Sonntag, 27. Mai 2018

Blockchain II

Grössenwachstum der Bitcoin-Blockchain (200 GB im 2018)


Eine Blockchain ist eine dezentrale Liste von verschlüsselten Vertragsdatensätzen, die in identischen Kopien auf allen Computer gespeichert ist, die am Vertragswerk angeschlossen sind. Es gibt ganz verschiedene sogenannte Smart Contracts. Bitcoin ist nur ein Beispiel. Doch darum kümmere ich mich hier nicht mehr. Vielmehr ist Blockchain eine disruptive Technologie, die weit interessantere Anwendungen zeitigt, als den Geldbeutel durch das Handy zu ersetzen. Um das Potential der Blockchain-Technik zu erkennen, muss man sie in ihren Grundzügen verstehen. Das gelingt am einfachsten mit einem gut gemachten Video (s. unten).

Wo immer Verträge abgeschlossen werden, ist Vertrauen im Spiel. Der Käufer vertraut dem Besitzer, dass die Kuh gesund ist und genug Milch gibt, wenn er 3000 Franken bar bezahlt. Die „Blockchain“ ist in diesem Beispiel die Rechtschaffenheit und das Gedächtnis der Marktteilnehmer. Es braucht keinen Vermittler, das Geschäft wird durch Handschlag besiegelt. In den meisten Fällen läuft es etwas komplizierter: Wenn ein Gastarbeiter Geld nach Hause sendet, geht er zu Western Union, zahlt den Betrag + Kommission ein, und in Pakistan geht seine Frau zu Western Union und holt den Betrag ab.

Western Union, Paypal, SIX Security Services und andere mehr heissen die Vertrauen einfordernden Clearingstellen bei Werte-Übertragung verschiedenster Art. Derivatgeschäfte müssen in der Schweiz seit Herbst 2017 in ein zentrales Transaktionsregister eingetragen werden. Derzeit sind es viele Millionen pro Tag. Register aller Art sind bei uns üblich / beliebt / etabliert: Einwohnerkontrolle, Grundbuch, Handelsregister, AHV/IV-Register, Gen-Pools, Gemeindewerke und vieles mehr, eine kafkaeske, teure Bürokratie verwaltet die Verträge. Kein Wunder, dass Blockchain auf so grosses Interesse stösst.

Das Internet kann es richten: hier ist alles plötzlich ganz einfach. Die Überwachungspartei fällt weg, es braucht keine Banker, Notare, Justizbehörden, Grundbuchbeamte, Versicherungen oder andere Intermediäre mehr. Das Internet ist neutral, offen, weltumspannend, dezentral und deshalb robust und krisenresistent. Gelingt es, Duplikate der Vertragsprotokolle auf die Masse der angeschlossenen Computer und Handys auszulagern, muss man nur noch der Blockchain im Internet vertrauen. Das ist keine fassbare Dienststelle mehr, sondern ein verschlüsselter Algorithmus, der allen zur Verfügung steht, der aber niemandem gehört. Die Aufsicht obliegt nicht mehr der vermittelnden Instanz; diese wird ersetzt durch die Eigenkontrolle der Millionen Handels- oder Vertragspartner, die an einer Blockchain gleichwertig partizipieren.

Jeder einzelne Akteur besitzt einen öffentlichen Schlüssel, über den er adressierbar ist, um Werte zu empfangen; und er besitzt einen privaten Schlüssel, über den er auf seine Werte zugreifen kann. Die aktuell anstehenden Transaktionen werden in einen neuen Block gebündelt und mit der vorbestehenden Kette mathematisch verbunden. Sobald dies geschieht, ist die Transaktion besiegelt. Beim Bitcoin sammeln sogenannte Miner (Mineure) frische Transaktionen und versuchen, diese in einem neuen Block zu füllen. Sie benötigen sehr viel Rechenleistung, um die passende Verschlüsselung zu errechnen. Wer es als erster schafft, den neuen Block an die bestehende Kette zu schmieden, hat gewonnen und wird in Kryptowährung honoriert. Jemand hat mit handelsüblichen Superrechnern in Zürich versucht, auf diese Weise Geld zu schürfen, er fand aber, dass es sich nicht mehr lohnt, weil die Material- und Stromkosten höher sind, als der Gewinn. Nun verlagert man die stromfressenden Krypto-Rechner nach Gondo, wo der Strom fast gratis ist, um Etherum zu schürfen. Ob das eine nachhaltige Lösung ist, darf bezweifelt werden.

Sinnvoller ist es, Anwendungen zu erschliessen, die wichtigere Probleme zu lösen, als anderen Leuten Geld abzujagen. So könnte eine passende Blockchain das kommende Smart-Grid in der Energieversorgung organisieren. In Zukunft werden wir den Strom nicht nur aus einem fernen Kraftwerk über Leitungsverluste konsumieren, sondern von Nachbarn, vom eigenen Solardach, vom nächstgelegenen Windpark, sogar aus der Batterie des parkierten Elektroautos. Letzten Endes könnten Hochspannungs-Fernleitungen verschwinden. Dieses Geben und Nehmen entspricht einem komplexen dynamischen Vertragswerk. In einer geeigneten Blockchain wäre es gut aufgehoben. Die Teilnehmer sind anonym, das Geben und Nehmen, kurzum die gerechte Abrechnung von multidirektionaler elektrischen Energieflüssen jedoch ist absolut transparent und für alle überprüfbar. Zudem ist ein solches System technisch und buchhalterisch robust. Es schützt sich selber vor krimineller Einflussnahme, denn eine kriminelle Vertragsänderung müsste von der Mehrheit der Teilnehmer beglaubigt werde. Die Eigensicherheit liegt in der demokratischen Netzstruktur. Das ist der grösste Vorteil einer Blockchain.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, pflegte meine Mutter zu sagen. Wo liegen die Nachteile der Blockchain? Die Speerspitze der Blockchain, die Grossbanken, haben die Zwickmühle ins Visier genommen: Wenn sie die Technik ignorieren oder gar dagegen ankämpfen, könnten sie hinweggefegt werden. Wenn sie sie nutzen, könnten sie gigantische Kosten sparen – würden sich aber von innen auflösen. (Capital) Dass sich zentrale Machtstrukturen auflösen, könnte sich als problematisch erweisen. Das Zentrum ist leer. Die Macht liegt im Algorithmus, dem alle vertrauen. Natürlich muss diesen ein Guru programmieren. Aber sobald das Glasperlenspiel im Internet freigesetzt ist, beginnt es von selbst zu funktionieren. Es wabert als juristisch unfassbares, verantwortungsloses Netzwerk, welches das Internet der Dinge perfekt koordiniert. Es organisiert, ja besitzt, konkrete Dienste, etwa führerlose Taxiflotten, die sich ohne Firmenzentrale selbst finanzieren und durch laufende Einkünfte selbst unterhalten. Letzten Endes entfaltet sich hier eine ungeheure sozioökonomische Umwälzung, die man als Singularität bezeichnet hat. Wird sie den Menschen dienen, auch wenn wir sie nicht mehr abschalten können?

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