USA hinterliess eine Schockwelle des gegenseitigen Misstrauens, zumal 1949
die Sowjets mit einer nuklearen Testbombe antworteten. Angesichts des Wettlaufs
zu immer gewaltigeren Wasserstoffbomben stellte sich den Wissenschaftlern die
Gewissensfrage. Die meisten versagten ihren Dienst an dieser apokalyptischen
Aufrüstung, zu diesen gehörte Norbert Wiener an vorderster Front.
Ein Handvoll Physiker und Mathematiker jedoch schwenkte ganz
auf die Staatsraison ein, insbesondere auch John von Neumann. Zwar konnte sich Johnny
dank virtuoser Beziehungspflege am Institut of Advanced Study halten und dort
seine geheimen Berechnungen für die „Superbomb“ durchführen. Aber er ging der
Wissenschaft verloren und bediente – vielleicht unbewusst – seinen ganz persönlichen
Vernichtungswahn. Lieber heute als morgen sollten die Sowjets, die seine
Familie aus Budapest vertrieben hatten, in einem atomaren Erstschlag vernichtet
werden. Fast wäre er mit dieser Auffassung durchgedrungen. Für den Rest seines
Lebens, das folgerichtig-dramatisch endete, mutierte von Neumann zum
einflussreichsten Superwaffenspezialist der Welt. -
Für Norbert Wiener war der Hauptgegner nie Russland, sondern
die „Inhuman Use of Human Beings“ (1950), die durch Ausbeutung entsteht,
Gewaltanwendung und Mangel an Feedback und ehrlicher Zweiweg-Kommunikation im
sozialen Miteinander. Folgerichtig geisselte er Staatsordnungen, die Geld und/oder
Macht an erster Stelle setzen, er nannte sie anti-homöostatisch, was die
Selbstregulierung im kapitalistischen und im sozialistischen System zerstört. Norbert
Wiener konterte von Neumann, „dass eine solche Maschinerie (spieltheoretisch
inszeniertes nukleares Wettrüsten, worauf sich die US-Strategen tatsächlich stützten)
eine punktuelle nukleare Überlegenheit erzeugt auf Kosten aller Interessen
unserer Herzen, ja selbst des nationalen Überlebens.“ Hier kam die starke
ethische Verankerung und das systemische Denken Norbert Wieners zu tragen, das
er mit Herzblut kommunizierte, freilich ohne den Rüstungswettlauf bremsen zu
können, der im Sinne des Bergsonschen Zeitbegriffs unumkehrbar war. Denn das
Wissen um die Konsequenzen – weltweite nukleare Verstrahlung und Horror – wurde
der breiten Bevölkerung vorenthalten. Stattdessen agitierte der Staat gegen die
„bösen Kommunisten“, die man mit allen Mitteln schlagen wollte, um die
„Freiheit“ durchzusetzen. Präsident Eisenhower vermittelte seinen Bürger das
Bild einer grossartigen friedlichen Atomenergie und einer militärisch
unantastbaren Supermacht. So schrammte die Welt mit über 2000 nuklearen
Versuchsexplosionen bis heute nur mit Glück an ihrer Selbstauslöschung vorbei
und pokert nach wie vor um Atomwaffen-Sperrverträgen, die von Neumann – contre
coeur – kurz vor seinem Tod noch aufgleisen musste.
Norbert Wiener konstatierte,
dass Lebensentfaltung im Individuum und in der Gesellschaft ultimativ von der
Zufuhr adäquater Information abhängt. Geheimhaltung ist schädlich, weil sie das
subtile Spiel von Checks and Balances ziviler Gesellschaften untergräbt. Was er
nicht voraussehen konnte, weil es die kühnsten Visionen übersteigt, ist die
Entstehung des Internets. Wir haben nun das Informations-Schlaraffenland, wo
jeder und jede sich mit ein paar Klicks alle Quellen studieren kann. Und nicht
nur das. Gute Player im Internet kommen uns immer mehr wie intelligente Wesen
und Ratgeber entgegen. Ein Beispiel: Ich habe nebst anderem für meinen alten
Drucker eine spezielle Tinte bestellt. Ich erwarte sie dringend, weil ich
drucken muss. Zwar hat mir die Firma die Ausführung des Auftrags bestätigt, mit
Auftragsnummer, leider ohne Erwähnung des Produkts. Ich klicke auf das blaue G
auf meinem Smartphone und schon sehe ich eine Versandanzeige, auf welchem der
Patronentyp explizit erwähnt ist. Woher weiss Google von meinem Auftrag, mehr
noch, welches Produkt sich hinter meiner Auftragsnummer versteckt? Es würde zu
weit führen, hier die „Allwissenheit“ und die „Einfühlung“ von Google an weiteren
Beispielen zu zeigen. Schon Wieners
Feuerleitgerät verwendete einen Computer, der das Feedback zum Schützen
intelligent darbot, indem er alle Einflussgrössen und Erfahrungen
berücksichtigte und dem Schützen präzis mitteilte „jetzt kannst du feuern“. Nie und nimmer wäre der Schütze ohne diesen
automatischen Support in der Lage, den Bomber zu treffen. Nie und nimmer wären
wir im heutigen Verkehrsdschungel in der Lage, ohne Smartphone die richtigen
Entscheide zu treffen, um gerade jetzt rechtzeitig von A nach B zu
gelangen, Ticketkauf inklusive.
(Jedenfalls wird das in Kürze so sein.) Nicht auszudenken, welcher
Aufwand an Feedbackschleifen in den globalen Rechnerfarmen dies ermöglicht. Den
Ewiggestrigen möchte ich sagen, nicht umsonst haben alle das kybernetische
Helferlein vor der Nase. Es scheint als hätte die Menschheit auf nichts anderes
gewartet, und fast niemand will mehr darauf verzichten. Kommunikation und Internet
liegen wie eine immaterielle, geistige Haut über dem Globus, die alles,
wirklich alles, verändern wird. So wie sich in den Werken John von Neumanns letzten
Endes die globale Selbstvernichtung abzeichnete, zeitigt das Werk Norbert
Wieners die Errungenschaften der modernen Welt, die zum Glück bis heute überlebt
hat, und die, so dürfen wir berechtigt hoffen, in den Händen unserer gut geschulten Enkelkinder in eine hoffentlich für
alle Menschen lebenswerte Zukunft reist.
Unser Protagonist war seinen Studenten ein äusserst hilfsbereiter
Professor, er griff auch selbst zur Schreibmaschine, wenn er eine gekritzelte
Arbeit publikationswürdig fand. Legendär
ist der junge Schwerverbrecher, der ihn aus dem Gefängnis um eine Studienarbeit
bat. Wiener ging bereitwillig darauf ein, versorgte den mathematisch Begabten
mit Literatur und besuchte ihn sogar. So sehr er seinen geringsten Schülern Gutes
tat, so sehr mied er die Kumpanei mit Mächtigen. Er drohte sogar mit seinem
Rücktritt, um die Annahme von Forschungsgeldern aus Militärbudgets durch seine
Universität zu verhindern. Umgekehrt drückte er dem MIT, das sich durch ihn von
einer Technikerschule zu einer Universität wandelte, seinen Stempel auf. Doch
wie hat der Begründer der Kybernetik die weitere Entwicklung in der Welt
geprägt, was wirkte nach? Wiener war in der Mitte des letzten Jahrhunderts eine
Art Katalysator beim Übergang vom Energie- in das Informationszeitalter.
Inspiriert durch seinen Kriegsjob, der Erfindung eines Feuerleitsystems,
entwickelte sich aus dem Protoypen dieses Automaten zur Zielschätzung und
Servosteuerung die Informations- und Systemtheorie. Ein Elektroniker baut
derartige Automaten mit Lötkolben und Vorstellungskraft intuitiv, ein Mathematiker
befriedigt dies nicht, und einen Philosophen erst recht nicht. Und Wiener war
beides, und damit war er der ideale Mentor des Homo Faber. Das Foto zeigt ihn mit einem elektronischen
Käfer mit Augen aus Photozellen, ein Versuchsroboter zum Studium verschiedener
Arten der Schüttellähmung in der Neurologie. Hinter ihm die Wandtafel mit den
zur Modellierung verwendeten Gleichungen. Er war ein Genie des Brückenschlags
zwischen Ingenieurwissen und Humanwissen in Biologie, Ökonomie, Linguistik, Soziologie,
Psychologie, ja selbst Theologie. Er hat Neuland betreten für viele, die auf ihren
Gebieten selbst Geschichte schrieben, etwa indem man Lichter auf solche
Automaten steckte, womit sie sich gegenseitig beeinflussten. Ein sozialer
Austausch, ein Gruppeneffekt wurde simuliert. So nahm Wiener die moderne
Robotertechnik vorweg. Seine Bücher für ein geistig reges Publikum sind
Bestseller, voll literarischer Metaphern, Bilder und Anspielungen. Dennoch
bringt er in seinem letzten Buch „Gott und Golem“ seine Herkunft ins Spiel,
wenn er warnt: Kybernetik ist nichts,
wenn sie nicht mathematisch ist. Diesen Satz kann man auf das ganze Werk
Norbert Wieners beziehen. Wer seine frühen Arbeiten über statistische Physik
und den Zusammenhang von Information mit Entropie dazu zählt, dem zeigt sich
das Bild eines liebenswürdigen Geistesriesen, dessen Einfluss auf unsere
Generation nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Literatur von und über
Norbert Wiener:
- Ex-prodigy.
My childhood and youth. New York, Simon and Schuster 1953 (Autobiographie)
- Heims,
Steve J.: John von Neumann and Norbert Wiener: From Mathematics to the
Technologies of Life and Death, 3. Aufl., Cambridge 1980.
- Cybernetics,
or control and communication in the animal and the machine, Wiley 1948, 2. Auflage,
MIT Press 1961, deutsche Übersetzung: Kybernetik. Regelung und
Nachrichtenübertragung in Lebewesen und Maschine, rororo 1968 sowie Econ Verlag
1992
- Als
Herausgeber: Cybernetics of the nervous system, Elsevier 1965
- The human
use of human beings. Cybernetics and Society. Boston, Houghton Mifflin 1950; deutsche Übersetzung: Mensch und Menschmaschine. Frankfurt am Main,
Metzner 1952, 4. Auflage 1972- "GOD AND GOLEM, Inc., A Comment on Certain Points where Cybernetics Impinges on Religion. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts, 1963
Freitag, 5. September 2014
John von Neumann
![]() |
*28. Dezember 1903 in Budapest (Österreich-Ungarn † 8. Februar 1957 in Washington, D.C. |
Man kann das Leben des amerikanischen Computer-Erfinders von
seinem letzten Werk her aufrollen: Krebskrank auf dem Sterbebett arbeitete John
von Neumann an seinem Vortrag Computer und Gehirn, den er auf Einladung von
Yale's Silliman Lectures halten sollte. Sein Tod 1957 vereitelte dies. Die
Parallelen zu Turing frappieren: Beide Pioniere kamen von der Mathematik über
den Computer zur Biologie. Doch John von Neumann war anders: weltläufig,
extravertiert, Gastgeber legendärer Partys, ein in Regierungskreisen hoch
angesehenes Mitglied der Atomenergie-Kommission. Er arbeitete ungemein
produktiv in verschiedensten Disziplinen. Nicht weniger als 150 Fachartikel
wurden von ihm publiziert. Für die Physiker, die sich untereinander nicht mehr
verstanden, schrieb er 1932 ein klärendes Buch: „Mathematische Grundlagen der
Quantenmechanik“.[1] Darin geht er dem Messproblem auf den Grund. Seine
Interpretation der Quantenmechanik ist eine bis heute gültige Variante. Auch
der erwähnte Vortrag ist kristallklar formuliert. Wer vom Begriff
„Elektronengehirn“ Ebenbürtigkeit zwischen Kopf und Computer ableitet, wird
eines anderen belehrt. Das Gehirn ist dem damaligen Computer vielfach
überlegen, die Arbeitsweise ist grundverschieden. Doch gerade im Vergleich des
Systems mit dem Organ begreift der Leser, wie beide rechnen. Von Neumann hatte
die Gabe, komplexe Dinge leichtfasslich zu vermitteln. Diese Gabe kombinierte
er mit einem überirdischen Verstand und einem fotografischen Gedächtnis. Seinen
Kollegen war er ein gesuchter, aber gefürchteter Ratgeber. Oft griff er gute
Ideen auf, entwickelte sie weiter und brauchte sie in eigenen Publikationen.
Umgekehrt teilte er sein Wissen freimütig. Für die Regierung wurde er im Krieg
zu einem unentbehrlichen Berater. Ab 1943 arbeitete er als Berater am Manhattan-Projekt zur Konstruktion und Zündung der ersten Atombombe
„Trinity“ in der Mogave-Wüste. Wegen der damit verbundenen Rechenaufgaben
verfasste er im Alleingang die erste Bauanleitung für die US-Computer. Die
Behörden versuchten vergeblich, diese bahnbrechende und genial-weitsichtige Arbeit
geheim zu halten.
Dass Hitler nur auf gehorsame Soldaten setzte, erwies sich als Grube, in die er selbst hinein fiel. Zuse rettete seinen Computer von Berlin in eine Scheune im Allgäu, wo ihn nicht die Wehrmacht, sondern die ETH aufspürte. In England knackten die ersten Informatiker dank Alan Turing Hitlers chiffrierte Befehle, was die Wende im Atlantik und in der Ukraine einleitete. In den USA scharten sich die Informatiker um „Johnny“, der mit seiner Superintelligenz das Kriegsende im Pazifik herbeiführte, indem er Computer baute und damit die Atombombe rücksichtslos ins Werk setzte. Ohne Turing und von Neumann und ihre Computer hätte der 2. Weltkrieg viel länger gedauert und – wer weiss – eine völlig andere Weltordnung hinterlassen. Computer waren und sind entscheidend, um Kernexplosionen auszulösen. Dass Hitler den Computererfinder Karl Zuse nicht unterstützte ist ein starkes Indiz dafür, dass die deutschen Atomphysiker um Heisenberg keine Bombe bauten, denn dafür hätten sie Zuses Rechner benötigt. Aber das wussten die Alliierten nicht. Sie wurden gepeitscht von der Angst, Hitler könnte ihnen zuvor kommen. Doch dessen Wehrmacht kapitulierte am 7. Mai 1945, einige Tage vor der ersten atomaren Testexplosion (Plutonium-239 als Spaltstoff) in White Sands USA. Als vier Monate später, am 2. September 1945, Japan unter dem Schatten der radioaktiven Atompilze über den zerstörten Städten Hiroshima und Nagasaki bedingungslos kapitulierte, wuchs in Amerika die Furcht, Stalin könnte sich ebenfalls Atombomben zulegen. Schliesslich standen sich die beiden kampferprobten Armeen in Europa gegenüber. Tatsächlich zündeten die Sowjets am 29. August 1949 ihre erste Atombombe, die praktisch eine Kopie der in Los Alamos erbauten ersten Versuchsbombe war. Klaus Fuchs, der in Los Alamos ein- und ausging, wurde als Spion enttarnt. Rücksichtslos verstrahlte Stalin Heerscharen von Zwangsarbeiter für die überstürzte nukleare Bombenentwicklung. Die Sowjets liessen die damals modernste Isotopentrennzentrifuge zur Uran-Anreicherung durch deutsche Forscher bauen, die wohl kaum durch Patriotismus zu motivieren waren. Dafür liess Stalin sie hinrichten, wenn Sie die Ziele nicht erreichten. Die Testexplosion in Semipalatinsk war der Startschuss zum Kalten Krieg der ungleichen Gesellschaftssysteme, der im Wesentlichen in ein Wettrennen um immer verheerendere Atomsprengköpfe und Trägersysteme ausartete.
[1] John von Neumann:
Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik. Springer, Berlin, 2011, 262 S.
[2] Das Buch G. Polya: Schule des Denkens hat mir während des Studiums sehr geholfen.
[3] John von Neumann, Oskar Morgenstern: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Physica, 1967, 668 S.
[4] William Poundstone: Prisoner's Dilemma. Anchor Book, New York, 1992, 320 S.
[5] George Dyson: Turing's Cathedral. Panteon Book, New York, 2012, 432 S.
[6] Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Suhrkamp, 1996, 605 S.
[2] Das Buch G. Polya: Schule des Denkens hat mir während des Studiums sehr geholfen.
[3] John von Neumann, Oskar Morgenstern: Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten. Physica, 1967, 668 S.
[4] William Poundstone: Prisoner's Dilemma. Anchor Book, New York, 1992, 320 S.
[5] George Dyson: Turing's Cathedral. Panteon Book, New York, 2012, 432 S.
[6] Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel. Suhrkamp, 1996, 605 S.
Donnerstag, 24. April 2014
Alan Turing
Während in Deutschland durch die Initiative des rechenfaulen Bauingenieurs Karl Zuse der Computer trotz des Krieges entstand, lief es in England ganz anders. Zwar gab es auch hier einen herausragenden Helden, doch wurden die Entwicklungsstufen durch die Notwendigkeiten der Kriegsgeschichte diktiert. Alan M. Turing erfand in seiner berühmten Publikation On Computable Numbers 1936 die Funktionsweise eines universell-programmierbaren Computers top-down, das heisst durch rein theoretische Erwägungen, im Alter von 24 Jahren. Die Funktionsweise der so genannten Turing-Maschine wurde das Urbild des englischen Computers. Realisiert wurde dieser allerdings erst nach dem Krieg. England geriet durch Hitlers Wehrmacht in zunehmende Bedrängnis. Churchill, dem die Verteidigung anvertraut war, tickte aber anders: Nicht nur mit Gewalt, sondern mit List sollte dem Aggressor begegnet werden. Er zog die besten Mathematiker und Ingenieure zusammen, so auch A. M. Turing, und isolierte sie im Herrenhaus Bletchley Park (B.P.) auf der Landschaft 70 km ausserhalb Londons zwischen Oxford und Cambridge. Die Wissenschaftler dieser Universitäten konnten per Eisenbahn leicht anreisen. Dort entstand der kriegsentscheidende zentrale Nachrichtendienst. Die englischen Küstenstationen, die den Morse-Funkverkehr der Wehrmacht aushorchten, sandten die verschlüsselten Telegramme in die Hütten des Parks. In zahlreichen Baracken arbeiteten 1942 viertausend Frauen, Spezialisten und Mathematiker an den Teilaufgaben der Entschlüsselung in einer undurchschaubaren Organisation, deren Ziel es war, in Kenntnis der Befehle Hitlers und der Rückmeldungen durch Frontkommandos den Operationen der Wehrmacht zuvorzukommen. Diese geheime Strategie ging auf. Auf dem Höhepunkt des Krieges stand die Vernichtung des ganzen alliierten Nachschubs im Atlantik auf dem Spiel, als der Aggressor in U-Booten den Verschlüsselungscode verschärfte.
Es schlug die Stunde von Professor Turing, der aus seiner Verbannung zurückgeholt wurde, die er wegen einer Liebesaffäre antreten musste. Dummerweise wurden „harmlose“ Wettermeldungen aus dem Atlantik gleichzeitig mit einem leichter zu brechenden Code übermittelt, was Turing in B.P. als Einstieg diente, um den Enigma-Code gerade noch rechtzeitig zu entschlüsseln. So gelang es, den Totalverlust der amerikanischen Versorgungs-Armada abzuwenden. Die vielen U-Boote von Grossadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz wurden umfahren und mit Wasserbomben gezielt versenkt. Zur Quellenverschleierung liefen Nachrichten aus B.P. sogar über den Schweizer Nachrichtendienst, wodurch Stalin im Kursker Bogen die größte Panzerschlacht der Weltgeschichte gewinnen konnte, was die Wende im militärischen Kräfteverhältnis zu Gunsten Russlands einleitete. (Wen wunderts, dass die geschichtsbewusste Bevölkerung der östlichen Ukraine noch heute nicht viel für den Westen übrig hat.) Auch in Nordafrika musste Feldmarschall Rommel dank vorauseilenden Informationen aus B.P. den Rückzug blasen. B.P. verkürzte das Kriegsgeschehen um zwei Jahre, wie ein Historiker schrieb. Ein unmilitärisch organisierter, fröhlicher, loyaler und patriotisch hoch motivierter Haufen Intelligenz, allen voran Alan Turing, verhalf den Alliierten zum Sieg. Das Personal von Blechley Park - auf der Roll of Honour sind heute über 10‘000 Angestellte verzeichnet - wurde durch ein Kreuzworträtsel-Preisausschreiben im Daily Telegraph rekrutiert. Um sich einzufühlen, möge man den Film ENIGMA ansehen, der von Mick Jagger, Frontman der Rolling Stones, produziert wurde. So also fühlt es sich an, wenn um Freiheit und Menschenwürde gekämpft wird!
Selbstredend entstanden in B.P. auch Computer, denn ohne schnelle Rechenautomaten wäre der Nachrichtenstrom aus der Wehrmacht nicht zu entschlüsseln gewesen. Doch es waren spezialisierte, nur für einen Zweck konstruierte Maschinen. Der frei programmierbare Denkapparat, die Turing-Maschine, und alle Spekulationen über künstliche Intelligenz blieben aussen vor. Tag und Nacht rechneten die „Turing-Bomben“ genannten Maschinen. Es waren mechanische Rechner mit Walzen, die den morsenden ENIGMA-Codiergeräten glichen. Ihr Zweck war es, alle Verschlüsselungskombinationen nach einschränkenden Vorgaben blitzschnell durchzuarbeiten. So war man in der Lage, die täglich wechselnde Verschlüsselung innert 1-2 Stunden zu knacken. Das genügte, um den Aktionen an der Front zuvorzukommen. Hitler bemerkte die allwissenden Schachzüge des Gegners zwar auch, aber er vermutete Verräter in den eigenen Reihen und konnte sich als technisch Unkundiger nicht vorstellen, dass eine Maschine menschlichen Code-Brechern derart überlegen sein könnte. Auf das Argument, dass Zuses Computer möglicherweise zum Endsieg beitragen könnte, soll Hitler geantwortet haben, dazu brauche er keine Rechenmaschine, das mache er mit dem Mut seiner Soldaten.
In England entstand gegen Kriegsende Colossus, ein elektronischer Rechenautomat, aufbauend auf den Entwürfen Turings. Zehn Stück wurden für B.P. gebaut. Damit wurden Telex-Nachrichten der Lorenz-Schlüsselmaschine geknackt. Colossus gilt zwar als der erste speicherprogrammierbare Röhren-Computer, war jedoch fest an eine bestimmte Aufgabe angepasst und nicht im heutigen Sinn frei programmierbar. Alle Colossi wurden nach Kriegsende aus Geheimhaltungsgründen zerstört.
Alan Turings Interessen waren von nun an nicht mehr an kriegswichtige Aufgaben gebunden. 1946 präsentierte er ein Papier über die Automatic Computing Engine (ACE), die Quintessenz seiner Erkenntnisse von 1936 und den Erfahrungen mit Colossus. ACE war ein Röhren-elektronischer universell-speicherprogrammierbarer Rechenautomat. Unendliche Querelen durch missgünstige Besserwisserei und Beamten-Obstruktion verzögerten die Realisierung jahrelang, in einer Zeit, als die ETH bereits mit Zuses Z4 in Zürich die Grand-Dixence Staumauer berechnete. Schliesslich konnte im Mai 1950 eine verkleinerte Variante von ACE in Betrieb genommen werden. Turing nutzte die Zeit auf seine Weise und schuf auf dem Papier zahlreiche Subroutinen, Mikroprogramme, die es erlaubten, die ACE auf einer höheren Programmebene zu betreiben, um sie bedienbar zu machen. Das lief auf eine höhere strukturierte Programmiersprache hinaus. Ihm war klar, dass die Übersetzung in Steuerbefehle auf die Maschinenebene dereinst vom Computer selbst übernommen würde, was wir heute Compiler nennen. Rutishauser in Zürich befasste sich ebenfalls mit diesem Thema und erfand schliesslich das uns ETH-Absolventen wohlbekannte ALGOL. Schon 1953 ging dann die zweite mächtigere Version von ACE in Betrieb. Daran war Alan Turing, dem, im Gegensatz zu Zuse, jegliches kommerzielles Interesse fehlte, nicht mehr beteiligt.
Nach und nach wurde der englische Computer-Erfinder von
allen Projekten zur Weiterentwicklung der Elektronengehirne ausgeschlossen. Als
homosexueller Geheimnisträger galt er als unberechenbares Sicherheitsrisiko.
Die Zeitgeschichte um 1950, zu Beginn des kalten Krieges, entwickelte sich in eine für den Freigeist fatalen
Richtung. Er beschäftigte sich auch deshalb zunehmend mit theoretischer
Biologie, schuf mathematische Modelle, die für biologische Musterbildung, embryonale
Zellteilung und Selbstorganisation von Mikroorganismen grundlegend wurden. Er wurde,
aus heutiger Sicht, zu einem Pionier der mathematischen Entwicklungsbiologie. Es
entstanden Publikationen und er betreute Doktoranden, die Modelle durchrechneten.
Der Manchester-Computer wurde zum gefragten Werkzeug der Zellbiologie. Turing
war ein loyaler Staatsbürger. Jedoch wurde er unsinnig bestraft, weil seine
Homosexualität polizeilich ruchbar wurde und sie ihn statt ins Gefängnis in
eine Hormonkur schickten, bei der ihm Brüste wuchsen und die den Retter Englands
körperlich und seelisch schliss. Dennoch war seine Lebenskraft ungebrochen. Alan
Turing hatte vielerlei Projekte, als sein Todesjahr anbrach. Es gab keine
Zeichen von Lebensmüdigkeit. Man fand ihn am 7. Juni 1954 tot auf seinem Bette
liegend, neben ihm der angebissene Apfel, den er vor dem Einschlafen regelmässig
verzehrte. War der Apfel vergiftet? Dass dieses Beweisstück polizeilich nicht
untersucht wurde, lässt vermuten, dass hier der Geheimnisträger eliminiert wurde.
Es gibt kaum Belege für den von einzelnen Biografen überlieferten Freitod. Churchill
beendete gleichzeitig die Kriegs-Memoiren und erwähnte, obgleich von Eisenhower
dazu aufgefordert, seine stärkste Waffe, Alan Mathison Turing, darin mit keinem
Wort! Es wurde rasch still um unseren Helden. Nur seine Mutter kämpfte um
Anerkennung, mit einem eigenen Buch, in welchem sie den Tod als Unfall beim Experimentieren
bezeichnete. Ehrungen und eine königliche Rehabilitierung wurden ihm erst heute
zuteil.
_________Ohne Turing entstand in rascher Folge die englische Computerindustrie. Für Turing wurde die Beamten-Mediokratie tödlich: (Zit. nach http://arprin.wordpress.com/2013/12/24/alan-turing-begnadigt/)
Die britischen Behörden verhafteten Turing im Jahr 1952. Homosexuelle Handlungen waren in Großbritannien bis 1967 strafbar. Er wurde vor die Wahl gestellt: Entweder Gefängnis oder Umerziehung. Notgedrungen entschied er sich für letzteres. Er musste sich einer Hormontherapie unterziehen und wurde chemisch kastriert. Sein Leben wurde zur Hölle gemacht, und am 7. Juni 1954 beging er, psychisch gebrochen, mit 42 Jahren Selbstmord. Ein vergifteter Apfel lag neben seinem Leichnam. Wir wissen nicht, welche Folgen Turings früher Tod für die ganze Menschheit hatte. Er hatte sich nämlich auch mit anderen existenziellen Fragen beschäftigt, so z.B. wie ein Organismus aus einem Gemisch chemischer Substanzen entstehen kann, und verfasste im Jahr 1952 auch dazu einen bahnbrechenden Aufsatz (s. Turing-Mechanismus). Erst 1992 wurden seine letzten Werke veröffentlicht. Turings Bekanntheit könnte in einer Reihe mit Galileo, Newton, Darwin und Einstein stehen. Später erhielt Turing viele Würdigungen. Ein Preis wurde nach ihm benannt (der “Turing-Award“, der als Nobelpreis für Informatik gilt), viele Statuen erinnern an ihn. Erst im Jahr 2009 entschuldigte sich Gordon Brown für Turings Behandlung durch den britischen Staat, aber eine Begnadigung lehnten viele dennoch ab. Sie kam schließlich Dezember 24, 2013 zustande, viel zu spät.
Heute erinnert der angebissene Apfel an jedem Mac-Computer an diese tragische Geschichte. Churchill erwähnt in seinen 2. Weltkriegs-Memoiren auch die Einrichtung Blechley Park - top-secret bis 1973(!) - mit keinem Wort. Was wäre geschehen, wenn Turings Homosexualität 10 Jahre früher bekannt geworden wäre? Turing wäre seiner Funktion enthoben worden. Dönitz hätte im Atlantik ein leichtes Spiel gehabt und die amerikanische Armada versenkt. Hitler wäre in Russland vorgedrungen und hätte England erobert. Der Krieg hätte länger gedauert. Die amerikanischen Atombombe wäre auf Berlin abgeworfen worden und es hätte noch weit mehr Tote gegeben...
Samstag, 18. Januar 2014
Konrad Zuse
Konrad Zuse, Bild ETH Zürich |
Was war Konrad Zuse für ein Mensch? – Der junge Konrad war ein liebenswürdiger, einfallsreicher Eigenbrötler. In der Schule hatte er nur mit einem allseits gefürchteten Latein-Lehrer ein Problem, in den andern Fächern war er gut. Jedoch setzten ihm brutale Mitschüler zu, die dem jungen Genie abpassten. Konrad fand Mittel und Wege, seine Widersacher auszutricksen und ins Leere laufen zu lassen. Früh entwickelte sich so sein Wille zur Selbstbehauptung, was ihm im Krieg bei seiner Arbeit als Erfinder sehr zustatten kam. Pflichtbewusstsein und zähe Zielstrebigkeit lernte er von seinen preussischen Eltern. Die Freizeit verbrachte er mit dem über alles geliebten Metallbaukasten. Damit erwarb er sich früh mechanische Kenntnisse. Er gewann mit bemerkenswerten Konstruktionen die Wettbewerbe des Baukasten-Herstellers. Konrad, der Augenmensch, war auch künstlerisch begabt. Er zeichnete und malte hervorragend. Zwischen Künstler und Konstrukteur hin und hergerissen begann er folgerichtig ein Architekturstudium. Aber das normierte Zeichnen gefiel ihm nicht, er vermisste Gestaltungsfreiheit. Auch Maschinenbau versuchte er, dort aber war von Kunst keine Spur. Schliesslich führte er ein Studium dazwischen, als Bauingenieur zu Ende. Dieses Fach ist geprägt von umfangreichen Berechnungen für die Baustatik. Numerische Mathematik war damals eine Sache für Rechenknechte, die mit dem Rechenschieber und mit mechanischen Tischrechenmaschinen tagelang vorgegebene Rechenschemata abzuarbeiten hatten. Von konstruktivem Einfallsreichtum war da keine Spur. Das ermüdete ihn sehr. Es müsste doch möglich sein, solche Berechnungen einer Maschine zu überlassen! Statt zu rechnen, sann er darüber nach, wie die Schemata und Rechengänge maschinell ausgeführt werden konnten. Das war die Motivation, die Werke früher Rechengenies wie Leibniz[2], Babbage und Ada Lovelace zu studieren. In der Tat wurde auf dem Papier ein derartiges Rechengerät bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Babbage konstruiert und von Ada Lovelace programmiert, allerdings weitgehend nur auf dem Papier. Zuse liess sich durch diese Quellen direkt zu eigenen Konstruktionen inspirieren. Er machte die Mathematikerin Ada Lovelance zu seiner Muse und heimlichen Geliebten, was er erst in hohem Alter bekannte. Die Bedeutung dieser mathematischen „Femme inspiratrice“ kann im Fall des Agnostikers Zuse nicht konkret genug eingeschätzt werden. Das ist keineswegs abwegig, wenn man bedenkt, wie die heilige Barbara schwer arbeitenden Mineuren Kraft spendet oder die Muttergottes katholische Geistliche inspiriert. Mitten im Bombenhagel, im Januar 1945, heiratete Zuse eine Mitarbeiterin, die ihm fünf Kinder schenkte. Mit ihr und mit getreuen Mitarbeitern evakuierte er die Z4 aus dem umkämpften Berlin. In Hessen wuchs nach dem Krieg seine Firma Zuse KG zwischen 1949 und 1964 auf über 1000 Mitarbeiter, Zuse war umsichtiger und zielstrebiger Patron und Erfinder zugleich. Doch trotz hervorragender Innovationen gab es keine Zuschüsse, und die staatlich geförderte Konkurrenz aus Übersee wurde übermächtig. Die Firma wurde schliesslich von Siemens geschluckt. Für Karl Zuse begann eine freiere Schaffensperiode. In den verbleibenden drei Jahrzehnten konnte er seine grundlegenden und zukunftsträchtigen Ideen und Erinnerungen publizieren und in zahlreichen Vorträgen weiter vermitteln. Damit festigte er seine geschichtliche Bedeutung als Schöpfer des programmierbaren Computers, so wie dieser heute überall anzutreffen ist. In der akademischen Welt wurde Konrad Zuse mit zahlreichen Ehrendoktoraten geehrt.
Bruno Fricker [3]
[1] Konrad Zuse: Der Computer – mein Lebenswerk. 4. Auflage, Springer-Verlag, 1984.
[2] „Es ist unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ – Gottfried Wilhelm Leibniz, konzipierte die erste binäre Rechenmaschine, 17. Jhd.
[3] Ich habe 1984 in der Berliner Volkshochschule Konrad Zuse noch vortragen hören. 1974 wurde ich von Professor Eduard Stiefel in numerischer Mathematik geprüft anlässlich meiner Diplomprüfungen als Physiker. 4 Jahre später verstarb er.
Literatur:
- Konrad Zuse: Der Computer – Mein Lebenswerk. Springer Verlag, 1992, 220 S.
- Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand. Rowohlt-Verlag, Hamburg, Digitalbuch, Oktober 2009.
- Michael Kuyumcu: Konrad Zuse – Roman eines Lebens. Artislife Press Hamburg, 2010, 231 S.
- Herbert Bruderer: Konrad Zuse und die Schweiz. Festschrift zum 100. Geburtstag der Informatkpioniers Konrad Zuse, Technischer Bericht Nr. 715, ETH-Zürich, 2011, 40 S., http://www.abz.inf.ethz.ch
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Montag, 16. Dezember 2013
Déjà-vu
Derzeit machen die Körpervermesser von sich reden. Sie
joggen in smarten Trikots in den Alleen und auf den Fluren. Ihr
Erkennungsmerkmal ist das iPhone am Oberarm. Es zählt die Schritte, misst Blutdruck
und Atmung, registriert die geografische Spur und das Höhenprofil. Dem
Vernehmen nach werden auch 24-Stunden-Aktogramme erfasst, wie bei
Versuchsmäusen in den Drehkäfigen. Und nicht zuletzt interessiert man sich
dafür, wie man geschlafen hat. Dazu werden Pulsprofile, Muskeltonus,
Hautwiderstand und schnelle Augenbewegungen (REM) für Traumphasen und die
Schlaftiefe durch das EEG erfasst. Na so was, meinen die Ewiggestrigen, muss
der Mensch denn sein Innerstes zur Schau stellen? (Die Leistungen werden in
Foren verglichen und es gibt Ranglisten.) Déjà-vu, liebe Self-Tracker, alles
schon da gewesen. Mit einem Kilo Bananen verbrachten wir ganze Nächte an den
Kurvenschreibern im Schlaf- und Traumforschungslaboratorium von Professor C.A. Meier[1],
dem Nachfolger von C.G. Jung an der ETH. Der Kollege lag derweil schwer
verkabelt in der Koje nebenan und träumte süss. Riesige Magnetbänder zeichneten
die Daten auf. In den REM-Phasen wurde der Proband geweckt und es wurde
notiert, was ihm gerade träumte.[2] Die Computerschränke hiessen PDP-11,
vielleicht mögen Altersgenossen sich noch daran erinnern. Die Traumberichte
wurden semantisch codiert und statistisch ausgewertet. In Sachen Mind-Tracking
könnten die heutigen Body-Tracker noch etwas dazu lernen. Die Rangordnung der
Publikationen wurden, statt über Foren, über die Fachpresse ausgehandelt.[3] Was
damals Pioniere erforschten, wird jetzt zum Breitensport. Zur Vermessung der
Körperfunktionen gesellen sich sammelwütige Firmen, die es auf unser Ego
abgesehen haben. So werden wir immer durchsichtiger. Eine breite öffentliche
Diskussion dazu hat eingesetzt. Mit unseren berufsbezogenen und sozialen Daten,
die es ja im Internet bereits gibt, steht eine umfassende personenspezifische
Datenaggregation vor der Tür, wie es selbst Huxley und Orwell nicht erahnten.
----
[1] C.A. Meier
[2] Publikation aus Daten des Labors von C.A. Meier
[3] Inhaltsanalyse von Träumen, Publikation von C.A. Meier et.al.
[2] Publikation aus Daten des Labors von C.A. Meier
[3] Inhaltsanalyse von Träumen, Publikation von C.A. Meier et.al.
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Mittwoch, 27. November 2013
LED
Adventslichter an Fassaden und Bäumen erleichtern uns den Abschied
von einem grossen Sommer.
Energieverschwendung? Das war einmal. Die heutigen Lichterketten
verwenden LEDs und bleiben kalt, da sie bei gleicher Leuchtkraft nur einen
Zehntel Energie verbrauchen. Licht emittierende Dioden (LED)
sind ein Produkt der Halbleiterphysik. Auf ihnen ruht die Beleuchtungstechnik
der kommenden Jahrzehnte. Wie eine Glühlampe leuchtet, erfährt jedes Kind, wenn
es das erste Mal einen Draht erhitzt; wenn es heiss wird, kommt das Licht. Das
Wiensche Verschiebungsgesetz erklärt die Beziehung zwischen der Temperatur und
der Wellenlänge des Lichts: Je heisser das Metall, desto weisser glüht es. Die
Sonne benötigt knapp 6000 Grad für ihr weissblaues Licht. - Wie aber begreifen
wir die LED? Sie leuchtet weissblau und bleibt fast kalt! Wie in der Glühlampe,
liegt ein Leiter an einer elektrischen Spannung. 3 Volt sind genug. Fliessen 2 Ampère,
sind das 6 Watt, und die 40 Watt Glühlampe ist ersetzt. Die LED erwärmt sich
kaum, die Leistung wird fast völlig in Licht umgesetzt. Das Geheimnis liegt im
Leiter, genauer ist es ein Halbleiter, ein Art Salzkristall, zum Beispiel
Galliumnitrid. Stellen Sie sich eine Golfwiese vor mit vielen Löchern, alle
sind 10 cm tief. Bei Raumtemperatur vibriert der Golfplatz, so dass einige
Bälle (Elektronen) herausspringen und vom Wind (elektrische Spannung) über das
Feld getrieben werden. Einige treffen wieder auf ein Loch und fallen 10 cm
tiefer. Sie liegen dort auf einem tieferen
Niveau fest. Die Rekombination eines Balls mit einem Loch setzt ein immer
gleiches Energiequantum frei (hörbar durch einen „Klack“). Im Atomgitter des
Halbleiters entsteht stattdessen ein Lichtquant, seine Farbe entspricht der
Fallenergie, ist also für einen bestimmten Golfplatz (Halbleitermaterial)
typisch. LEDs waren früher einfarbig. Heute bettet man sie in eine
Lumineszenz-Schicht ein, die einfarbige Lichtquanten in weissliches Licht
umwandelt. So erreicht man eine natürliche Farbtemperatur. (Geposted im November 2013)
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