Karl Steinbuch hielt unzählige Reden und Ansprachen - Bild Wikimedia |
Das Informationszeitalter begann mit Claude Shannons mathematischem Informationsbegriff 1948 und endet vorläufig bei Google. Wer über den Strom der Innovationen dieser 70 Jahre eine Brücke baut, kann sie in der Mitte abstützen. Dieser Pfeiler trägt den Namen Karl Steinbuch. Der schwäbische Professor hielt Vorlesungen für "Informatik", wie er sie als erster nannte. Es dauerte 10 Jahre, bis 1970 diese Fachbezeichnung im deutschen Sprachraum allgemein akzeptiert wurde. In den USA benützt man dafür den Begriff "computer science". “Informatics” hat dort eine viel engere Bedeutung; die Etymologie dazu ist im englischen Wikipedia ausgezeichnet erklärt. Auch der erste voll transistorisierte Computer Europas (1959) geht auf Karl Steinbuch zurück.
Wie schon Norbert Wiener, wurde auch Steinbuch zunehmend zu einem streitbaren Gesellschaftskritiker.[1] Die NZZ schrieb: "Steinbuch betrachtet seine Professur nicht als eine bequeme und sichere Pfründe, die es ihm erlaubt, seine Privathobbies nach Lust und Laune zu betreiben, sondern er fühlt sich verpflichtet, auf drohende Gefahren frühzeitig hinzuweisen und, was noch wichtiger ist, konkrete Handlungsanweisungen zu ihrer Überwindung vorzuschlagen." Damals war die Gefahr groß, dass Deutschland den Anschluss an die Informationsgesellschaft verpasste. Dies zeigte sich schon bei Computervater Zuse, der mit seiner Firma in Deutschland nicht vorankam. Und es zeigt sich noch heute, da die besten deutschen Köpfe auswandern und ihr Fortkommen im Silicon Valley oder in Zürich suchen. Dabei war Deutschland einst das Mekka der Mathematik und Physik. Die braune Ära machte das zunichte. Was nach dem Krieg den Deutschen blieb, war die verklärte Erinnerung an ihre Vorvergangenheit. Steinbuch nannte dies die Hinterwelt.
Der Fortschritt lahmte und der Zukunftsglaube köchelte in der westdeutschen Gesellschaft auf kleinster Flamme. Deutschland dümpelte im Windschatten der Großmächte, die sich nach dem Sputnikschock 1957 ein technologisches Wettrüsten lieferten. Es war die Zeit der US-Schulreformen, wo die Obstplantagen im Silicon Valley den Rüstungsfirmen weichen mussten, und wo beide Seiten sich anschickten, ihre Weltordnung mit nuklearen Interkontinentalraketen zu verteidigen. Natürlich war ICBM auch ein kybernetisches Megaprojekt, dort entstanden die Vorläufer des Internets. Es ging um Weltherrschaft. Auch Steinbuch äußerte den Gedanken, dass nur eine Weltregierung die Informationsgesellschaft in sozialdemokratische Bahnen lenken könnte. Er fürchtete, dass Deutschland den Anschluss verpasste. In der Tat wurde die mathematisch-informationswissenschaftlich- naturwissenschaftlich-technische (MINT) Schulbildung kleingeschrieben, die Bundesrepublik fiel im europäischen Vergleich auf die letzten Ränge zurück. Es drohte Wohlstandsverlust. Steinuch forderte, die zahlreichen historischen Institute in Einrichtungen für Zukunftsforschung umzuwandeln. In vielen Büchern und Publikationen[2] zeigte er die enge Verbindung vom technischem Fortschritt zum Wohlstand auf. Eindringlich erklärte er den Deutschen, warum Innovation wichtig und Technik nicht böse ist.[3] Damit versuchte er, den Abwärtstrend durch eine rückwärtsgewandte Geisteshaltung zu stoppen. Als Gastprofessor in Stanford erfuhr er aus erster Hand, was zu tun wäre. Er setzte es um und forderte eine Bildungsreform, die bis heute andauert. Die MINT-Fächer sollten ins Zentrum gerückt werden. Und er forderte Wagniskapital, um technische Innovationen Made in Germany durchsetzen zu können. Er gründete dafür eine eigene Stiftung, die noch heute junge Talente unterstützt. -
Wie wir heute wissen, kämpfte er gegen Windmühlen. Zwar forderte er programmierten Unterricht und Informations-Datenbanken, und man stritt sich, wie denn die Auswahl der Inhalte zu steuern wäre. Der Durchbruch kam aber erst im Jahr 2000 - aus Kalifornien, durch das Suchmaschinen-Prinzip “Page Rank” im Internet. Doch heute dämmert es, dass sich gerade in offenen Netzwerken trotz lauterer Absicht der Gründer globale Monopole bilden, die an Machtfülle alles Bisherige in den Schatten stellen und denen wir fortwährend persönlichste Daten anvertrauen? Also entfaltet unmerklich eine kommerzielle “Weltregierung” ihre Macht und ihren Einfluss übers Smartphone, über das selbstfahrende Auto, über das Internet der Dinge, über die Cloud. Selbstorganisiert entsteht eine künstliche Intelligenz, deren logischer Stringenz, Allwissenheit und Verspieltheit wir uns kaum wieder entziehen möchten, weil sie sich für uns persönlich interessiert. Dringend nötig sind heute wieder Philosophen vom Rang Steinbuchs, die klarsichtig und vernehmbar aufzeigen, wohin das führt und wie wir uns dazu stellen sollten, nicht zuletzt um Wohlstand und Freiheit zu bewahren. Dass Google aus Deutschland Milliarden Euro nach Palo Alto abzweigt, kann nicht ohne Folgen bleiben. Andererseits will Google in Deutschland strategisch investieren, wie es auch in Zürich der Fall ist. Damit wird wohl ein Teil der enormen Wertschöpfung von Google in unseren Ländern bleiben.
Doch wollen wir diese Art Weltregierung wirklich? Was haben wir dieser Entwicklung kreativ entgegenzusetzen? Allein in Stanford werden 15 Milliarden Dollar Wagniskapital jährlich in Startups investiert.[4] Indirekt schafft die VC-Branche in der Schweiz mit dem Einsatz von vier Milliarden Franken pro Jahr schätzungsweise 30 000 Arbeitsplätze, gut 3 000 davon bei Start-ups und den Rest bei Firmen, die über die VC-Branche im Wachstum finanziert werden.[5] Die VC-Branche ist damit an 200 bis 300 Start-ups beteiligt und an wenigen hundert Unternehmen, die sich in der Wachstumsphase befinden. Die Schweiz wurde damit Weltmeister im Patente anmelden, allerdings wohl kaum im Informatikbereich. Im 10x mächtigeren Deutschland sieht es trotz Karl Steinbuchs Jahrzehnte langen Warnungen auch heute noch düster aus. Zwar werden in Deutschland neuerdings wieder sieben Milliarden Euro in 1300 Firmen investiert,[6] nachdem die Zahl der Unternehmensgründungen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 Prozent gesunken und damit regelrecht eingebrochen war.[7]
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[1] Karl Steinbuch: Falsch programmiert: Über d. Versagen unserer Gesellschaft in d. Gegenwart u. vor d. Zukunft u. was eigentlich geschehen müsste. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1974, 176 S.
[2] Wikipedia listet 17 Bücher von Karl Steinbuch zwischen 1961 bis 1995 auf.
[3] Karl Steinbuch (Hrsg.): Diese verdammte Technik: Tatsachen gegen Demagogie. Mit Beiträgen von Hans-Herrmann Cramer. Frankfurt/Main-Berlin-Wien: Ullstein, 1982, 316 S.
[4] Christoph Keese: Silicon Valley: Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt. Knaus-Verlag: München, 2014, 320 S.
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