Sonntag, 1. März 2009

Hebelwirkung


Im letzten Blog habe ich über Google Books berichtet. Nun will ich es anwenden durch Lesen in einem, wie es scheint, wichtigen Buch, das ich weder im Buchhandel noch in einer Bibliothek finde. Marcel V. Lähn: Hedge Fonds, Banken und Finanzkrisen[1], beschrieb 2004, wie es zur globalen Finanzkrise kam. Diese Aufklärung tut bitter Not, denn die kursierenden Meinungen über die Ursachen und die Massnahmen zur Verhinderung einer derartigen Megakrise verwirren mich als Staatsbürger sehr. Natürlich gibt es Störfaktoren wie US-Immobilienboom, US-Kriegsausgaben und -Verschuldung, die Boni der Banker, automatisierter und globalisierter Börsenhandel, falsche Ratings, deregulierter Offshorehandel, Betrüger wie Madoff, Steuerbetrug, Geldwäscherei u.a.m., die zusammengenommen eine schwere Krise des Finanzsystems auslösen können. Doch wird ein kritischer Beobachter das Gefühl nicht los, dass hinter diesen Teilaspekten unheilvolle finanzwirtschaftliche Spielregeln diese Megakrise heraufbeschworen haben. Diese findet man vor allem unter den Dächern der Hedge Fonds.

Als Physiker weiss ich, dass ein Verstärker, der plötzlich zu pfeifen beginnt, gedämpft werden muss, damit er wieder benutzbar wird. Dämpfungen findet man in der Technik zuhauf, sie sind ihr A und O. Etwa die kleinen Hanteln an den Hochspannungsfreileitungen, diese nehmen Schwingungsenergie auf, sonst würden die Leitungen im nächstbesten Sturm herunterbrechen. Autofahren wäre gefährlich, wenn die Stossdämpfer fehlten. Neuroleptika dämpfen die Botenstoffe im Gehirn und verhindern akute Psychosen. In der Natur begegnet man negativen Rückkopplungen und Pufferungen auf Schritt und Tritt. Nur in der Finanzwelt will man, wie es scheint, von Dämpfung nichts wissen – im Gegenteil! Man bedient sich Anlageformen, die statt Sicherheit und moderaten Gewinn ungebremsten Vermögenszuwachs versprechen, ohne Rücksicht auf jene, denen das abgezockte Geld dann fehlt. Oder noch dreister: Man schafft Kapital durch trickreiche Verbriefungen, die nur mit neuem «Mündelgeld» bedient werden können. Das Wort «Mündelgeld» ist übrigens nicht zu weit hergeholt. Denn man hat doch über Jahre erfolgreich den unbedarften Bürger als Geldgeber gewonnen und man hat es auch mit seinem gesetzlich verwalteten Pensionsgeld getan. Tatsächlich sieht sich dieser in der Rolle des Mündels wieder, denn er oder sie weiss nicht, was mit dem sauer verdienten geliehenen Geld eigentlich passiert. Es bleibt dem Mündel nur das Vertrauen, dass die schon wissen, was sie tun, dass es nicht Kriminelle sind, die das Geld bekommen, was ja auch zutrifft, denn die Fondsmanager operieren im Hintergrund haarscharf an den Grenzen der Gesetze, die auf den steuerfreien Kaimaninseln[2] etwa weit laxer sind als in der Schweiz.

Auf www.ubs.com fand man noch vor wenigen Monaten die Tricks der Geldmacher zuoberst auf der polierten Website. Heute sind sie etwas versteckt, aber man googelt sie mit [Stichwort site:www.ubs.com] leicht heraus. Mögliche Stichworte sind Hedge Fonds, Zertifikate, Derivate, Leerverkäufe, Futures, Leverage u.a.m. Die UBS empfiehlt in einer im März 2008 verfassten Broschüre diese Nicht-traditionellen Anlagen für mehr Stabilität in Ihrem Portfolio. Im Buch von Lähn findet man Klartext zu diesen von der Finanzwelt bis heute so hoch gelobten weltwirtschaftlichen Sackgassen, zu der zentralen Quelle systemischer Instabilitäten des globalen Finanzsystems.[3] Es kann mir nicht darum gehen, die anscheinend so komplizierte Materie angemessen zu durchleuchten. Dazu müsste ich noch am Bankeninstitut der Uni-Zürich studieren.[4] Aber ich versuche es an einem für meinen Kopf vereinfachten Beispiel.

Hedge-Fonds stehen nicht unter dem gesetzlichen Zwang, dass ihrem Fremdkapital 10% oder mehr Eigenkapital gegenüberstehen muss. Oft wird da mit einem Hundertstel davon spekuliert, was die verwaltete Kapitalmasse verhundertfacht. Verbindlichkeiten können also nur mit neu zufliessendem Fremdgeld bezahlt werden. Das führt erstens zu langfristigen Anlagehorizonten, die Gelder werden jahrelang festgehalten, was sie den kurzfristigen Börsenschwankungen entzieht. Zweitens werden damit für Laienverständnis abenteuerliche Geschäfte abgewickelt, zum Beispiel so genannte Leerverkäufe. Es wird heute bezahlt für Aktien oder andere Finanzprodukte, von denen der Hedge-Fund-Manager vermutet, dass sie überbewertet sind. Er bietet also einen billigeren Preis, nimmt das Geld entgegen, muss aber das Finanzprodukt erst am Tag der Wahrheit liefern. Er spekuliert darauf, dass das Produkt für ihn dann noch billiger zu kaufen sein wird. Auf diese Weise bekommt er Fremdgeld, für das er im Moment überhaupt nichts bezahlen muss. Wenn es erwartungsgemäss läuft, hat er am Tag der Wahrheit ein gutes Geschäft gemacht. Wenn aber das Finanzprodukt nach Ablauf der Frist von ihm nicht gekauft werden kann, weil es nur teurer oder überhaupt nicht mehr erhältlich ist, bekommt der Hedge-Fund-Manager ein Problem. Er hat eine Zeit lang Geld für «Nichts» bekommen und er kann nach dieser Frist über die geschuldete Gegenleistung nicht verfügen, die Einlage kann also nicht bedient werden, die Spekulation ging nicht auf. So sind Hedge-Fonds einesteils gewaltige Finanzblasen, es wird Geld mit nichts als Verträgen angezogen und unter Ausnützung von Hebeleffekten risikobereit erneut investiert, andrerseits können diese Riesenblasen jederzeit zusammenbrechen, und die Gläubiger – letztlich unwissende Mündel – haben das Nachsehen.

Gegen die Grundidee, der Industrie und dem Gewerbe für produktive Zwecke Kapital gegen Aktien zur Verfügung zu stellen, in Erwartung einer Dividende, ist gewiss nichts einzuwenden. Einen Produktionsbetrieb kann man beurteilen und das Risiko ist überschaubar. Das Problem liegt in den oben erwähnten Spekulationsobjekten, den Hebel-, Partizipations-, Renditeoptimierungs-Produkten und dem damit verbundenen vielfach erhöhten Emittentenrisiko. Diese Derivate sind kombinierte und mehrfach indirekt verpackte Finanzprodukte, deren Risikopotential auch von spezialisierten Ratingagenturen kaum mehr eingeschätzt werden kann. Die Gewinn/Verlust-Kennlinien sind vielfach nichtlinear, ihr Impakt auf den Markt wird dadurch besonders heimtückisch. Der deutsche Derivateverband[5] betreibt auf seiner Website ein Lexikon für weit über Tausend Fachbegriffe (!) für die Beschreibung strukturierter Produkte und deren Handel. Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Begriffsinflation eher dem Bluff als der Klärung dient. Dabei flackert durch alles hindurch nur ein einziger treibender Begriff: Gier.

Die Schweiz ist mit einem Anlagevolumen von über CHF 260 Milliarden (Stand November 2008) der weltweit grösste Markt (!) für strukturierte Produkte, schreibt der schweizerische Verband[6]. Der Anteil dieser hochriskanten, undurchschaubaren Anlagen nimmt rasch zu. Das ganze in der Schweiz verwaltete Vermögen beträgt etwa CHF 4 Billionen. Man beachte, dass das Schweizer BIP mit etwa 500 Milliarden vergleichsweise bescheiden dasteht. Verwerfungen im Vermögensgeschäft werden sich auf das Volkseinkommen und auf die reale Volkswirtschaft insgesamt stark auswirken. Warum wollen wir es zulassen, den Lohn unserer redlichen Arbeit derart stark von Spekulanten aushebeln zu lassen?

Wenn ich ein Auto lease, dieses aber verkaufe und mit dem Erlös 5 Autos lease, diese wiederum verkaufe und den Schuldendienst sowie einen luxuriösen Lebenswandel mit immer weiteren Verkäufen von Leasingautos finanziere, stehe ich in kurzer Zeit vor Gericht und werde als Krimineller verurteilt. Ganz ähnlich läuft es aber in einem immer grösseren Teil der Bankenwelt, nur dass hier niemand verurteilt wird bis jetzt. Man fand Mittel und Wege durch Auslagerung in rechtsfreie Räume, um die wunderbaren Bereicherungsmöglichkeiten zu legalisieren. Und da dies trotzdem nicht endlos weitergeht, sondern auf sozusagen natürliche Weise crasht, versucht man nun mit dem Volksvermögen die Finanzakrobaten zu schützen – statt dass man die Bürger und die redlichen Banker vor den Verursachern schützt. Wie denn? – Ganz einfach: indem man nicht-traditionelle gefährliche Anlagen verbietet, die Steuerbetrüger ausliefert und die Offshore-Handelsplätze schliesst. Nichts weniger als dies muss man vom bevorstehenden G20-Gipfel erwarten, sonst wird es bald noch mehr krachen in der vernetzten Welt.
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[1] Dissertation. Gabler Edition Wissenschaft XII, 386 S. Kartoniert 2004 Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden, ISBN 3-8244-8117-0
[2] Why domicile your fund in the Cayman Islands? Over 10,000 regulated investment funds are domiciled in the Cayman Islands. This constitutes the vast majority of the global hedge fund market. Empfohlen durch
www.ubs.com/cayman-funds.
[3] S. 168
[4] Eigenartig ist, dass so hoch komplexe strukturierte Produkte im Kaufleuten in einem Music-Star-ähnlichen Wettbewerb verglichen werden. Unter dem Sponsoring von Maserati werden die Preise (Kurs im Rennfahren) vergeben. Und man empfiehl die daraus hervorgehende Beurteilung anschliessend den Anlegern zur Orientierung und den Emittenten als Qualitätsmerkmal. (
www.swiss-derivative-awards.ch)
[5]
www.derivateverband.de
[6] Schweizerischer Verband für Strukturierte Produkte
www.svsp-verband.ch

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Gut geschrieben! Vielleicht sollte man dem Mündel auch erklären, wie das Bankengeschäft funktioniert:

Im Prinzip werden 1 Liter Flaschen, welche mit 2 Deziliter gefüllt sind, von der Bank "eingekauft". Daraus trinkt die Bank einen kräftigen Schluck, und verbrieft oder verkauft dann die quasi Leere Flasche als Volle Flasche am Markt. Die Bänker haben im Prinzip nichts anderes gemacht, aus mit "halbleeren Flaschen" (Trapatoni grüßt) Geld zu verdienen.

Dass man eine quasi leere Flasche nicht wieder in den Supermarkt zurückbringen kann, und dafür sein Geld kriegt, weiss ein jedes Kind. Die Banker haben einfach spekuliert, irgendjemand macht diese leere Flasche wieder voll ;-)

Workflow Kreditgeschäft:
Ein Pensionär-Mündel legt sein hart erspartes Geld, sagen wir 200T CHF bei einer "Bank A" an, kriegt dafür wenns gut läuft, 1.8% Zins.

Die "Bank A" sagt artig Dankeschön, und versichert dem Mündel, das Geld sei bei Ihnen bestens aufgehoben. Das beruhigt den Mündel ungemein...

Nachdem das Konto eröffnet, das Geld einbezahlt ist, gehen der Account Manager, der Asset Manager und der Trader zusammen auf nen Kaffee. (leicht überspitzt)

Die "Bank A" dieser lieben Manager muss ja Geldverdienen, damit Sie dem armen Mündel die 1.8% Zins bezahlen kann, der Asset Manager am Ende des Jahres seine Liebste mit einem SKL Coupe beeindrucken kann.

Nachdem Kaffee, beschliessen die Herren, nicht besonderlich Innovativ zu sein, sondern das Standard Prozedere anzuwenden:

Die "Bank A" ruft die "Bank B" an uns fragt nach einer Million Kreditgeld, bietet dafür als Sicherheit die frisch angelegten 200T von unserem Pensionärmündel an.

Die "Bank B" sagt, ok, wenigsten ein wenig Eigenkapital, dafür verlangen wir 8% Zins, die Million wird zwei Stunden später "Bank A" überschrieben. (elektronisch)

Die "Bank A" hat jetzt anstelle der anfänglichen 200T Pensionärsgeld 1.2 Mio Kapital und ruft die "Bank C" an und sagt: Hallo mein Lieber, wir könnten ein Geschäft machen, benötigen dafür aber zusätzlich 10 Mio Cash und haben 1.2 Mio Eigenkapital.

Die "Bank C" willigt für einen Zins von 12% ein, schliesslich will man ja Geld verdienen.

So und innert kurzer Zeit sind aus den 200T 11.2 Mio Kapital geworden. Darüber würde sich jeder Asset Manager freuen, tut er aber nicht, weil jetzt das Geld verdienen erst anfängt. Der gewiefte Leser kann sich die Zinsen, welche nun amortisiert müssen, selber errechnen, bevor der Pensionär ein Kapitalzuwachs verzeichnen kann.

Der Trader dieser Gruppe der "Bank A" freut sich aber, da er jetzt 11.2 Mio zum "traden" hat. Je nach Risiko und Preisentwicklung seiner spekulativen Märkte, holt der gute Trader aus diesen 11.2 Mio 100 Mio rein.

Dumm wird es erst dann, wenn alle Märkte so volatil (durch zu viel Handel und Angst und Wertberichtungen)sind, dass man kein Geld mehr spekulativ verdienen kann, und nicht mal mehr auf sinkende Kurse wetten kann... weil allen klar ist, der Boden wird nicht nur gesucht, er wird erreicht werden...

Bruno Fricker hat gesagt…

Liebe(r) Buzzy3, danke sehr für diese Mündelbelehrung. Da bleibt mir wirklich die Spuke weg... (Schade, dass man nicht wissen darf, wer Sie sind.)

wellinger hat gesagt…

Hallöchen, endlich Aufklährung mehr! Danke! Weiter so, Annie