Donnerstag, 27. Oktober 2011

Vom Dreibein zum Smartphone


Samsung Galaxy S II - mein Smartphone

Unsere Generation ist Zeuge einer beispiellosen Epoche. Informatik überzieht die Welt wie eine neue Haut. So wie die Haut funktionell das vielseitigste Organ des menschlichen oder tierischen Organismus ist, dient auch die Informatik der Abgrenzung von Innen und Außen, dem Schutz vor Umwelteinflüssen, der Repräsentation, Kommunikation und Wahrung des Homöostase (Wikipedia). Als Kinder hätten wir uns das gewiss nicht vorgestellt. In meiner Lehre durfte ich die Dreibeine (Transistoren) kennen lernen, kleinste Verstärker bzw. Schalteinheiten, die man heute als Atome der Informatik begreifen kann. Mein philosophisch angehauchter Lehrmeister schimpfte über sie, denn er liebte die geheimnisvoll glimmenden Elektronenröhren über alles, die schon wegen ihrer Grösse eine Informatik niemals ermöglicht hätten. Er hatte wohl eine dumpfe Ahnung davon, was da auf uns zurollte! Das Grösste am Transistor waren die drei Anschlussdrähte, die man schon bald ausmerzte, indem man auf einem Millimeter Silizium Transistor direkt an Transistor reihte und mittels im Vakuum aufgedampfter Leitungspläne integrierte.

Ich durfte als Lehrling eine elektronische Orgel noch mit Röhren bauen, dann eine dreimanualige mit Transistoren. Bis zu meinem Physik-Studienabschluss standen immer komplexere Funktionseinheiten zur Verfügung, die etwa zählen oder addieren konnten, oder die in Verbindung mit Messwandlern die Umwelt in die binäre Impulssprache der Informatik übersetzten. In der Rekrutenschule hantierten wir am neuen Flugzeug Mirage III, das nebst Transistoren auch noch fingerhutgrosse Elektronenröhren enthielt. Es war meine Begegnung mit Servosteuerungen, denn diesen Flieger konnte man mit Muskelkraft und menschlichem Reaktionsvermögen nicht mehr fliegen. Wir wurden damals auch Zeugen einer Entwicklungsrichtung, die Elektronen durch Wasser ersetzte, den in Plastic gefrästen Fluidics, die ebenfalls zu intelligenten Steuerungen zusammengebaut werden konnten. Wir stritten über die Frage, welche Technologie das Rennen wohl machen werde.

1970 wurde es still um die wasserbetriebenen Logikbausteine, den Fluidics. Zwischen Aussenwelt und Pilot entfalteten sich die Elektronen-Rechner ebenso raffiniert wie handgestrickt. Die Mirage war das ideale Lernobjekt, weil noch alles durchschaubar war und weil hier ein sanfter Fingerdruck einem tonnenschweren Luftdruck parieren konnte. Trotz Kanonen und Bombenschächten in diesen Flugapparaten, die das politische Motiv ihrer teuren Beschaffung waren, waren wir natürlich begeistert!

In den späten Siebzigerjahren war man so weit, bist zu zehntausend Transistoren in einen Chip zu integrieren, der Mikroprozessor war geboren. Damals schied sich die Informatikwelt in Motorola 6800, woraus die Mac-Computer entstanden und die Intel 8080-Linie, die dem späteren PC den Boden bereitete. Das wesentliche Gestaltungsmittel war von nun an das Programm. Wir programmierten die Prozessoren direkt in ihrer Maschinensprache. Wir lernten denken wie diese Winzlinge, und es machte uns Spass, deren Potenz in Anwendungen auszuloten. Eine solche Maschine registrierte den Pfiff einer Orgelpfeife und zerlegte den Klang in seine Obertöne, deren Anteile sich zeitlich veränderten, was die Lebendigkeit dieses Klanges ausmacht. Davon lieferte die Maschine nach Minuten Rechenzeit den Plot auf einem Blatt Papier. So lernten wir spielerisch verstehen, wie der Computer „denkt“. In einer weiteren Diplomarbeit, die ich 1977 am Institut für Technische Physik der ETH betreute, spielte das Klavier übrigens bald von selbst, weil der rasante Mikroprozessor das Spiel des Pianisten im Takt von Millisekunden codierte. Dieser „Midi-Code“ erlaubte es, in einem zweiten Lauf die Tasten ebenso flink und genau mit Zugmagneten zu bewegen. Jahre vor deren weltweiten Verbreitung durch Yamaha erfanden wir das Disklavier ebenso wie den Midi-Code, ohne den die Popmusiker nicht auskommen, wenn sie mit zwei, drei Musikern ein ganzes Orchester erklingen lassen wollen. Danach wurden die Rechner-Chips immer komplexer, man sprach von Computer-Architektur, der Aufbau der Schaltungen glich Stadtplänen, die Integration umfasste Hunderttausend Transistoren oder mehr. Zu Beginn der Achtzigerjahre tauchten damit die ersten Personalcomputer in den Büros auf. Sie arbeiteten mit 16Bit-Wörtern, von denen jedes 64'000 Zustände unterscheiden kann, dies mit 10 Millionen logischen Operationen pro Sekunde. Damit liessen sich Schreibmaschinen mit Autokorrektur bauen und Filme auf Bildschirmen präsentieren. Der Boden für den Siegeszug des Internet wurde gelegt, dessen Teilnehmer seit 1993 an solchen PCs hocken. Heute sind im Internet eine Milliarde Hosts, wie man die Schnittstellen zu seinen Benützern auch nennt.

Der geniale Entwickler Steven Jobs, auch als Apple-Prediger bekannt, begründete mit seinen Ideen in den letzten Jahren den iKult (iPod, iPad, iPhone, iTunes) und „bestimmt nicht nur, was wir kaufen, sondern auch, wie wir leben“ – nämlich mit einem flachen Kästchen vor der Nase, das uns mit allen erdenklichen Informationen, Musik vom Apple Server und Bildern immerdar und sekundenschnell aufklärt und beglückt. Man mag dazu stehen, wie man will, aber die Welt, vor allem die Jugend, ist dem iKult verfallen. Gut, dass es immer mehr Alternativen gibt, denn es gefällt uns nicht, unser ganzes Leben nach dem merkantilen iPrediger auszurichten. Jedenfalls ist der Wettbewerb über das geeignetste Medium zwischen Aussen und Innen, im Zugriff des Menschen auf ein allwissendes Informations-Universum, voll entbrannt. Die Chips, die heute dazu benutzt werden, besitzen etwa eine Milliarde Transistoren, und sie arbeiten mit 64Bit-Wörtern, von denen jedes 18 Trillionen Zustände ausdrücken kann. Die ungeheure Vielfalt dieser Welt liegt im Smartphone in Ihrer Hand. Dieses Potential kann nur von der Kreativität der ganzen Menschheit ausgeschöpft werden. Wohin es die Menschheit führt, ist noch nicht absehbar. Nebst vielen Fortschritten in technologischen Bereichen sind leider auch grosse Probleme aufgetaucht, allen voran die immer bedrohlicheren Instabilitäten in der Finanzwirtschaft, die ganz direkt durch den Siegeszug des Dreibeins ermöglicht und verursacht sind. Bei mir überwiegt die Freude darüber, dass ich an dieser historisch beispiellosen Entwicklung teilnehmen durfte, von Anfang an, und dass ich sie weiterhin mit wachem Auge verfolgen und in meiner Nische etwas mitgestalten darf.