Samstag, 18. Januar 2014

Konrad Zuse

Konrad Zuse, Bild ETH Zürich
 
Es wird Zeit, Konrad Zuse, geb. 1910 in Berlin, in die Walhalla bei Regensburg aufzunehmen. In der einem griechischen Tempel nachempfundenen Ruhmeshalle werden überragende Menschen deutscher Zunge geehrt. Da stehen die Büsten von Johann Sebastian Bach, Friedrich Gauss, Albert Einstein, Wilhelm Konrad Röntgen, Gregor Mendel, Sophie Scholl, und andere; ja selbst die drei Männer auf dem Rütli schwören hier. Diese Geehrten haben bedeutende Spuren hinterlassen. Gewiss trifft dies auch auf Konrad Zuse zu, der 1995 in Hünfeld (Hessen) verstarb. Er hat die ersten programmierbaren und funktionstüchtigen Computer der Welt erschaffen. Am 12. Mai 1941 konnte Zuse die Z3, eine elektro-mechanische Rechenmaschine (wie man damals sagte) in Berlin einem zivilen Fachgremium der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt DVL vorführen. Sie verarbeitet Zahlen in binärer Gleitkommadarstellung, programmgesteuert, mit Rechenwerk und Speicher. Als Ein/Ausgabemedium dienten alte deutsche Filmstreifen, die gelocht wurden. Das war der von den Nazis unterschätzte, deshalb friedliche Startschuss ins Computerzeitalter, im Epizentrum des zweiten Weltkriegs. Was dann geschah, schildert Zuse drehbuchreif in seiner Biografie[1]. Die Z3 wurde verschiedenen Dienststellen der Wehrmacht vorgeführt, jedoch als nicht kriegswichtig eingestuft. Zuse wurde als Soldat an die Ostfront einberufen und musste seine Z3 ungeschützt in der elterlichen Stube zurücklassen, in der seit 1936 auch die rein mechanischen Computer Z1 und Z2 entstanden. Eine eigene Familie hatte er damals noch keine. Seine Eltern traten ihm zwei Zimmer ab und unterstützten den besessenen Erfinder finanziell. Die Z3 wurde auf dem grossen Stubentisch aufgebaut. Doch, o Wunder, mitten im mörderischen Feldzug wurde der noch unverletzte Zuse „uk - unabkömmlich gestellt“. Der diplomierte Bauingenieur durfte in die Henschel-Flugzeugwerke-Berlin zurückkehren, um als Flugzeugstatiker weiterzuarbeiten, wo er bald eine Teilzeitbeschäftigung erwirkte, um zu Hause, mit Kollegen aus der Studentenverbindung, seinen Computer zu verbessern. So entstand die „Zuse Ingenieurbureau und Apparatebau, Berlin“ und ein neuer Computer Z4, als der Bombenhagel einsetzte. Zuse entschloss sich, die schon leistungsfähige, tonnenschwere Z4 ins Allgäu zu retten, und dies gelang durch eine List: Ein befreundeter Physiker mit Beziehungen zur Wehrmacht schlug vor, die gewaltige Maschine offiziell mit „V4“ (Vergeltungswaffe 4) zu bezeichnen. V4 (Versuchsmodell 4) war der interne Deckname für die Zuse-Maschine. Bei diesen zwei Buchstaben standen die Parteibonzen stramm! Die Kontrollposten winkten den so beschrifteten Eisenbahn-Waggon überall durch. Man dachte an eine Weiterentwicklung von Wernher von Brauns legendären und kriegswichtigen V2 Rakete, die England arg zusetzte. Dennoch dauerte die Fahrt Wochen, denn die Strecke war beschädigt und der Aufenthalt in Bahnhöfen war wegen Tieffliegern nicht ratsam. Wie durch ein Wunder erreichte der Tross schliesslich auf Lastwagen die bayrischen Alpen, wo die Maschine in einem Schuppen versteckt wurde. Sie fiel bei Kriegsende in die Zone der Amerikaner. Zuse verhandelte geschickt, die Z4 konnte wieder in Betrieb genommen werden. Das Gerücht über den deutschen Computerbauer wurde an der ETH ruchbar. 1947 fuhr eine Delegation aus Zürich vor. Die Professoren Eduard Stiefel (numerische Mathematik), K. Rutishauser (Programmsprachen) und Ambros P. Speiser (Hardware) suchten eine Möglichkeit, die Grand Dixence-Staumauer zu berechnen. Sie mieteten den Rechenautomaten, willkommenes Geld für Zuse, der sich und seiner Familie in den Bergen mit Malereien das Brot verdienen musste. Zuse nahm die geräuschvolle Z4 im ETH-Hauptgebäude in Zürich in Betrieb. Es war der erste Computer an einer europäischen Universität. Dort leistete sie das Hundertfache im Vergleich mit einem Ingenieurbüro, das damals mit mechanischen Tischrechnern arbeiteten musste. Die Z4 klapperte unter der ehrwürdigen Kuppel Tag und Nacht. Allerdings verweilte Zuse ab und zu in Zürich, um Störungen zu beheben, und auch Rutishauser hantierte ständig daran, fütterte die Maschine mit gelochten Zahlen und entnahm die Resultate. In diesen 5 Jahren entwickelte die ETH ihren eigenen Computer, die ERMETH. Sie besass einen 1.5 Tonnen schweren magnetischen Trommelspeicher und rechnete mit 1500 Elektronenröhren. Sie verarbeitete aber nur Dezimalzahlen, was ein Rückschritt war. Mit 30 Kilowatt Verbrauch war sie empfindlich auf Spannungsschwankungen, verursacht durch vorbeifahrende Trams. Die binäre Zahlenverarbeitung von Zuses Z4 war der Zeit weit voraus, trotz der kriegsbedingt primitiven Bauelemente, darunter Komponenten von abgeschossenen und ausgeschlachteten Bomberflugzeugen. Die Z4 nahm die Struktur der ersten Mikroprozessoren vorweg, mit welchen wir erst ab 1974 hantierten konnten. Sie war kein „Kind des Krieges“, sie entstand trotz des Krieges. Zuse war nie Mitglied der NSDAP. Das Genie Computer-Erfinders Konrad Zuse setzte sich über alle Widrigkeiten hinweg.

Was war Konrad Zuse für ein Mensch? – Der junge Konrad war ein liebenswürdiger, einfallsreicher Eigenbrötler. In der Schule hatte er nur mit einem allseits gefürchteten Latein-Lehrer ein Problem, in den andern Fächern war er gut. Jedoch setzten ihm brutale Mitschüler zu, die dem jungen Genie abpassten. Konrad fand Mittel und Wege, seine Widersacher auszutricksen und ins Leere laufen zu lassen. Früh entwickelte sich so sein Wille zur Selbstbehauptung, was ihm im Krieg bei seiner Arbeit als Erfinder sehr zustatten kam. Pflichtbewusstsein und zähe Zielstrebigkeit lernte er von seinen preussischen Eltern. Die Freizeit verbrachte er mit dem über alles geliebten Metallbaukasten. Damit erwarb er sich früh mechanische Kenntnisse. Er gewann mit bemerkenswerten Konstruktionen die Wettbewerbe des Baukasten-Herstellers. Konrad, der Augenmensch, war auch künstlerisch begabt. Er zeichnete und malte hervorragend. Zwischen Künstler und Konstrukteur hin und hergerissen begann er folgerichtig ein Architekturstudium. Aber das normierte Zeichnen gefiel ihm nicht, er vermisste Gestaltungsfreiheit. Auch Maschinenbau versuchte er, dort aber war von Kunst keine Spur. Schliesslich führte er ein Studium dazwischen, als Bauingenieur zu Ende. Dieses Fach ist geprägt von umfangreichen Berechnungen für die Baustatik. Numerische Mathematik war damals eine Sache für Rechenknechte, die mit dem Rechenschieber und mit mechanischen Tischrechenmaschinen tagelang vorgegebene Rechenschemata abzuarbeiten hatten. Von konstruktivem Einfallsreichtum war da keine Spur. Das ermüdete ihn sehr. Es müsste doch möglich sein, solche Berechnungen einer Maschine zu überlassen! Statt zu rechnen, sann er darüber nach, wie die Schemata und Rechengänge maschinell ausgeführt werden konnten. Das war die Motivation, die Werke früher Rechengenies wie Leibniz[2], Babbage und Ada Lovelace zu studieren. In der Tat wurde auf dem Papier ein derartiges Rechengerät bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von Babbage konstruiert und von Ada Lovelace programmiert, allerdings weitgehend nur auf dem Papier. Zuse liess sich durch diese Quellen direkt zu eigenen Konstruktionen inspirieren. Er machte die Mathematikerin Ada Lovelance zu seiner Muse und heimlichen Geliebten, was er erst in hohem Alter bekannte. Die Bedeutung dieser mathematischen „Femme inspiratrice“ kann im Fall des Agnostikers Zuse nicht konkret genug eingeschätzt werden. Das ist keineswegs abwegig, wenn man bedenkt, wie die heilige Barbara schwer arbeitenden Mineuren Kraft spendet oder die Muttergottes katholische Geistliche inspiriert. Mitten im Bombenhagel, im Januar 1945, heiratete Zuse eine Mitarbeiterin, die ihm fünf Kinder schenkte. Mit ihr und mit getreuen Mitarbeitern evakuierte er die Z4 aus dem umkämpften Berlin. In Hessen wuchs nach dem Krieg seine Firma Zuse KG zwischen 1949 und 1964 auf über 1000 Mitarbeiter, Zuse war umsichtiger und zielstrebiger Patron und Erfinder zugleich. Doch trotz hervorragender Innovationen gab es keine Zuschüsse, und die staatlich geförderte Konkurrenz aus Übersee wurde übermächtig. Die Firma wurde schliesslich von Siemens geschluckt. Für Karl Zuse begann eine freiere Schaffensperiode. In den verbleibenden drei Jahrzehnten konnte er seine grundlegenden und zukunftsträchtigen Ideen und Erinnerungen publizieren und in zahlreichen Vorträgen weiter vermitteln. Damit festigte er seine geschichtliche Bedeutung als Schöpfer des programmierbaren Computers, so wie dieser heute überall anzutreffen ist. In der akademischen Welt wurde Konrad Zuse mit zahlreichen Ehrendoktoraten geehrt.
Bruno Fricker [3]

 


[1] Konrad Zuse: Der Computer – mein Lebenswerk. 4. Auflage, Springer-Verlag, 1984.
[2] „Es ist unwürdig, die Zeit von hervorragenden Leuten mit knechtischen Rechenarbeiten zu verschwenden, weil bei Einsatz einer Maschine auch der Einfältigste die Ergebnisse sicher hinschreiben kann.“ – Gottfried Wilhelm Leibniz, konzipierte die erste binäre Rechenmaschine, 17. Jhd.

[3] Ich habe 1984 in der Berliner Volkshochschule Konrad Zuse noch vortragen hören. 1974 wurde ich von Professor Eduard Stiefel in numerischer Mathematik geprüft anlässlich meiner Diplomprüfungen als Physiker. 4 Jahre später verstarb er.

Literatur:
- Konrad Zuse: Der Computer – Mein Lebenswerk. Springer Verlag, 1992, 220 S.
- Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand. Rowohlt-Verlag, Hamburg, Digitalbuch, Oktober 2009.
- Michael Kuyumcu: Konrad Zuse – Roman eines Lebens. Artislife Press Hamburg, 2010, 231 S.
- Herbert Bruderer: Konrad Zuse und die Schweiz. Festschrift zum 100. Geburtstag der Informatkpioniers Konrad Zuse, Technischer Bericht Nr. 715, ETH-Zürich, 2011, 40 S., http://www.abz.inf.ethz.ch